Andreas Neuenkirchen: Hello Kitty – ein Phänomen erobert die Welt, Metrolit Verlag
Von Sabine Hunziker – «Erzählungen von vermenschlichten Tieren faszinieren die Menschheit seit Jahrtausenden», schreibt Neuenkirchen. Es gibt die Tierfabeln, seltsame und uns doch nahestehende Wesen. Wir können ohne sie nicht leben. Die US-Amerikanische Forschung verwendet den Begriff «lustige Tiere» – denn anthropomorphe Geschichten erzählen heute nicht mehr von Moral, sondern vielmehr von Lustigkeit und wundersamen Dingen. Lewis Carroll hat es mit seinem Buch «Alice im Wunderland» vorgemacht. Kreationen in «Alice» haben inspiriert: das weisse Kaninchen, der Dodo, der Greif, der Märzhase oder die Grinsekatze. Sicher ist gerade die «Cheshire Cat» Pate für Hello Kitty gestanden – dies obwohl die Welt in Asien, wo Hello Kitty herkommt, reich an sprechenden Tieren als Naturgeister, Dämonen oder Götter ist.
Die Kreaturen aus den Legenden spielten den Menschen oft Streiche, oder taten ihnen einen Gefallen. Das veränderte sich aber mit der Zeit – aus der japanischen Mythologie heraus entwickelten sich putzige Tierwesen. Yoko Shimizu setzte sich 1974 hin, um ihre Arbeit im Bereich der Urform von «Kemono» zu verfeinern. Unter diesem Kunststil sind künstlerisch dargestellte Tiere gemeint, die in menschliche Zusammenhänge gesetzt werden: sie tragen Kleidung und sind irgendwie zivilisiert. Im Unterschied zu richtigen Menschen haben diese Tiere aber nur positive Charaktereigenschaften. So ist Hello Kitty entstanden, eine stilisierte Darstellung einer weissen Katze, die keinen Mund hat. Bei der Gestaltung orientierte man sich an der japanischen Stummelschwanzkatze – einem Glücksbringer. Wie man vermuten kann, ist Hello Kitty mehr als eine Figur. Sie wurde zu einem erfolgreichen Produkt des Kapitalismus, zum Hilfsmittel als erotischer Männer-Fetisch, Maskottchen der Kawaii-Kultur oder Wappen für Kitty Power der Girlie-Bewegung.
Das Buch «Hello Kitty – ein Phänomen erobert die Welt» gibt der weissen Schmusekatze eine Stimme, respektive, zeigt die Folgen der Vermarktung durch das Sanrio-Firmenimperium auf – aber nicht im Sinne einer staubtrockenen Darstellung der ökonomischen Vorgänge, vielmehr sind neben dem immensen kapitalistischen Mehrwert die prägenden Eingriffe in die Kultur wichtig. Die oben aufgelisteten Punkte geben dazu einen kurzen Einblick. Die Verführung zum Kapitalismus heisst Hello Kitty, Symbol für hemmungslosen und leidenschaftlichen Konsum. «Ich muss besitzen, also muss ich kaufen», schreibt Neuenkirchen. Menschen, die in einen Kitty White-Sog gekommen sind, bezahlen die Waren auch mit gestohlenem Geld, oder klauen die Produkte mit dem Katzen-Sujet einfach. So passiert ein Umkehrspiel – eine Art Gegenlauf im System: «Stehlen ohne Not ist eine antikapitalistische Geste», steht da im Buch. Doch gerade dieses «Stehlen/Betrügen», wie es beispielsweise bei Spekulationsblasen, bei der Schaffung des Mehrwerts, oder dem Einkauf des einfachen Bürgers auf Pump, der in Verschuldung endet vorkommt, macht den Grundkern des Kapitalismus aus.
Publiziert: ensuite Nr. 140, August 2014





