Fehlgeleitete Kulturpolitik am Beispiel der Berner Stadtregierung

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Von Lukas Vogelsang – Bern lie­fer­te am 13. Juli 2022 ein Paradebeispiel dafür, war­um Kulturpolitik grund­sätz­lich kata­stro­phal ver­sagt: Am dies­jäh­ri­gen «Gurten-Gipfel» des Berner Kulturverbandes Bekult auf dem Berner Hausberg ver­sam­mel­ten sich rund 90 Personen – davon waren ca. 80 % StadtpolitikerInnen, die sich einen Gratiseintritt für das par­al­lel star­ten­de Gurtenfestival ergat­tern woll­ten. Das Festival ver­schenkt die­se Tickets, um für sich zu wer­ben – stand es doch bei den Berner VeranstalterInnen frü­her in Kritik wegen sei­ner Überdominanz. Keine dum­me Idee – und sie funk­tio­niert vor allem sehr gut: Diese Tickets sind heiss begehrt –, und beim ach­ten Mal die­ses Gurten-Gipfel-Service hat sich das bei den PolitikerInnen rum­ge­spro­chen. Es gab also etwas gra­tis – neben der abso­lut unzeit­ge­mäs­sen Hamme mit Kartoffelsalat, die jähr­lich und alt­vä­ter­lich-stolz anprie­sen wird. Der Gurten-Gipfel selbst ist von der Idee her gese­hen super: Die Kultur dis­ku­tiert aktu­el­le Themen unter sich und trifft sich für den gemein­sa­men Austausch. Nur eben: Die Kulturinstitutionen zei­gen oft wenig Diskussionsbereitschaft und Interesse an die­sem Event. Da wirkt auch die Gratis-Hamme nicht.

So sass man nun vor einem Podium bestehend aus Alec von Graffenried (Stadtpräsident), Corina Liebi (Stadträtin GLP), Tom Berger (Stadtrat FDP), Rahel Bucher (Heitere Fahne), Thomas Pauli-Gabi (Bernisches Historisches Museum). Die Moderation mach­te der Bekult-Sekretär Beat Glur. Das Thema war gut: «Kulturförderung wohin? Die städ­ti­sche Kulturförderung 2024–2027». Dieses poli­ti­sche Papier ist seit dem 10. Juni 2022 in der öffent­li­chen Vernehmlassung und defi­niert, wofür die Stadt Bern die näch­sten 4 Jahre 33 Kulturmillionen pro Jahr aus­gibt. Das Stadtdefizit von Bern ist für das Jahr 2022 mit 50 Millionen bud­ge­tiert. Es kann nicht oft genug gesagt wer­den, dass alle herz­lich ein­ge­la­den sind, bei die­ser Kulturbotschaft mit­zu­re­den und bis zum 21. August ein Veto ein­zu­le­gen! Und das muss unbe­dingt gesche­hen (https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/stadtverwaltung/prd/kultur-stadt-bern/vierjahresplanung/planung-2024–2027), denn es bahnt sich Schreckliches an.

Stadträtin Corina Liebi hat es bei der Podiumsdiskussion tref­fend gesagt – und es blieb erstaun­lich ruhig im Saal: Die Politik ver­sucht das gespro­che­ne Kulturgeld zu «steu­ern». Man sucht also poli­ti­sche Werkzeuge und Handhabungen, um die Subventionen und die Fördergelder so ein­zu­set­zen, dass sie poli­tisch ver­ant­wort­bar wer­den. Im Grundsatz ist das eine ver­ständ­li­che Haltung, es fragt sich dabei nur, wie detail­liert die­se «Steuerung» ein­ge­setzt wer­den soll­te. Und genau hier gera­ten wir auf dün­nes Eis: Die enor­me Abhängigkeit, in die sich die Kulturinstitutionen in den letz­ten 30 Jahren bege­ben haben, lässt mich zwei­feln, wie frei unse­re «Kultur und Kunst» heu­te noch ist.

Dazu hat am «Forum für Kultur & Ökonomie 2008» (ein jähr­li­ches Forum für alle öffent­li­chen und pri­va­ten Kulturförderinstitutionen und Kulturabteilungen) der dama­li­ge Präsident des deut­schen Kulturrates, Max Fuchs, Folgendes gesagt:

«Auch wenn das nicht ger­ne offen aus­ge­spro­chen wird: Kulturpolitik ist Kontrollpolitik. Kontrolle impli­ziert Macht. Wenn wir davon aus­ge­hen, dass die Künste in Zukunft nicht aus der Gesellschaft ver­schwin­den wer­den, dann wird auch die Politik wei­ter­hin Interesse haben, die­ses Feld mit­zu­ge­stal­ten – also mit Macht dar­auf zu wir­ken. Allerdings sind auch ande­re Kräfte in die­sem Feld aktiv, zum Beispiel die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und über­staat­li­che Global Players. In wel­che Richtung könn­te sich das Kräfteverhältnis in Anbetracht eines sich wan­deln­den Kunst- und Kulturverständnisses ent­wickeln?»

Vierzehn Jahre spä­ter müs­sen wir erken­nen: Die Wirtschaft hat sich aus der «Kunst» ver­ab­schie­det – nur noch klei­ne Interessensgruppen im Investmentbereich sind hier aktiv und eini­ge Lokalhelden. Der gros­se Teil der Zivilgesellschaft hat kul­tur­po­li­tisch wenig bei­gesteu­ert und schon gar kei­ne Forderungen gestellt (aus­ser Geld) und die Kunstschaffenden oder der kul­tur­enga­gier­te Teil davon war still und hat sich auf staat­li­ches Geld ver­las­sen. Die über­staat­li­chen Global Players, allen vor­an Facebook mit Metaverse, Netflix oder all die «Grossen», bau­en sich neue vir­tu­el­le Realitätenwelten auf und küm­mern sich nicht um das Hier und Jetzt. Netflix konn­ten wir wenig­stens per Gesetz dazu ver­pflich­ten, der natio­na­len Filmkultur etwas zurück­zu­ge­ben. Es geht aber nur um Geld. Was bleibt, ist die Politik, wel­che sich vor allem für die näch­sten Wahlen auf­stel­len will, und eine Repräsentationskultur, die kei­ne kul­tu­rel­le «Inhaltskultur» betreibt. Wie hat sich also das Thema Kulturpolitik ent­wickelt? And the win­ner is: die Politik. Bravo. Verloren haben die Gesellschaft und deren Entwicklung und selbst­ver­ständ­lich die Kultur- und Kunstschaffenden. Ziemlich selbst ver­schul­det.

Das Podiumsgespräch am Gurten-Gipfel blieb beschei­den brav, obschon sich Beat Glur bemüh­te, die Fragen unpro­vo­ka­tiv pro­vo­ka­tiv zu for­mu­lie­ren – was auch öfter gelang. Stadtpräsident Alec von Graffenried war schon vom ersten Ton an zu laut, ziem­lich abweh­rend und aggres­siv und tat dem noch mehr kund, als er nach rund 45 Minuten laut nach dem Apéro hechel­te und (gra­tis) an das Festival woll­te. Er ver­such­te zuvor noch einen sei­ner eige­nen Sparanträge mit «Ach, ich wer­de dafür eine Lösung mit Franziska Burkhardt (Kultursekretärin) fin­den, ihr wer­det Geld erhal­ten» zu ret­ten. Als wäre er der König, der so über das Geld ent­schei­den kann, und als ob es nicht eine kau­sa­le Verkettung der Beiträge gäbe. Nun, auch wenn man ihm immer wie­der atte­stiert, dass er kul­tur­in­ter­es­siert sei, so muss fest­ge­hal­ten wer­den, dass «Kulturpolitik» und die «Apéro-Kultur» nicht das­sel­be sind. Unlängst, bei einem Streitgespräch, hat mir Alec von Graffenried offen gesagt, dass er von Kulturpolitik eigent­lich kei­ne Ahnung habe und sein Interesse Immobilien gel­te. Ehrlich? Ja. Und ich glau­be ihm sogar. Genau so wird näm­lich in der Stadt Bern Kulturpolitik betrie­ben: gar nicht.

Thomas Pauli-Gabi (Direktor des Bernischen Historischen Museums) brach­te es dann auf den Punkt und hin­ter­liess die wich­tig­sten und denk­wür­dig­sten Aussagen des Abends:

1. Wenn die Stadt 93 500 Franken ein­spa­re, bedeu­te dies bei ihm einen Verlust von 235 000 Franken jähr­lich, weil der Kanton Bern, die Burgergemeinde und die Regionalkonferenz Bern-Mitteland nach einem pro­zen­tua­len Verteilschlüssel eben­falls die Gelder strei­chen müss­ten, obwohl sie das mut­mass­lich gar nicht woll­ten. Ob man die­ses absur­de Missverhältnis von Sparen auf Seite der Stadt und Budgetkürzung in der Kulturproduktion berück­sich­tigt hat bei der finanz­po­li­ti­schen Planung?

2. Man rede jetzt seit meh­re­ren Jahren vom «Leuchtturmprojekt» Museumsquartier Bern, und er fin­de kei­ne ein­zi­ge Erwähnung in der neu­en Kulturbotschaft, die dann doch bis 2027 gel­ten sol­le. Wie kann man ein solch gros­ses Projekt in einer Kulturbotschaft, die kul­tur­po­li­ti­sche Schwerpunkte set­zen will, «über­se­hen» oder «ver­ges­sen»? Und schluss­end­lich …

3. Warum gibt es nach sechs Jahren gel­ten­der städ­ti­scher Kulturstrategie (2017–28) kei­ne Zwischenbilanz, wel­che das Erreichte bilan­ziert, die aktu­el­le Situation ana­ly­siert und dar­aus die sinn­vol­len Schlüsse für kul­tur- und finanz­po­li­ti­sches Handeln in der Zukunft zieht?

Vor allem das Grosskonzept lehnt der Stadtpräsident vehe­ment und seit Amtsbeginn ab. Fakt ist, dass die Schweiz pro Jahr 3 Milliarden aus Steuereinnahmen in Kultur und Kunst inve­stiert, und über­all, in jeder Förderstelle fin­den wir ein klei­nes Königreich, einen klei­nen Filzhaufen, der kon­zept­los und «bei einem per­sön­li­chen Gespräch» – oder eben «bila­te­ral», wie Alec von Graffenried ger­ne in den Saal prahl­te – Geld ver­teilt. Ein demo­kra­ti­scher Prozess fin­det kaum statt – und wenn, dann oft ohne die Betroffenen, und selbst die zustän­di­gen poli­ti­schen Ratskommissionen wer­den nur zu kos­me­ti­schen Zwecken miss­braucht. Der Berner Stadtpräsident wehrt sich gegen ein Kulturkonzept des­we­gen, weil es eines gibt und er kei­ne Ahnung hat, wozu. Es ist eine Pseudo-Kulturstrategie, wel­che für die Zeit von 2017 bis 2028 «gilt» – wobei das nie breit dis­ku­tiert und von Franziska Burkhardt (vor dem Amtsantritt als Kultursekretärin) fast im Alleingang nie­der­ge­schrie­ben wur­de – als Abschiedsgeschenk für den unter­des­sen ver­stor­be­nen Alexander Tschäppät. Eben: ein Stück Repräsentationskultur.

Und nie­mand sagt was. Die Kulturschaffenden las­sen sich mit Almosen ihr Schweigen erkau­fen. Ihre Kraft reicht gera­de noch, um sich spä­ter in den Medien über schlech­te Zustände und feh­len­des Publikum zu bekla­gen. Und die Politik freut’s, weil sie durch kurz­schlüs­si­ge, unüber­leg­te und nicht nach­hal­ti­ge Flickaktionen auf sich auf­merk­sam machen kann. Niemand spricht zum Beispiel dar­über, dass die städ­ti­schen, die kan­to­na­len und die regio­na­len Subventionsverträge in einem sub­si­diä­ren und gegen­sei­tig kau­sa­len Verhältnis ste­hen und die Bevölkerung über die­se Verträge nicht gleich­zei­tig, son­dern zeit­ver­setzt (je ca. 2 Jahre) abstimmt. Wie will man so Kulturpolitik betrei­ben ohne Masterplan? Alec von Graffenried mein­te, es gebe an meh­re­ren Stellen sol­che Konzeptbeschreibungen – nur eben nie im Zusammenspiel mit allen AkteurInnen und schon gar nicht mit einer Vision für die Berner Kultur und deren Wirkung. Und vor allem kann man so die Politik nicht zur Rechenschaft zie­hen – das ist der eigent­li­che Trick.

In der neu­en Kulturbotschaft gibt es noch ande­re Brandsätze, die jede Alarmanlage in Schwingung ver­set­zen soll­ten: Zum Beispiel will man die vier­zehn demo­kra­ti­schen Förderkommissionen aus «Steuerungsgründen» neu auf­stel­len und zusam­men­le­gen. Man schwa­felt dabei von «Gartendenken bei den Kommissionen», schwie­ri­gen Zuständigkeitsfragen in der Abteilung und Verunsicherung bei den Gesuchstellenden. Nun gut, wir reden hier von einer Kulturabteilung mit fünf FachspezialistInnen, die die­se Geschäfte vor­be­rei­ten, die mit­ein­an­der reden müss­ten – das scheint bereits zu über­for­dern. Mit den neu­en Kommissionen, die wesent­lich mehr Dossiers behan­deln müs­sen, wird das aber noch um vie­les kom­pli­zier­ter wer­den, und es lässt ver­mu­ten, dass die «Antwortzeit» um ein Vielfaches ver­län­gert wird. So hat man zwar die poli­ti­sche «Planungssicherheit» garan­tiert, doch den Kulturschaffenden wird es zu blöd wer­den. So kann man als Stadt auch spa­ren.

Wer in die­sen neu­en Kommissionen sit­zen wird und die­se neu­en Machtpositionen beset­zen und füh­ren wird, ist natür­lich noch nicht klar. Bevor hier irgend­was abge­seg­net wird, müss­te unbe­dingt ein neu­es Kommissionsreglement öffent­lich gemacht wer­den, denn man kann nicht ein­fach demo­kra­ti­sche Strukturen eli­mi­nie­ren und zusam­men­le­gen. Immerhin geht es hier um Steuergeld – da soll­ten noch ein paar Leute mit­re­den dür­fen. Oder anders­rum: Der neue Kredit Projekt- und Programmförderung, dem 3,1 Millionen zur Verfügung ste­hen, wur­de frü­her von ins­ge­samt rund 50 bis 60 Personen aus Musikkommission, Kunstkommission, Literaturkommission, Theater- und Tanzkommission, Filmkommission, dem Kredit Weitere Beiträge und dem Kredit Infrastrukturen der Altstadt (eini­ge Kommissionen wer­den öffent­lich gar nicht auf­ge­li­stet) ent­schie­den und dis­ku­tiert. Doch glaubt jemand, dass in Zukunft wie­der 60 Personen gemein­sam und basis­de­mo­kra­tisch über 916 Gesuche (2021) ent­schei­den wer­den? Das wäre ver­rückt. In Zukunft wer­den das viel­leicht 15 Personen tun – mit viel Macht und enor­mem Einfluss auf die künst­le­ri­sche Entwicklung von Bern. Es müss­te gleich­zei­tig noch eine Kultur-Korruptionsuntersuchungskommission auf­ge­baut wer­den. Wäre eh schon lan­ge fäl­lig.

Ebenso ein Killer für die Kulturfinanzierung ist die neue Planungserklärung, wel­che das frü­he­re Förderverhältnis 85/15 % erset­zen soll. Das heisst: Die direk­te und insti­tu­tio­nel­le Förderung betrug 85 % der 33 Millionen – 15 % gin­gen an das freie Kulturschaffen (also eigent­lich in die­ses Kommissionengebilde, wie oben beschrie­ben). Neu hat man jetzt drei Begriffe, die den admi­ni­stra­ti­ven Aufwand um vie­les kom­ple­xer und kom­pli­zier­ter machen: Kreationsförderung, Plattformförderung und Interpretationsförderung. Das wird lustig! Das Geld, das als Kulturförderung aus­be­zahlt wird, wird in die Bürokratie inve­stiert. KünstlerInnen wer­den mit die­sen neu­en Begebenheiten nicht mehr zurecht­kom­men, Institutionen wer­den die Fundraising-Stellen auf­stocken. Diese Aufteilung ist aber nicht nur «money for not­hing», son­dern erbringt kei­ne künst­le­ri­sche Leistung. Und by the way fixiert es noch das Fördergeld an Leistungen, wel­che die Kulturinstitutionen bewe­gungs­un­fä­hig machen. Das Problem haben schon eini­ge Institutionen, die zwar mehr Geld erhal­ten haben, aber die­ses gar nicht brau­chen kön­nen, weil es zweck­ge­bun­den zu wenig ist und für ande­re Zwecke nicht ver­wen­det wer­den darf.

Und was bleibt? Eine Demokratie, wel­che von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch machen muss und der Politik eine Ohrfeige ertei­len soll­te. Was sich hier in der Berner Kulturpolitik anbahnt, ist der Untergang einer frei­en Kultur und Kunst. Und alles schaut zu und nickt, frisst Hamme und trinkt Gratiswein.

 

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