Editorial Nr. 140: Ein fri­scher Wind

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Von Lukas Vogelsang – Sie hal­ten das neu­ste ensuite und arten­suite – neu sind bei­de Magazine in einem Heft ver­eint – in den Händen. Wir haben alles umge­dreht und neu über­dacht, und das Resultat wird jetzt selbst für uns eine gros­se Überraschung sein. Nach mona­te­lan­ger Arbeit am Bildschirm und in unse­ren Köpfen ein phy­si­sches Ergebnis zu sehen wird span­nend – uns geht es jetzt wie Ihnen, lie­be LeserInnen.

In den zwölf Jahren unse­rer Existenz ist viel gesche­hen. Ich habe ver­sucht, auf Seite 8 etwas davon fest­zu­hal­ten, und ein paar damit zusam­men­hän­gen­de Gedankengänge zu tei­len. ensuite ist nicht – wie fälsch­li­cher­wei­se die Berner Zeitung ver­brei­te­te – klei­ner gewor­den. Im Gegenteil: ensuite ver­grös­sert. Man müss­te halt Pressemitteilungen rich­tig lesen kön­nen. Unserem Entschluss, ensuite «natio­nal» zu machen, sind vie­le Gedanken vor­aus­ge­gan­gen. Zum Beispiel, dass man sich einer Stadt nicht auf­drän­gen muss – das habe ich inzwi­schen gelernt. Und wenn wir grad dabei sind: Welcher Stadt? Ist nicht alles ein wenig pro­vin­zi­ell hier in der Schweiz? Und was heisst das schon?

Ich habe es immer wie­der geschrie­ben: Kultur ist in der Wahrnehmung eine sehr indi­vi­du­el­le und per­sön­li­che Sache, und funk­tio­niert nur in der Gemeinschaft als Kultur. «Kultur» ist nicht ein­fach «wich­tig» – denn «Kultur» haben und leben wir immer irgend­wie. Den Zustand der Kulturlosigkeit gibt es nicht. Deswegen ist «Kultur» nicht ein Thema des Geldes, son­dern des Inhaltes. Ein Kulturmagazin ist also hier, um einen Dialog mit­zu­füh­ren – ich glau­be sagen zu dür­fen, dass wir mit ensuite bis heu­te einen guten Boden gelegt haben.

Am Kulturangebot teil­zu­neh­men, als BesucherIn oder KünstlerIn, heisst, sich für die Gemeinschaft zu enga­gie­ren. Und dies ist in einer Zeit der «Selfies» ziem­lich kom­pli­ziert gewor­den. Das bedeu­tet für uns Medien, wenn wir den «Presseauftrag» ernst neh­men und nicht ein­fach ein Werbemagazin sein wol­len, dass die poten­ti­el­le Leserschaft klei­ner wird wenn wir nichts unter­neh­men, weil sie sich immer mehr für sich sel­ber als für die Gemeinschaft inter­es­siert. Ich habe von Magazinen gehört, wel­che pro Jahr rund 10 % der AbonnentInnen ver­lie­ren. Das macht mir Angst. Wenn wir eine Zukunft haben wol­len als Kulturmagazin, gemeint ist auch des­sen Funktion, müs­sen wir uns mit­ver­än­dern.

Diesen Frühling war ich für ein paar Tage in Paris, und wäh­rend der Rückfahrt erschien mir mein Wahl-Heimatdorf Bern sehr klein. In der gesam­ten Schweiz leben weni­ger Menschen, als in der Stadt Paris mit Agglomeration. Und dabei läuft allei­ne in Bern, im Verhältnis und kul­tu­rell gese­hen, mehr als in Paris – aber haben wir des­we­gen ver­hält­nis­mäs­sig auch mehr LeserInnen? Und war­um nicht? Oder anders rum: Warum gibt es kaum noch Kulturmagazine? Und war­um ist ensuite mit sei­ner Auflage von 10 000 Exemplaren immer noch das gröss­te unab­hän­gi­ge Kulturmagazin in der Schweiz?

Jedes Dorf ver­sucht in die­sem Land, sei­ne kul­tu­rel­len Schwerpunkte in den Vordergrund zu stel­len. Ginge es nicht dar­um, das Dorf in die Welt zu brin­gen, oder bes­ser: All die Dörfer zu einer gemein­sa­men kul­tu­rel­len Identität, oder zumin­dest einer Zugehörigkeits-Wahrnehmung zu brin­gen? Oder über­haupt, mit­ein­an­der zu kom­mu­ni­zie­ren? Das ist der Grund, war­um wir auf der neu­en Titelseite ein (klei­nes) Schweizerwappen tra­gen. Das soll uns an unse­re Gemeinsamkeiten erin­nern. Wir nen­nen uns neu «Zeitschrift» – weil dies die Dokumentation unse­res Raums und unse­rer Zeit beschreibt. Ebenso sagen wir nicht: «für» oder «über» Kultur & Kunst, denn wir schrei­ben für unse­re LeserInnen und beglei­ten sie mit Themen, über die sie sich sel­ber eine Meinung bil­den sol­len. Nicht wir, die Redaktion, bestim­men, was Kultur oder Kunst ist – das wäre über­heb­lich. Aber wir kön­nen zu erklä­ren ver­su­chen, was uns wich­tig und span­nend erscheint, oder wie man Dinge auch betrach­ten kann. Wir kön­nen unse­re LeserInnen nur beglei­ten in «Kultur & Kunst».

Und zu guter Letzt woll­ten wir die Begriffe Kultur und Kunst getrennt nen­nen. Kultur haben wir alle – aber Kunst machen nicht alle. Kunst ist ein Handwerk und mehr, nicht ein­fach nur eine krea­ti­ve Idee. Wenn etwas auf einer Bühne gezeigt wird, heisst das nicht, dass es Kunst oder künst­le­risch wert­voll ist. Wir müss­ten bes­ser unter­schei­den ler­nen, wel­che Kulturbegriffe wir wie ver­wen­den. Als Gesellschaft soll­ten wir unse­re Sprache dif­fe­ren­zier­ter ver­wen­den ler­nen. Dies wür­de den Unterschied machen.

Diese Überlegungen, und natür­lich noch vie­le mehr, haben zum Ergebnis geführt, wel­ches Sie, lie­be LeserInnen, jetzt in den Händen hal­ten. Noch wis­sen auch wir nicht genau, wohin uns unser Weg füh­ren wird, und es liegt viel Arbeit vor uns. Alles haben wir noch nicht im Griff. Wir sind über­zeugt, dass die­ses neue ensuite sei­ne Einzigartigkeit nicht ver­lie­ren wird, und den Kulturdialog in der Schweiz mit­ge­stal­ten kann. Und für jene, wel­che die Kulturagenda suchen: Wir sind dabei, online das Angebot aus­zu­bau­en. Im Herbst wer­den wir auch da wie­der den vol­len Service bie­ten. Ich wün­sche viel Spass beim Lesen und freue mich auf Feedbacks.


Bild – Titelseite Nr. 140: Simon Pegg im Interview mit Sonja Wenger: «Der Weg zum Glück hat nichts damit zu tun, dem Unglück aus­zu­wei­chen» Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 140,  August 2014

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