Menschen & Medien: Leserzahlen: Need for Speed

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Von Lukas Vogelsang – Die Tageszeitungen ver­mel­den Ungutes – mal abge­se­hen von den unmo­ra­li­schen Gewinnen, wel­che für unmo­ra­li­sche Bereicherungssüchte ein­ge­setzt wer­den. Aber die Luxus-Kreuzfahrtschiffe der gros­sen Medienunternehmen lie­gen gewal­tig schräg in den stür­mi­schen Wellen. Erst vor ein paar Wochen wur­den durch die WEMF (Schweizer Werbemedienforschungsunternehmen) eini­ge Zahlen publik gemacht. Da es mich auch betrifft und wir in ähn­li­chen Gewässern rum­kur­ven, habe ich mal ein paar Rechnereien ange­stellt. Mich hat inter­es­siert, wie­vie­le LeserInnen eine Zeitung pro Tag ver­liert.

Ich habe hier erst im Januar noch dar­über gespro­chen, dass die LeserInnen wie­der zurück in den Fokus der Medienverlage rücken müs­sen. Wir pro­du­zie­ren unse­re Medien unter­des­sen für Hamster, Schneider und Anwälte – aber nicht mehr für LeserInnen. Das Höchste, was Verleger zur Zeit auf die Reihe krie­gen – neben den Renditerechnungen – ist, unse­re Kunden als «User» zu beti­teln. Und dann, obwohl alle Bezahlmodelle im Internet ziem­lich pein­lich sind, ver­su­chen die Verlage an den Eutern der vir­tu­el­len Kuh rum­zu­nip­peln. Und klar spre­chen sie bei der Registrierung die LeserInnen als erstes als «User» an.

Korrekturhalber muss ich mich bei den «bösen VerlegerInnen» aus­schlies­sen: Erstens habe «ich» das mit den LeserInnen-Usern «erfun­den» (so wür­de das Schawinski sagen), was mich a prio­ri zu einem bes­se­ren Verleger macht… und zwei­tens gibt es beim ensuite kei­ne Renditen. Aber zu den Zahlen – und wie immer sind dies nur unge­naue Zahlenspiele, geben aber ein vor­stell­ba­res Bild ab:

BZ/Bund-Auflagen (inkl. Berner Oberland, Emmental, Langenthal und Thun) zäh­len gemäss WEMF eine ver­brei­te­te Auflage von 165’855 Exemplaren und errei­chen damit eine Leserschaft von 347’000 LeserInnen. Das heisst, eine Zeitung wird von 2.01 LeserInnen gele­sen. Gemäss den Statistiken hat die­ses Auflagebündel 2013 rund 14’000 LeserInnen ver­lo­ren. Das heisst also 14’000 divi­diert durch die 2.01 ergibt effek­tiv: 6’965 gekauf­te (oder auch nicht) Zeitungen weni­ger. Wenn wir das auf 260 Arbeitstage eines Jahres (o.k., ohne Feiertage und so) rech­nen, heisst das im Klartext: Pro Tag ver­liert die BZ/Bund Gesamtauflage unge­fähr 26 Vertriebs-AbonnentInnen. (Die Zahlen wären inkl. Gratisabos, etc…gerechnet.)
Beim Tagesanzeiger sieht es ähn­lich aus: 490’000 LeserInnen, Auflage 173’877, eben­falls 14’000 LeserInnen weni­ger im 2013, ergibt bei einem Faktor 2.82 (LeserInnen pro Ausgabe) rund 19 Vertriebs-AbonnentInnen pro Tag
weni­ger.

Die NZZ erreicht mit 126’795 Zeitungen rund 279’000 LeserInnen, und ver­lor letz­tes Jahr 9’000 davon. Beim Faktor 2.2 LeserInnen pro Ausgabe heisst das 15 Abos weni­ger pro Tag. Und so geht das wei­ter. Je klei­ner die Zeitung, desto klei­ner auch der täg­li­che Verlust – was natür­lich vor allem eine Prozent-Rechnung dar­stellt.

ensuite? Nun, wir haben kei­ne offi­zi­el­len Messungen. Aber ich sehe es auf mei­nem Bürotisch: Pro Monat ver­lie­ren wir viel­leicht 5 AbonnentInnen, und gewin­nen dafür 45 dazu (Aktionsjahr 2013). Aber das ist pro Monat gerech­net. Pro Tag macht dies nach der Rechnung von vor­her: plus 1.7 Neuabos jeden Tag – ein wesent­li­cher Unterschied. Im direk­ten Vergleich mit den Tageszeitungen geht es uns ja blen­dend!

Kein Wunder also, dass die Verlage hohe Renditen brau­chen. Dieses Geld brau­chen sie für Speed – Drogen. Rasant, wie die Medien sich hier ins Bodenlose stür­zen – da braucht es schon einen guten Sportwagen mit vie­len PS. Und um die­sen zu finan­zie­ren muss bei den lästi­gen Journalisten gekürzt und gestutzt wer­den. Der Vergleich funk­tio­niert ja mit den Bankern genau gleich: Je mehr Geld in den Sand gesetzt wird, desto sport­lich teu­rer ist das Auto, das Haus, die Ferienloft, der Champagner. Und die LeserInnen? Die sprin­gen zu Recht ab. Unsere einst so stol­zen und tra­di­ti­ons­be­wuss­ten Medienhäuser sind nur noch Freudenhäuser für Speed-Drögeler.

Und wenn wir schon so frisch aus dem Nähkästchen plau­dern, dann kann ich ja gleich noch ankün­di­gen, dass ensuite im Sommer mal wie­der eine Metamorphose durch­ma­chen wird. Über das «wie» schwei­ge ich noch – aber eines ist klar: Wir tun etwas für unse­re LeserInnen.

Foto: zVg.
ensuite, April 2014

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