Mimikry und Schockeffekte im Loop-Modus

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«Manche mögen’s heiss!», könn­te das lite­ra­ri­sche Motto von Steven Uhly lau­ten. Wie wäre es zum Beispiel mit fröh­lich insze­nier­tem Inzest, unge­hemm­ter Promiskuität und Pornografie als Lebensunterhalt – fein ver­packt in eine, zuge­ge­be­ner­mas­sen, irr­wit­zi­ge Familiengeschichte? Ja, schon in sei­nem Debütroman Mein Leben in Aspik (Secession Verlag 2010) war der Schriftsteller und Übersetzer aus München nicht gera­de um das bemüht, was man sich land­läu­fig unter Political cor­rect­ness vor­stellt. Davon konn­te man sich auch im Rahmen sei­ner Lesung im Literaturhaus Zürich mit anschlies­sen­der Diskussion über­zeu­gen. Denn auch in sei­nem zwei­ten Roman fasst Steven Uhly heis­se Eisen an.

Opferrollen und Ohrfeigen in Mannheim

In Adams Fuge (Secession Verlag 2011) bil­det der Migrationshintergrund des halb tür­kisch­stäm­mi­gen Protagonisten Adem Öztürk ali­as Adam Imp den Ausgangspunkt einer schier end­lo­sen Serie wech­seln­der und unüber­schau­ba­rer Identitäten. Davon wer­den auch all jene affi­ziert, mit denen Adem in Kontakt kommt. Gleichzeitig wird eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt. Und das geht so: Uhly lässt Adem in Mannheim im Schosse einer sechs­köp­fi­gen Familie auf­wach­sen, wobei der tür­ki­sche Vater sei­ne deut­sche Ehefrau ger­ne mal spi­tal­reif prü­gelt. Als aber Adem acht Lenze zählt, ver­schwin­det die Mutter eines Nachts, des Familienoberhaupts, der häus­li­chen Gewalt und ihrer Opferrolle über­drüs­sig.

Der brüs­kier­te Vater fin­det dar­auf­hin zu tief­from­mer Religiosität und fasst den Entschluss, sei­ne vier Kinder – nach­dem er von deren gehei­men Treffen mit ihrer Mutter Wind bekom­men hat – in sei­nem alten Mercedes in die gelob­te Türkei zu (ent-)führen, «wo ein Mann noch ein Mann war und eine Frau noch sei­ne Frau». Daselbst lässt er sich an einer Koranschule zum staat­lich geprüf­ten Imam aus­bil­den, macht sich dar­an, Adems älte­re Schwester Evin zei­tig zu ver­hei­ra­ten – die sich der Ehe mit dem Gebetsteppichhändler von gegen­über aller­dings durch einen töd­li­chen Sprung vom Balkon ent­zieht −, und deckt Adem selbst mit päd­ago­gisch wert­vol­len Ohrfeigen ein. Was aller­dings wenig Wirkung zeigt: Adem bleibt sei­nen älte­ren Brüdern Çem und Faruk in Sachen Virilität auch wei­ter­hin klar unter­le­gen und soll das Versäumte des­halb in der Armee nach­ho­len.

Eine Killer-Karriere wie im Bilderbuch

In Ausübung sei­ner mili­tä­ri­schen Pflicht gerät Adem unver­se­hens in die Fänge des tür­ki­schen Geheimdienstes, und sein Curriculum Vitae ver­zeich­net bald eine wach­sen­de Zahl äus­serst hand­fe­ster Aufträge, ins­be­son­de­re nach sei­ner Rückkehr nach Deutschland (nun als Adam). Eine Bilderbuch-Killer-Karriere, die aber weni­ger auf Adems/Adams genui­nen Ehrgeiz als viel­mehr dar­auf zurück­zu­füh­ren ist, dass etli­che (mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren­de) Geheimdienste Adams Hintergrund als Migrant geschickt für ihre Zwecke zu nut­zen wis­sen. International rüh­ri­ger Top-Shot und im Grunde easy zu füh­ren, wird er zum will­fäh­ri­gen Vollstrecker frem­der Schiessbefehle und ver­schafft sich so ein gesi­cher­tes Einkommen. Eine Win-Win-Situation, oder?

Zwei Wermutstropfen gibt es: Einerseits ver­kommt Adam zum Spielball unsicht­bar agie­ren­der Kräfte, wor­un­ter die den­ke­ri­schen Kapazitäten, die emo­tio­na­le und sozia­le Intelligenz und schliess­lich die Identität des Jungspundes zu lei­den haben. Ärgerlich an der Sache ist ander­seits ein Phänomen, das ihn im wahr­sten Sinne des Wortes ver­folgt: Unerklärlicherweise erschei­nen jeweils kurz nach einer erfolg­rei­chen Exekution die Geister der Getöteten vor Adams gei­sti­gem Auge, um die­sen ins Gespräch zu ver­wickeln und ordent­lich zu ver­wir­ren – was unge­mein komisch zu lesen ist.

Mimikry im Kleide des Feindes

Mit amü­san­ten Versatzstücken aus dem Genre des Schauerromans lässt es Uhly aber nicht bewen­den. Vielmehr tor­pe­diert er das ent­spann­te Lektürevergnügen immer neu, indem er die Grenze zum Brisanten, Bizarren, Blossstellenden regel­mäs­sig über­schrei­tet. Es ent­wickelt sich eine tem­po­rei­che Erzählung, die mehr und mehr Schemata aus dem mensch­li­chen Handlungs- und Denkhorizont erfasst, gleich­sam doku­men­ta­risch vor­führt und mit­un­ter durch den Kakao zieht. So müs­sen die abge­lutsch­ten Scripts aus der Welt des Spionage-Thrillers eben­so dran glau­ben wie die Glaubenssätze eines nur halb kaschier­ten Rassismus bzw. Nationalismus oder die sal­bungs­vol­len Erinnerungen eines Alt-68ers an frü­he­re, bes­se­re Zeiten. Das ist immer wie­der lustig, doch wird man zugleich zum miss­traui­schen Leser, legt sich auf die Lauer: «Et tu, Brute», könn­te es ja im näch­sten Augenblick schon heis­sen, wenn man sich in Steven Uhlys far­ben­fro­hem Figurenkabinett selbst wie­der­erkennt!

Deutsche Bundesnachrichtendienstler, die sich zur Tarnung wie ihre kur­di­schen bzw. tür­ki­schen Kollegen und Widersacher klei­den, ein Trupp schlag­freu­di­ger Neonazis, der sich das  far­ben­fro­he Erscheinungsbild unbe­darf­ter, lang­haa­ri­ger, ultra­to­le­ran­ter Hippies zu eigen macht − dass hier das «Shifting Identities» als post­mo­der­nes Modell und hand­lungs­trei­ben­des Motiv gezielt ein­ge­setzt wird und erzäh­le­risch glückt, dürf­te dem einen oder ande­ren ein­leuch­ten. Mag auch ein Teil der Leserschaft das Buch schon längst in die Ecke geschmis­sen haben und sich dar­über ener­vie­ren, die Handlung wer­de immer abstru­ser und zuneh­mend scha­blo­nen­haft, der simp­le Sprachduktus zur Peinlichkeit: Wer’s ger­ne sar­ka­stisch schwarz mag, kommt hier auf sei­ne Kosten.

Aktion «Holocaust live»

Richtig derb wird es aber erst, wenn die Erzählfäden zusam­men­lau­fen. Adam soll Harald liqui­die­ren, der selbst ein Genie des Mimikry ist: Als V‑Mann des BNDs in der rechts­ra­di­ka­len Szene ist er nicht nur inner­lich zum Feind über­ge­lau­fen, son­dern hat zum Zweck der opti­ma­len Tarnung auch ein ver­dammt rea­li­täts­na­hes Holocaust-Computerspiel ent­wickelt, wes­halb Adam auf ihn ange­setzt wur­de. Doch zunächst plau­dern und gamen die bei­den ein wenig. Als sich aller­dings die bereits erwähn­ten, Harald obser­vie­ren­den BNDler und Haralds rechts­ra­di­ka­le Freunde vor dem Haus eine wüste Schlägerei lie­fern, eska­liert die Situation auch im Innern – zar­te Gemüter, weg­hö­ren!

Denn wenn Haralds sei­ner Hoden ver­lu­stig zu gehen droht, wenn er sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmt, Adam ihn auf die Narben auf sei­nem Rücken anspricht und zusam­men mit sei­ner Zielperson über ihre kind­li­chen Gewalterfahrungen heult, um Harald am Ende doch zu exe­ku­tie­ren, dann möch­te man sich am lieb­sten über­ge­ben. Und Steven Uhly geht noch wei­ter, indem er am Ende die (bis auf den Vater) wie­der­ver­ein­te Familie Imp auf der Suche nach einem digi­tal ver­steck­ten Industriegeheimnis und hohen Geldbeträgen gemein­schaft­lich das Holocaust-Spiel spie­len und den Völkermord live an der Rampe und in der Gaskammer nach­er­le­ben lässt − ein Stück Läuterung man­cher am Joystick sit­zen­der Familienmitglieder inklu­si­ve.

Die Sinnfrage

Wozu das alles? Ist es nicht schänd­lich, tages­ak­tu­el­le Fragen rund ums Thema Ausländerfeindlichkeit – ras­si­sti­sche, reli­giö­se und natio­na­le Vorurteile nament­lich gegen­über mus­li­mi­schen Minderheiten – in einen Topf zu wer­fen mit dem histo­ri­schen Sonderfall des Holocaust? Einige Erfahrungsberichte im Internet lau­ten ent­spre­chend: «Primitiv. Primitiv. Primitiv.» Es bleibt aber zwei­er­lei anzu­mer­ken: Gerade da, wo sich Uhly ans Dokumentieren in Deutschland gän­gi­ger Denkweisen und Einstellungen macht, greift er auf das Medium des Zitats zurück; die haar­sträu­bend­sten, plat­te­sten und popu­li­stisch­sten Äusserungen und Attitüden stam­men in Tat und Wahrheit aus der Realität des deut­schen Alltags. Freilich schockiert Uhlys Montage, sodass nicht nur Adam das Lachen ver­geht. Adams Fuge exer­ziert tat­säch­lich so etwas wie einen Loop des schlimm­sten anzu­neh­men­den Unglücks.

Ist die­ser Tage viel­leicht der kal­ku­lier­te Schock das ein­zig prak­ti­ka­ble Mittel, um Moral wir­ken zu las­sen und auf­zu­klä­ren? Immerhin schei­nen nam­haf­te Kritiker und Feuilletonisten Folgendes erkannt zu haben: Es gehe Uhly, dem pro­mo­vier­ten Literaturwissenschaftler, um Demaskierung im Gewand der Persiflage. Es mag nicht mehr als ein pikan­tes Detail sein, dass Adams Fuge punkt­ge­nau ein Jahr nach Thilo Sarrazins umstrit­te­nem Pamphlet Deutschland schafft sich ab (DVA 2010) erschie­nen ist, das eine hef­ti­ge Debatte nach sich zog – und der Bundesrepublik das meist­ver­kauf­te Politiksachbuch eines deut­schen Autors des Jahrzehnts besche­ren soll­te. Nun, auch wenn Autor Steven Uhly kei­ne lite­ra­ri­sche Replik auf Sarrazins Thesen geschrie­ben haben will: Die Chancen, dass Adams Fuge mit der Verleihung des Tukan-Preises 2011 der Stadt München erst recht für Diskussionen sor­gen könn­te, ste­hen gut. Und so wur­de auch im Literaturhaus Zürich im Anschluss an Uhlys Lesung und sein Gespräch mit der Kulturjournalistin Regula Freuler leb­haft dis­ku­tiert – wobei die Hörerschaft offen­kun­dig ange­tan war von Uhlys Roman und der Autor sein lite­ra­ri­sches Anliegen elo­quent dar­leg­te.

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