It is the codes, still – the year 2024 by laStaempfli

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Januar: Was ist «Wealth»?

Die Chefredaktorin des NZZ-Magazins erzählt auf Ende Jahr locker, wie ihre Großeltern einen unge­rahm­ten Picasso im Schrank ver­ges­sen, ein Bild der ame­ri­ka­ni­schen Künstlerin Eva Hesse gra­tis bei einem Atelier unter­ge­stellt, und das gan­ze Haus vol­ler Kunst gestopft war. Ich dach­te mir nur: Tja. Journalismus und Kunst kön­nen sich nur noch Betuchte lei­sten. 2024 war das Jahr als alle Freien merk­ten: In den Medien wird nur reich, der schon mit einem Vermögen gestar­tet ist. Die Schweiz ist ein­fach reich. Dies begann schon mit den Söldnern, die von der Obrigkeit für teu­res Geld den Fürsten aller Welt über­las­sen wur­den; und, nach Tod auf dem Schlachtfeld, den Obrigen eine Pension sowie ein paar Kilo schö­ne Seifen (aus dem Körperfett der Soldaten gewon­nen) hin­ter­lies­sen. Dies unter der Rubrik von «Stories, die ich noch nie publi­zie­ren konn­te.» Mein Kulturjahr beginnt ja bestens, nicht wahr? Im Januar 2024 ver­mel­de­te die NZZ am Sonntag noch, dass sich der Kokainkonsum in den letz­ten zehn Jahren ver­dop­pelt hat. Sammelten die Grosseltern der neu­en Chefin NZZ-Magazin also noch Kunst, ver­pufft das vie­le Geld künf­ti­ger Grosseltern wohl eher in den zar­ten Näschen der Zürcher Schickeria. Schade eigent­lich. Denn unter der Rubrik «Kulturtechnik» ver­bu­che ich das Vergessen eines unge­rahm­ten Picasso im Schrank als für uns alle gewinn­brin­gen­der als die mit Kokain ange­rei­cher­ten Trinkwasserreserven rund um Zürich.

Foto von laStaempfli auf einem Trip in die Berge, irgend­wo in einem Restaurant, das dies als Kunst auf­häng­te: Detailansicht.

 

Februar: Von Moskau nach Teheran zu Judith Butler

Der Oppositionsführer und Putinkritiker Alexei Nawalny hat sein poli­ti­sches Engagement mit dem Leben bezahlt. Er wur­de in einem der schlimm­sten Straflager Russlands ermor­det. «Mit Maschinenpistolen, war­men Fäustlingen und Filzstiefeln. Und mit schö­nen, flau­schi­gen Schäferhunden» schrieb er ein paar Wochen vor sei­nem schreck­li­chen Ende. Dank unfä­hi­ger Medien und öffent­lich-recht­li­cher Institutionen im Westen wird Nawalny 2024 eben­so schnell ver­ges­sen wie die tap­fe­ren Iranerinnen im Kampf gegen die isla­mi­sti­schen Gotteskrieger in ihrer Regierung. Mullahs, die übri­gens von der femi­ni­sti­schen Aussenministerin Annalena Baerbock eif­rig hofiert wer­den: Deutschland hat sei­ne Iran-Deals in der Ampel-Amtszeit ver­viel­facht. Ist doch schön zu wis­sen, woher das Geld und die Waffen stam­men, mit wel­chem die Mullahs Israel beschies­sen und ihre ter­ro­ri­sti­schen Proxis bezah­len!

Frauen von «Frau, Leben, Freiheit» wer­den in Teheran täg­lich gefol­tert, ver­ge­wal­tigt und ster­ben in den Kerkern der Islamisten wäh­rend in unse­ren west­li­chen Grossstädten durch­ge­knall­te Gendertheoretikerinnen in Basel als «Queer for Hamas» durch die Strassen zie­hen und Jüdinnen und Juden bedro­hen. Nur dank X – der den Woken ver­hass­te Elon Musk-Plattform ist zu ver­dan­ken, dass wir wenig­stens ab und zu davon erfah­ren. «Die Grenze zwi­schen Gut und Böse ver­läuft nicht zwi­schen Staaten, nicht zwi­schen Klassen, nicht zwi­schen Parteien – sie ver­läuft quer durch jedes mensch­li­che Herz» meint Alexander Solschenizyn im «Archipel Gulag» – ein Buch, das die Genossen eben­so has­sen wie die Genossinnen die anti­se­mi­ti­sche Judith Butler lie­ben. Die meint übri­gens, dass Freiheit für Frauen völ­lig über­schätzt sei und im Kampf gegen Unterdrückung und Kapitalismus die Massenvergewaltigung von Israelinnen durch­aus gerecht­fer­tigt sei. Judith Butler wird wei­ter­hin an allen Schweizer Universitäten so gelehrt wie 1933 bis 1945 «Mein Kampf» von Adolf Hitler Schullektüre war. Krass? Nicht krass genug! Mein Gedicht: «Ihr wollt die Fahnen schwin­gen –
für eine Sache, die ihr nicht ver­steht? Ihr seid blind für das Leid der Unschuldigen, sprecht von Befreiung und sät Gewalt! Seht Ihr nicht, dass Ihr flicht den isla­mi­stisch-tota­li­tä­ren Totenkranz?» ist von Kurt Tucholskys «Sie wol­len den Bürgerkrieg ent­fa­chen – (das soll­ten die Kommunisten mal machen!) daß der Nazi dir einen Totenkranz flicht -; Deutschland, siehst du das nicht -?» inspi­riert. Tja. Die Nazis haben noch nie gemerkt, dass sie Nazis sind, son­dern waren immer davon über­zeugt, die wirk­lich Guten zu sein; hier ein Insidergruss an M.R.

Foto von laStaempfli von Mary Hassanpour anläss­lich einer Ausstellung im Februar in Wien. Detailansicht.

 

März: Europäische Mütter der Urzeit

Stellen wir uns vor, eine, nur aus Männern bestehen­de Gruppe unter­nimmt eine lan­ge Wanderbewegung durch ver­schie­de­ne geo­gra­fi­sche Regionen und trifft auf ihrem Migrationszug auf sess­haf­te Völker, in denen Frauen das Sagen haben. Die Variante, dass die Männerhorden die Männchen ermor­den, den Nachwuchs töten, die Frauen ver­ge­wal­ti­gen, unter­wer­fen und sel­ber mit ihnen sess­haft wer­den, liegt ziem­lich nahe. Willkommen in der neue­ren Steinzeitforschung!

Es beginnt – wie immer – bei einer Frau. Die «Venus von Willendorf» ist ein Rätsel, eine umwer­fend schön geform­te Figur, ange­nehm fett und für ihre über 30.000 Jahre sehr gut erhal­ten. Sie wohnt in Wien, im Naturhistorischen Museum, ist viel klei­ner als erwar­tet und hat mitt­ler­wei­le vie­le Schwestern der euro­päi­schen Eiszeit. Sie war lan­ge DIE Ikone der Kunstgeschichte und Archäologie. Sie wur­de mal als por­no­gra­fi­sches Objekt, mal als Muttergöttin, mal als Meisterin des Textilhandwerks gedeu­tet. Gebaut ist sie aus Sandstein vom Gardasee, ent­deckt wur­de sie 1908 von einem Bauarbeiter beim Bau der Donau-Uferbahn in der Wachau. Sie ist Ausgangspunkt neu­er Geschichtsschreibung, die von Karin Bojs «Mütter Europas. Die letz­ten 43000 Jahre» sowie Lluis Quintana-Murci «Die gros­se Odysee. Wie sich die Menschheit über die Erde ver­brei­tet hat», neu ver­han­delt wird.

Beide erzäh­len davon, wie sich die Migration der Urzeit bei Männern und Frauen völ­lig anders mani­fe­stiert und aus­wirkt. Ein Befund, den die Sprachwissenschaftlerin und Archäologin Marija Gimbutas (1921–1994) schon in den 1940er Jahren fest­hielt. Sie beleg­te mit den Artefakten und Sprachentwicklungen der Urzeit, ein «Alteuropa» mit matri­li­nea­rer Kultur und indo­ger­ma­ni­schen Migrationswellen, die eine stark patri­ar­cha­le Kultur mit sich tru­gen. 2018, auf einer Tagung in Uppsala, ent­schul­dig­te sich der legen­dä­re Colin Renfrew, Archäologe aus Cambridge – er war damals schon über acht­zig Jahre alt – bei sei­nen Kollegen und lei­ste­te Marija Gimbutas Abbitte. «Certainly I was wrong», mein­te er bedau­ernd, aber in einer Größe, die den mei­sten Wissenschaftlern heut­zu­ta­ge lei­der abgeht.

Dass alter­tüm­li­che Migration, matrif­o­ka­le Kulturen und das dar­aus resul­tie­ren­de mensch­li­che Mischmasch in der Archäologie aus­ge­blen­det wur­de, hat­te zutiefst ideo­lo­gi­sche Gründe. Zunächst moch­ten die Nationalisten die Idee, dass ihre Kultur auf Migranten zurück­ge­he, über­haupt nicht. Dann wie­der­um ver­ab­scheu­ten post­ko­lo­nia­le Historiker die These der ver­ge­wal­ti­gen­den Männerhorden aus dem Osten. Weiter fan­den «diver­se» Historikerinnen, dass es in Europa nie matri­ar­cha­le Kulturen gege­ben haben könn­te, die­se sei­en natür­li­cher­wei­se «indi­ge­nen» Stämmen vor­be­hal­ten.

Die Biologie spricht nun ein stren­ges Machtwort gegen die­se Ideologien von links bis rechts. Gene pfle­gen näm­lich nicht zu lügen. DNA-Analysen zei­gen: Steinzeitfrauen haben ande­re Gene als Steinzeitmänner. Und die gefun­de­nen Artefakte pas­sen in die­se unter­schied­li­che Frau-Mann-Schemata, die sich aus­ser­dem als ritu­el­le Unterschiede von Göttinnen-Kult und Phallus-Kult unter­schei­den las­sen.

Womit wir wie­der bei der Venus von Willendorf wären. Nach neue­rer Forschung ist sie des­halb alles ande­re als eine Pornovorlage für Steinzeitmänner. Sie passt zum Furchtbarkeitskult inner­halb matri­li­nea­ren Gemeinschaften, die von den indo­ger­ma­ni­schen Migrationsströmen über­fal­len, unter­wor­fen und in patrif­o­ka­le Gesellschaften umge­baut wur­den. «Ein Teil der neu­en Forschungsergebnisse deu­tet dar­auf hin, dass die indo­eu­ro­päi­sche Einwanderungswelle tat­säch­lich eine Kultur mit sich brach­te, die stark auf Väter und väter­li­che Linien aus­ge­rich­tet sind.» Die Klassikerinnen unter uns wuss­ten dies schon längst. Denn der Mythos «Raub der Sabinerinnen» scheint viel der urzeit­li­chen Gesellschaftsformen zu erklä­ren.

Genomik und Populationsgenetik bewei­sen nun die urmensch­li­chen Fabeln von Migration, Vergewaltigung und Unterwerfung in der Urzeit. Die Frage: «Woher kom­men wir?» wird im Hinblick auf «Wohin gehen wir?» aber immer noch ideo­lo­gisch ver­han­delt – Technik, Gene und Geschichtsschreibung hin oder her. Die Diversität der Genome erklärt uns nicht nur, wel­che Gene und dar­aus fol­gen­de Artefakte sich durch­set­zen, son­dern stellt uns Neuzeitler auch vor die Frage, wel­che Diversität und Artefakte wir als Menschen auch wol­len. Gerade als Frauen, die in der Archäologie erstaun­li­cher­wei­se noch so genannt wer­den dür­fen, was für die Frauen in der Französischen Revolution nicht mehr gilt – die müs­sen jetzt ein Sternchen tra­gen, um über­haupt noch zitiert zu wer­den – also gera­de als Frauen, kann es nicht egal sein, wer uns wel­che Artefakte zer­stört, die Liebsten inklu­si­ve Nachwuchs ermor­det, und eine neue patri­ar­cha­le Linie beginnt, die jede matrif­o­ka­le Kulturen, par­don, Horizonte ( so hei­ßen Kulturen auf archäo­lo­gisch)  aus­löscht. Bisher haben Nazis, Ultranationalisten, Sowjetkommunisten, Maoisten, Islamisten, Hinduisten die Geschichte lan­ge auf ihre Art und Weise zurecht­ge­bo­gen, um ihre Männerbünde, Todesmystik und Klassenideologie für ewig gül­tig zu erklä­ren. Jetzt sind es post­mo­der­ne Märchenerzählerinnen, die uns weis­ma­chen wol­len, dass Kulturen mit Frauenfokus, «ter­fi­ge» Werke sei­en, die die Rechte von stein­zeit­li­chen Transmenschen dis­kri­mi­nie­ren.

Karin Bojs räumt mit «Mütter Europas. Die letz­ten 43.000 Jahre» flan­kiert vom Biologen Lluis Quintana-Murcis «Die gros­se Odyssee», mit all die­sen ver­gan­ge­nen und zeit­ge­nös­si­schen Lügengebäuden auf. Beide erzäh­len von einer mensch­li­chen Vielfalt, die sich sehr stark und mäch­tig, ent­lang der bestehen­den Geschlechter und viel zu oft durch männ­li­che Gewalt, durch­mischt hat. Die Geschichte der Männer unter­schei­det sich bio­lo­gisch und kul­tu­rell mas­siv von der Geschichte der Frauen. Zumindest was das Urzeit der Menschheit betrifft.  Ideologisch zie­len bei­de Bücher dar­auf hin, die Vielfalt als Fortschritt zu inter­pre­tie­ren, wobei Karin Bojs aber den Preis, den dabei die Urfrauen zu zah­len hat­ten, durch­aus kri­tisch erwähnt.

- Karin Bojs, Mütter Europas. Die letz­ten 43.000 Jahre.
- Lluis Quintana-Murci. Die gros­se Odyssee. Wie sich die Menschheit über die Erde ver­brei­tet hat.
Beide C.H. Beck Verlag.

Bild stammt von laStaempfli direkt aus dem Naturhistorischen in Wien und der Text wur­de im März in der Weltwoche in der Literaturbeilage abge­druckt.

 

April: Danielle Pamp und ihre Kunst

«Diva in Quarantine 2020», war das Aushängeplakat zur Ausstellung im Künstlerhaus in Wien. Die visio­nä­re zeit­ge­nös­si­sche Künstlerin, bekannt für ihre atem­be­rau­ben­de Porträts, fängt die Tiefe und Komplexität mensch­li­cher Emotionen. Ihre Werke ver­bin­den klas­si­sche Techniken mit einer moder­nen Perspektive und schaf­fen so Kunstwerke, die tief berüh­ren. Kürzlich hat­te sie eine viel beach­te­te Ausstellung im Künstlerhaus in Wien, die ihre Bedeutung in der Kunstwelt wei­ter unter­mau­er­te. Pamps Kunst über­schrei­tet Grenzen und bie­tet eine fri­sche und ein­dring­li­che Stimme in der zeit­ge­nös­si­schen Porträtmalerei.

Danielle Pamp ist eine mei­ner besten Freundinnen aus Wien, she is just a Star! Es gibt glück­li­cher­wei­se zu «Danielle’s World» einen genia­len ARTE-Film von Michael Gebendorfer.

Foto von laStaempfli, ein Selfie von Regula Stämpfli und der Künstlerin Danielle Pamp in Stockholm

 

Mai: Bonjour Wien – Adieu Vienna.

«Wien ist eine Stadt, die man erst lie­ben ler­nen muss, und wenn man sie dann liebt, liebt man sie wie kei­ne ande­re.» Dieses Zitat von Joseph Roth ver­bin­det mich und Wien als ChronistInnen des Untergangs, der Beobachtung von Zeit, Politik und Menschen. Mit Werken wie «Radetzkymarsch» und «Hiob» schuf er lite­ra­ri­sche Meisterwerke, die Verlust, Identität und Heimatlosigkeit the­ma­ti­sie­ren – Themen, die auch heu­te hoch­ak­tu­ell sind. Als jüdi­scher Schriftsteller im Exil erleb­te er den Aufstieg des Nationalsozialismus und starb 1939 ver­armt in Paris, ein Symbol für das Vergessen, das vie­le sei­ner Zeitgenossen traf. Roths poe­ti­sche, prä­zi­se Sprache und sein Blick für gesell­schaft­li­che Brüche beglei­ten mich auch im Abschied von Wien – in die­sem Kulturjahr, das mich hei­mat­los gemacht hat. Wien war immer mei­ne neue Heimat, mei­ne Ferien, mei­ne Auszeit, mei­ne Freundin – ich hab nie in Wien gear­bei­tet, son­dern immer nur gelebt. Doch wie mein­te ein bekann­ter fran­zö­si­scher Autor: «l‘ amour dure trois ans» – wie in Roths Panoptikum rei­se ich wei­ter und hof­fe doch sehr, nicht in einer Stadt zu lan­den, in der alles nur nach «Kohl» riecht.

Foto: Selfie von laStaempfli im Lieblingsanzug, irgend­wo in Wien.

 

Juni: Heute beson­ders gün­sti­ges Frauenfleisch.

Heute beson­ders gün­stig: Frauenfleisch. Ein ver­füh­re­ri­sches Kiloangebot. Ich lie­be die­sen Essay im ENSUITE – es geht um Gemini und des­sen woke Programmierung, die auf die Frage nach einem SS-Soldaten 1943 die­se sexy Asiatin in Naziuniform zeigt. KI bleibt unver­stan­den. Sie ist nicht Intelligenz, doch Wissenstool von uner­reich­ba­ren Datensätzen, die sich die Welt so ima­gi­nie­ren, wie die gefüt­ter­ten Daten dies gestal­ten. Seit Jahren ist mei­ne Warnung nicht, dass Menschen wie Maschinen wer­den, son­dern sich die Menschen wie Maschinen beneh­men, sich deren Datensätzen anpas­sen und auf­grund codier­ter Narrativen die Welt gestal­ten. Im Mai war mei­ne letz­te Hannah-Arendt-Lecture, die ich an der HSG initi­iert habe – Israel, Grossbritannien und die USA war­ten schon auf die gleich­na­mi­ge Serie im näch­sten Jahr. Die NZZ am Sonntag berich­te­te am 23.6. 2024 über «Nvidia» als «wert­voll­stes Unternehmen der Welt», eine Firma, die mit KI viel mehr kann als Halbleiter her­stel­len, in einem Schweizer Forschungszentrum, wo mehr als 200 Personen arbei­ten. Leider wur­de das Thema nicht wei­ter­ver­folgt, wie so oft in den Medien heut­zu­ta­ge. So hören wir nichts davon, dass Microsoft even­tu­ell eine Nuklearanlage für die KI plant oder auch Chat GPT. Eine Anfrage auf Chat GPT kostet fünf­mal soviel wie eine Anfrage auf Google – elek­tro­tech­nisch gespro­chen. Wir blei­ben dran: Computing und Simulation blei­ben für laStaempfli als Expertin für die Bertelsmann-Stiftung aktu­ell.

 

Juli: Islamistische Barbaren avant la lett­re

Ich habe die Islamistischen Barbaren erlebt. Damals waren es die Revolutionären Garden der Französischen Revolution, die eine der wich­tig­sten Städe des Mittelalters in die Luft gejagt haben. Haben Sie schon mal von Cluny gehört? Nicht? Dabei war Cluny für Europa fast eben­so wich­tig wie das unter­ge­gan­ge­ne Römische Reich, des­sen Kunst und Kultur von den neu­en christ­li­chen Herrschern eben­so ver­nich­tet wur­den wie ein paar Jahrhunderte spä­ter die Bauwerke der Christen. Ikonoklastik nennt man dies: Die Zerstörung wich­ti­ger zivi­li­sa­to­ri­scher Errungenschaften alter durch neue Herrscher.

Cluny, die­se klei­ne Stadt im fran­zö­si­schen Burgund, bil­de­te den Kern des spi­ri­tu­el­len Zentrum Europas im Mittelalter. Mit der Gründung der Benediktinerabtei im Jahr 910 begann eine Bewegung, die die katho­li­sche Kirche bis in die Neuzeit und die umlie­gen­de Natur bis heu­te prägt. Die Abtei von Cluny stand für stren­ge Ordensregeln, lit­ur­gi­sche Pracht und die Unabhängigkeit vom welt­li­chen Einfluss – ein Modell für über 1.000 Klöster in ganz Europa. Im 12. Jahrhundert war Cluny das größ­te und reich­ste Kloster der Christenheit – der Niedergang setz­te mit der Reformation ein und wur­de voll­bracht mit der bru­ta­len Französischen Revolution. Die Revolutionäre wüte­ten in Cluny wie die Taliban mit den Buddha-Statuen. Vom ehe­ma­li­gen Klostergelände blei­ben nur noch ein paar ein­drucks­vol­le Steine, Türme und Gebäude übrig. «The End of Everything» fas­zi­niert mich seit­dem: Zivilisationen, auf Stein gebaut, die dann einer neu­en Ideologie wei­chen muss, die kein Stein mehr auf dem ande­ren lässt.

Foto von laStaempfli irgend­wo um Cluny her­um: So gut wie im Burgund schmeckt übri­gens kein ande­rer Wein.

 

August: Die Leichtigkeit von Kunst im öffent­li­chen Raum

Louise Deininger stell­te im Aux Gazelles in Wien aus – die Treppe zur Maria Hilferstrasse wur­de mit Tüchern kura­tiert, umwer­fend schön, das Wetter spiel­te geni­al mit. Louise ist nicht nur eine gros­se Künstlerin, son­dern Aktivistin mit eige­ner Charity-Organisation Gyko, die alle unter­stüt­zen soll­ten, weil sie jun­gen Menschen in Norduganda mit einer eige­nen Schule, Ausbildung und Zukunft ermög­licht. Deiningers farb­star­ke Gemälde aus Acryl, Elefantendung und Kaurimuscheln und eben dem «Wrap» gehört zu den Menschen, die Geschichte schrei­ben wer­den; mit ihrer Kunst und ihrer Persönlichkeit. Könnten wir täg­lich von KünstlerInnen lesen, hören und sehen, wie sie die Welt wahr­neh­men, gestal­ten möch­ten und uns Menschen ver­bin­den, ganz ehr­lich? Wir wären eine glück­li­che­re Welt, jen­seits des tra­di­tio­nel­len Kulturbetriebs, der seit den 1960er Jahren sich als ANTI statt als Pro-Demokratie defi­niert.

Foto von laStaempfli Wiener Treppe von Louise Deininger „It is a wrap.“

 

September: «Träumen Algorithmen von der Demokratie?»

«Alle Weisheit die­ser Welt ist schon aus­ge­spro­chen.» Am 26. September 2024 fei­er­ten wir die Vernissage des zau­ber­haf­ten De Caro Verlags aus Einsiedeln. Ich durf­te neben nam­haf­ten Autorinnen und Autoren über Hannah Arendt schrei­ben, hier eine klei­ne Leseprobe und die Aufforderung: Kauft doch das Buch. So unter­stüt­zen mich mei­ne Fans am besten. LESEPROBE:

Wie schüt­zen wir die Demokratie vor der Übermacht der Algorithmen? – Anleitung zur Öffentlichkeit nach Hannah Arendt

Von Regula Stämpfli

Die Geschichte der Menschheit fasst sich in Mythen, Religionen, Ideologien, Sprechakte, Narrative, Storys, Kurzfiktionen. Dies war nie anders und gilt auch heu­te. Das Neue dar­an ist, dass Daten, Algorithmen und welt­um­span­nen­de Codes, also Zahlen, Storys erzäh­len und nicht mehr Menschen und deren Maschinen. Das Tragische dar­an ist: Algorithmen träu­men dabei nicht von Demokratie, son­dern von Häufigkeit. Was bedeu­tet dies für uns Menschen, unse­re Demokratie, unse­re Welt?

Wahrheit und Lüge sind im codier­ten Automatismus algo­rith­misch gleich­ge­stellt. Nicht der Inhalt ent­schei­det über poli­ti­sche Partizipation, poli­ti­sche Entscheidung und Bindung, son­dern die Frequency. Im «Zeitalter digi­ta­ler Reproduktion» sind Wahrheit und Lüge, Fakten und Verschwörung, Wirklichkeit und Fiktion gleich­ge­stell­te Codes. Es gibt kei­ne codier­te Wahrheit, nur Häufigkeit. Algorithmen ken­nen kei­ne Urteilskraft; das Programm folgt auto­ma­ti­schen Lösungsvorschlägen. Für Maschinen sind wir alle gleich: Verbrecher, Künstlerin, Faschist.

Die mil­lio­nen- und mil­li­ar­den­fa­che Wiederholung von Codes, die auf TikTok, X/Twitter, Facebook, Telegram, Google, Spotify, Apps, Instagram und ande­ren abruf­bar ist, ist nicht nach Inhalt, Fakten und Wahrheit, son­dern nach algo­rith­mi­schen Programmen errech­net. Diese sind nicht öffent­lich und nicht ent­lang demo­kra­ti­schen Prinzipien pro­gram­miert. Codes eta­blie­ren Kommunikation und Herrschaftsgewalt. Sie tau­chen in Form von Trends, Hashtags, Hyperlinks, «News» auf, sind nicht rele­vant, son­dern nur häu­fig: Frequenz statt Kompetenz. Deshalb sind Codes nicht Information, son­dern Repräsentation. Sie sind nicht öffent­lich, son­dern fik­tiv.

Foto von laStaempfli zur Vernissage des Buches.

 

Oktober: PROPER LOVE im Belvedere

Wir hat­ten mal einen Amoako Boafo in unse­rem Wohnzimmer hän­gen; so wie die Familie Wittgenstein um die 1900 in Wien einen Gustav Klimt. Das Bild hat mein Leben berei­chert und ich trau­re ihm auch Jahre nach des­sen Verlust nach. Im Belvedere in Wien 2024 war die Eröffnung des Shootingstars Amoako Boafo. Der gros­se Künstler aus Ghana stellt klu­ge Fragen zur Gegenwart und Kunst, trifft auf Klimt und Schiele und ver­setzt die­se in sei­ne Heimat, ins afro-ame­ri­ka­ni­sche Präsens, in die gröss­ten Kunsthäuser die­ser Welt. «Warum malst du nur Blacks?» wird im letz­ten Raum der Ausstellung im Belvedere gefragt und von Amoako Boafo drei­fach und mit Ausrufezeichen beant­wor­tet. Er malt. Boafo ist so ein gros­ser Künstler, da erüb­ri­gen sich der­art dum­me Fragen. Seine Porträts sind im Guggenheim-Museum eben­so pas­send wie im Pompidou oder eben in den Wohnzimmern kunst­be­gei­ster­ter Menschen. Boafo ist ein Liebes-Künstler. Seine Menschen sind so unfass­bar unter­schied­lich schön, leben­dig, berüh­rend, dass man sofort die Menschenliebe, die im Zynismus der Gegenwart abhan­den­ge­kom­men ist, wie­der spürt. Boafo model­liert, malt, braucht sei­ne Finger, um Körper zu model­lie­ren, Gesichtern den Ausdruck zu ver­lei­hen. Er nimmt die Moderne als Versprechen nach Afrika mit, um Europa wie­der auf den Weg zu schicken. Grossartig – Proper Love eben.

Foto von laStaempfli aus der Belvedere-Ausstellung

 

November: Reform our Institutions or How Democracies fail

In der «Die Podcastin» von Isabel Rohner und Regula Stämpfli wird nicht nur spre­chend gedacht oder den­kend gespro­chen, son­dern es wer­den lau­ter neue Thesen, Theorien und Welterklärungen pro­du­ziert. So auch kurz vor Jahresende in «Die Podcastin» – einem der weit­rei­chen­sten Frauenpodcasts und einem Podcast, der sich end­lich mal nicht um Frauenthemen wie Schminke, Psyche, Diät küm­mert, son­dern um Politik, Kultur, Wissenschaft, Zukunft und Kapital. Donald Trump wur­de gewählt – wer «Die Podcastin» gehört hat­te, war davon alles ande­re als über­rascht. laStaempfli hat die Wahlanlyse zu Trump über das Jahr ent­wickelt, auch den Umstand, dass Trumps Aufstieg im Versagen der öffent­lich-recht­li­chen Institutionen und der code­ge­trie­be­nen Medien liegt. Bitter wur­de laStaempfli nur ange­sichts der inter­na­tio­na­len Organisationen! Jahrzehntelang kämpf­te sie für das inter­na­tio­na­le Völkerrecht, als jun­ge Mutter wur­de sie sogar zum IKRK ein­ge­la­den, muss­te da lei­der absa­gen – einer der gröss­ten Fehler in ihrer Karriere. Und nun stellt sie fest: Die UNO wird von Diktaturen, Autokraten und der VR China mani­pu­liert, von Genossen und Genossinnen zum Schrecken des Westens revo­lu­tio­niert und hul­digt tota­li­tä­ren Ideologien wie damals, Sie wis­sen schon wann! Das IKRK ist ein Hamas-Kuschlerverein gewor­den – so mei­ne Meinung – dies nicht zuletzt, weil sowohl Präsidentin als auch Generalsekretär eine UNRWA-Vergangenheit haben, die umstrit­te­ne Organisation, deren Terrornähe nach­ge­sagt wird. Die Stadt Zürich hat 380.000 Franken Steuergeld an die UNRWA über­wie­sen und wei­te­re 200.000 Franken direkt nach Gaza geschickt. Journalistische Recherchen zu «Weshalb, Wer, Wie und an Wen Genau?» – Fehlanzeige! Schweizer Medien publi­zie­ren Kilowatt Codes zu Trump und Musk, aber zu den wirk­lich wich­ti­gen Themen, die uns Bürger und Bürgerinnen INTERESSIEREN MÜSSEN, wer­den nicht recher­chiert. Der ein­zi­ge Trost 2024 in der gesam­ten Nahost-Story war, ohne Seich, der israe­li­sche Geheimdienst «Mossad.» Es gibt ein genia­les «60 Minutes» dazu – nicht im Verdacht, beson­ders pro-israe­lisch zu sein. Hört es alle nach, denn in euro­päi­schen Leitmedien wur­de die heroi­sche Aktion schrei­end laut BESCHWIEGEN.

Bild von laStaempflis KI

 

Dezember: Deutscher (Un)Kulturbetrieb

Was die ARD-Verantwortlichen bewo­gen hat, Thilo Mischke zum Nachfolger von Max Moor für ttt – titel, the­sen, tem­pe­ra­men­te – zu ernen­nen, bleibt ein Rätsel. Nach ersten Kritiken zum «umstrit­te­nen» Moderatoren, mein­te die ARD am 27.12.2024 selbst­ver­ständ­lich: Wir freu­en uns auf Mischkes «ttt»-Moderation und «sei­ne Sicht auf Kultur.» Am 4.1.2025 wur­de dann bekannt, dass die Freude kur­zer Dauer war und Thilo Mischke «ttt» nun doch nicht mode­rie­ren darf.

Thilo Mischke ist Autor des 2010 publi­zier­ten Buches «In 80 Frauen um die Welt.» Sie haben rich­tig gele­sen. Es ist «in 80 Frauen» – mea­ning, sich durch 80 Frauen vögeln, um dann hof­fent­lich die gro­ße Liebe zu fin­den. Es geht um eine Macho-Männerwette: Der Titelheld Thilo soll eine Weltreise machen und 80 Frauen zu ver­füh­ren. Ist er erfolg­reich, bezah­len die Freunde den Trip. Das Buch ist schnell geschrie­ben, der Typ ein Frauenfeind; im Tonfall, im Besitzanspruch, in der Haltung, dass Frauen kei­ne Individuen, son­dern als Gruppe fucka­bel sind.

2010 war eine ande­re Zeit. Als ich von der «Pornografisierung des Alltags» schrieb, wur­de ich vom Tagi-Magi und der dama­li­gen Redakteurin Birgit Schmid, die sich aktu­ell in anti­fe­mi­ni­sti­schen Texten bei der «NZZ am Sonntag» bei Altmännern beliebt zu machen ver­sucht – oder war es nun «Die Weltwoche?», egal, ich muss auch nicht immer alles rich­tig wis­sen, rich­tig, es ist die «NZZ am Sonntag», also damals wur­de ich von ihr als «prü­de» geschimpft.

2010 war Analsex, Intimrasur, mul­ti­ple Orgasmen durch Dildos (wie die Schwulen, die übri­gens auch «Sex and the City» schrie­ben – unglaub­lich beliebt damals) omni­the­ma­tisch in den Medien ver­su­delt. Mischke konn­te ja nicht ahnen, dass 15 Jahre spä­ter die Stimmung etwas anders ist: «Wie ein stän­dig erreg­ter Playboy» notiert Mischke sei­ne Beobachtungen, zugleich ver­sucht er den selt­sa­men Spagat zwi­schen poten­tem Eroberer und Frauenversteher. «Du darfst eine Japanerin nie­mals in den Nacken küs­sen, wenn du sie nicht kennst. Das ist unge­fähr so, als wür­dest du eine frem­de Frau auf der Straße fra­gen: Na? Lust auf Analverkehr?» (Besprechung von Rollingstone 3.1.2025) Alles war damals auf Porno, Sex und Geschlechtsverkehr getrimmt – erst zehn Jahre spä­ter kom­men die­sel­ben Kulturfritzen, die damals der­be gelacht haben, dar­auf, dass dies viel­leicht nicht immer so cool und links gelau­fen ist, wie sie es damals inter­pre­tiert haben. Thilo Mischke ging 2012 dann noch: «Unter frem­den Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt» für Pro Sieben auf Sendung. «Was hat­te ich nicht für abstru­se Ideen, wie ich unter­mau­ern könn­te, dass ich Sex hat­te. Von Lackmusstreifen, die ich in ein Buch ein­kle­be, mit ver­schie­de­nen PH-Werten und Namen dane­ben, bis zu Excel Tabellen, die einen Körper so genau beschrei­ben, dass ich es mir nicht hät­te aus­den­ken kön­nen. Ich woll­te Fingerabdrücke neh­men, heim­lich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jewei­li­gen Sex. Alles unprak­tisch, alles viel zu grob, dach­te ich immer.»

Unappetitlich, nicht wahr? Trotzdem dach­te sich die ARD-Kulturleitung, die sonst bei allem «sexi­stisch, isla­mo­phob und hil­fe, das hilft den Nazis» schreit auf die Idee, einen sol­chen Mann zu pro­mo­ten? Ein Mann, der allen Ernstes in einem Podcast behaup­tet, der Urmensch sei aus­ge­stor­ben, weil er «zu zärt­lich zu Frauen gewe­sen sei» und der Homo sapi­ens statt­des­sen die Frauen ver­ge­wal­tigt hät­te. Überhaupt Vergewaltigung. Diese ist nach Thilo Mischke «urmänn­lich» und den Jungs lei­der nur durch die Zivilisation «abge­wöhnt» wor­den.

Tja. Ich schrei­be seit über 25 Jahren über die Pornografisierung der Welt. Als Antwort auf den im Schweizer Journalismus immer noch sehr sat­ten Autoren XY (Namen ver­än­dert), der auch von Vergewaltigungsgenen und explo­die­ren­den Vulven schrieb, mein­te ich schon damals sehr trocken: «Wenn der Penis nur noch tröp­feln kann.» Die bio­po­li­ti­sche Sexualisierung und Privatisierung unse­rer west­li­chen Kulturen, die codiert auf Porno-Datenmaterial zurück­grei­fen, weil dies die ersten Daten waren, die in gro­ßen Mengen die Digitalisierung pusch­ten, gras­siert über­all, wird nicht wirk­lich unter erwach­se­nen Frauen dis­ku­tiert, son­dern in alten, lin­ken Männerschemata von frei­em Sex und prü­der Mutter ver­han­delt. Das MUSS JA SCHIEF GEHEN.

Langer Suada der kur­ze Sinn: Lest end­lich Frauen. Und zwar die, die nicht stän­dig über Sex, Depression, Kinder krie­gen oder «wie Karriere als Frau machen», schrei­ben, son­dern die, die über alles und Grosses schrei­ben. Auf ein neu­es Jahr, möge das Alte end­lich posi­tiv über­holt wer­den!

Foto von laStaempfli : Kunstwerk von Janice Gondor «75 Jahre Grundgesetz.»

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