Ha, Ha, Ha

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Es ist ein moto­ri­sches, lau­tes, unech­tes Lachen, in das alle ein­stim­men zu Beginn der «Fledermaus», die­ser «Operette für vier Schauspieler und zwei DJs». Als ein ähn­li­ches Lachen spä­ter am Abend in einer Bar wie­der ertönt, ist das unan­ge­nehm. Die Welt kurz vor dem Spass-Burnout macht näm­lich kei­nen Spass. Aber hin­ter­lässt Eindruck.

«Yppie, Yppie, Yeah!», mit Songpassagen von Deichkind, der Hamburger Hip-Hop-Formation, for­dern die DJs erste Party-Moves ein. Aber die Spass-Welt-Bewohner sind erschöpft. In ihrer Welt ist Spass gesetz­lich ver­ord­net. Das ermü­det. Sie sacken in sich zusam­men, schal­ten sich auf off, zitie­ren sich manch­mal gegen­sei­tig ins Bühnen-Off. Ärztlich ver­ord­ne­te Party-Pause wäre eine will­kom­me­ne Ausrede, aber es gibt kein Entrinnen. In die­ser Welt darf man alles, nur Gähnen nicht. Doch: Gabriel von Eisenstein (Markus Mathis) hat gegähnt. Bevor er aber sei­ne Gefängnisstrafe absitzt, will er noch zu Prinz Orlofskys Party.

Eine Operette aus dem Jahre 1874 frei nach Johan Strauss ins Jahr 2012 zu kata­pul­tie­ren, passt ins Profil von «thea­ter kon­stel­la­tio­nen». Die deutsch-schwei­ze­ri­sche Formation hat sich seit über 12 Jahren auf die Kombination von Sprechtheater und Musik spe­zia­li­siert, wird auf der Webseite erklärt. «Die Fledermaus» ist eine Co-Produktion mit dem Theater Chur (Uraufführung), den Sophiensaelen Berlin, dem Fabriktheater Rote Fabrik (Zürcher Premiere) und dem Schlachthaus Theater Bern, wo das Stück im Dezember auf­ge­führt wird (nach­dem es im November auch in der Grabenhalle St. Gallen gastiert).

Abgelöschte Party-People

Wie im Original wol­len alle Figuren unbe­dingt ans Fest des Prinzen Orlofsky. Es ver­spricht eine Ausflucht aus dem lang­wei­li­gen Alltag. Aber nur die Aussicht auf ein unend­li­ches Drogenbuffet und alle mög­li­chen per­ver­sen Sexualpraktiken ver­mö­gen beim Party-Volk noch Hoffnung auf ech­te Zerstreuung zu wecken. «Sogar rau­chen darf man», obwohl das in die­ser Welt fast ein biss­chen zu «light» ist.

Derb ist sie, die­se Welt, in neu-ari­sto­kra­ti­schem Französisch: «magni-FICK». Das Originalstück blitzt immer wie­der auf, wird ein­ge­wo­ben. Die DJs ser­vie­ren Strauss-Partituren, manch­mal nur Versatzstücke davon. Die Komposition über­zeugt. Es wird mit­ge­sun­gen und Playback per­formt. Das ist lustig, aber die laten­te Lethargie der Partygeplagten hat sich bereits auf die Besucher über­tra­gen. Immer, wenn Emotionen auf­zu­kom­men dro­hen, wird das Vergessen besun­gen.

Und die­se Party-People las­sen sich sehr schnell vom Vergessen über­zeu­gen. Zum Beispiel Rosalinde (Anja Tobler), die mit ihrem über­lan­gen vio­let­ten Haar, den grü­nen Hosen und den exak­ten Bewegungen etwas Comic-arti­ges hat. Ihr Mann Eisenstein scheint sie über lan­ge Strecken kalt zu las­sen. Auch des­sen Verhältnis zum Hausangestellten Adele (Lou Elias Bihler). Ein Transvestit, der in sei­nem eng­ma­schi­gen Netz-T-Shirt und den roten Lippen auf anrüh­ren­de Weise immer ein biss­chen neben sei­nen weis­sen Absatz-Schuhen steht.

Zurück zu Rosalinde, die kein Unschuldslamm ist: Die eman­zi­pier­te Frau hat wohl kei­nen Liebhaber, bestellt dafür beim Escort-Service. Das ist prak­tisch, aber wenig lei­den­schaft­lich. Für Leidenschaft ist in die­ser Welt ohne­hin kaum Platz. Bedauerlich für den nach Rache dür­sten­den Falken (Eleni Haupt), der als Freund des Hauses ein- und aus­geht. Denn ohne Leidenschaft wird auch sei­ne Rache nicht beson­ders süss aus­fal­len. In die­ser ober­fläch­li­chen Welt ist es schwie­rig für die Figuren, Fallhöhe zu ent­wickeln.

Getriebener Spass

Die Diskokugeln auf den drei Screens über der Bühne dre­hen und dre­hen. Sie bie­ten Text zum Mitgrölen und pro­ji­zie­ren das, was im Party-Getöse unter­zu­ge­hen droht. Jeder Schauspieler ver­kör­pert zwei Figuren, da geht immer was. In kom­pak­ten 70 Minuten führt Regisseur Jonas Knecht sei­ne Figuren zum Party-Kollaps. Innert kür­ze­ster Zeit wer­den die ver­track­ten Fäden der Geschichte ent­wirrt. Ein (ech­tes?) Lachen ist zu hören und schliess­lich heisst es: «Alles Walzer, auch die Toten!» Vorhang.

Später in der Bar. Im Kopf dre­hen sie wei­ter, die über­züch­te­ten Party-People. Jemand lacht ein Party-People-Lachen. Man gähnt genüss­lich, aus­gie­big und demon­stra­tiv.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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