Feuer der Diskriminierung

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Von Dr. Regula Stämpfli - Die Reduktion von Menschen auf öko­no­mi­sche Konzepte oder ihr Geschlecht führt in kei­ner­lei Disziplin wei­ter. Als Kategorie der Diskriminierung funk­tio­niert das Geschlecht aber her­vor­ra­gend.

Wolfram Eilenberger hat ein unmög­li­ches Buch zu vier Philosophinnen geschrie­ben: Es ist absei­tig, ver­kehrt, anstös­sig, unan­ge­nehm. Und zwar auf vie­len Ebenen. Erstens ver­gleicht er vier Philosophinnen mit­ein­an­der, die nichts, aus­ser einem ähn­li­chen Geburtsdatum, gemein­sam haben. Zweitens sind die vier «Philosophinnen» gar kei­ne. Hannah Arendt wies den Begriff für sich expli­zit zurück, Ayn Rand war im besten Fall eine mit­tel­mäs­si­ge, ultra­ka­pi­ta­li­sti­sche, geld­ver­ses­se­ne Sado-Maso-Literatin, Simone de Beauvoir die gröss­te Gesellschaftstheoretikerin des 20. Jahrhunderts und Simone Weil eine Sozialrevolutionärin mit Hang zur christ­li­chen Mystik und bud­dhi­sti­schen Einsichten. Die vier Frauen in ein Buch zu packen, drit­tens, ent­spricht dem Versuch, ein Band zum Thema «Freie Rede» mit Joseph Goebbels, Niklas Luhmann, Isaiah Berlin und Dalai-Lama zu ver­öf­fent­li­chen. Goebbels nimmt in die­sem Vergleich die Rolle von Ayn Rand ein, Simone de Beauvoir die von Niklas Luhmann, Hannah Arendt Isaiah Berlin und Simone Weil die von Dalai-Lama.

Würden die erwähn­ten Herren von einem Philosophen in einem ein­zi­gen Werk gemein­sam, vor allem mit­tels Liebes- und Freundesbriefe, als Philosophen der frei­en Rede, Kommunikation und Demokratie bespro­chen wer­den? Niemals. Aber offen­sicht­lich ist die Verachtung und Benachteiligung von den­ken­den Menschen auf­grund ihres Frauseins phi­lo­so­phisch so akzep­ta­bel, dass der deut­sche Feuilleton Eilenbergers Werk in höch­sten Tönen rühmt.

In mei­ner, in der Dezemberausgabe 2020 von ensuite lei­der ver­öf­fent­lich­ten und unre­di­gier­ten Rohversion zu Eilenbergers «Freiheit», gehen vor lau­ter Wut über die offen­sicht­li­che Geringschätzigkeit, Herabsetzung, ja Hohn gegen­über den vier Frauen, die wich­tig­sten Argumente in fal­scher Syntax, Grammatik wie Wortwahl unter. Ich bin immer noch wütend, ent­setzt, regel­recht von Furien beses­sen: Hätte ich Zeit und Geld wür­de ich Eilenbergers Machwerk Satz für Satz als falsch gesetzt, ver­quer gedacht, unmög­lich for­mu­liert und abar­tig kon­tex­tua­li­siert, aus­ein­an­der­neh­men. Warum in aller Welt bin ich die Einzige, die mit Hannah Arendt den phi­lo­so­phi­schen Skandal, den Eilenberger hier in allem Sexismus pro­du­ziert, ent­larvt?

Doch Eilenbergers Buch eig­net sich nicht ein­mal für ein Debattenfeuer: Es ist der­mas­sen kreuz­falsch, dass mein Gehirn schmerzt beim Lesen.

Stichwortartig mei­ne wich­tig­sten Punkte:

- Vier völ­lig unter­schied­li­che, dia­me­tral anders­den­ken­de, han­deln­de und publi­zie­ren­de Frauen auf­grund ihrer Generation in ein Buch zu packen, ist nach Arendt «klas­si­scher Sophismus», der dar­in besteht, «den Verstand mit Argumenten zu bezau­bern» und damit «einen Sieg der Argumente auf Kosten der Wahrheit» erzie­len zu wol­len. (Totalitarismus, S.34)

- Eilenberger sagt nichts zu Arendt, Beauvoir, Weil und Ayn Rand, son­dern zu Eilenbergers Variante von «Philosophinnen».

- Eilenberger benutzt dis­kri­mi­nie­ren­de Bilder, die den Eindruck ver­mit­teln, die Wirklichkeit abzu­bil­den, wenn sie in Bezug auf die Denkerinnen das Gegenteil tun.

- Eilenberger inter­es­sie­ren die Männer der vier Frauen viel mehr als die Schriften von Rand, Beauvoir, Arendt und Weil.

- Eilenberger prä­sen­tiert einen stan­dar­di­sier­ten männ­li­chen Blick auf soge­nann­te Philosophinnen: das Buch strotzt nur so von tra­di­tio­nell geschlech­ter­zu­ge­ord­ne­ten Settings.

- Eilenbergers Männer den­ken, Eilenbergers Frauen lie­ben.

-Eilenbergers Buch wird sofort ent­larvt, wenn Frau die Umkehr-Probe anwen­det.

- Eilenberger stellt Männer posi­tiv kli­schiert dar, die Frauen ste­reo­typ nega­tiv: Sie sind stän­dig im Defizitmodus.

- Eilenberger gibt vor, über vier Frauen zu schrei­ben, aber er schreibt nur über Eilenbergers Variation von selbsti­ma­gi­nier­ten Figuren, denen er die Namen Beauvoir, Weil, Rand und Arendt gibt. Er zitiert nur Quellen, die die­sen von ihm ima­gi­nier­ten Figuren ent­spre­chen.

Dass der bis­he­ri­ge Feuilleton dies nicht ent­deckt hat, son­dern den Fantasmen Eilenbergers folgt, ist ein Skandal. Denn es drängt sich ein ver­nich­ten­der Verdacht zur Motivation von Eilenberger auf: Offensichtlich ging es in die­sem Werk zu den völ­lig ver­zerr­ten und selbsti­ma­gi­nier­ten Frauenfiguren nicht um Rand, Beauvoir, Arendt oder Weil, son­dern in erster Linie dar­um, die­se Frauen so ins Bild zu set­zen, dass von ihren Werken nichts mehr übrig­bleibt. Rand mit Beauvoir, Arendt und Weil gleich­zu­set­zen ist mephi­sto­phe­lisch übel. Beauvoir, Arendt und Weil dar­über hin­aus über deren Männer, im Fall von Weil, über Gott, zu defi­nie­ren, ent­spricht den klas­si­schen Unsichtbarmachungs-Strategien patri­ar­cha­ler Wissenschaftler des 19./20. und nun auch 21. Jahrhunderts.

 

Wolfram Eilenberger, Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in fin­ste­ren Zeiten 1933–1943, Klett-Cotta, Stuttgart 2020, 396 Seiten.

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