EDITORIAL Nr. 136: Wir alle ste­hen da mit­ten drin

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Von Lukas Vogelsang – Noch ist erst der Prozess gestar­tet und ein Anfang gemacht – viel Arbeit wird fol­gen. Man kann jetzt aber schon sagen, dass die 1. Berner Kulturkonferenz ein vol­ler Erfolg war. Die über­ra­schend vie­len TeilnehmerInnen und die vie­len Fachgruppenanmeldungen geben guten Grund zur Annahme, dass wir eine Gemeinschaft zusam­men­trom­meln, die nicht nur über Kultur reden will, son­dern auch aktiv mit­zu­ge­stal­ten gedenkt. Sehr über­ra­schend ist das Interesse vom Rest der Schweiz. So hat die Kulturkonferenz weit mehr «TeilnehmerInnen», als wir uns je erdacht haben.

Was unter­schei­det die Berner Kulturkonferenz von den bis­he­ri­gen Kultur-Diskussionen? Der Vorwurf, dass die vie­len Gespräche und Roundtables wenig bewegt haben stimmt: Viele Anläufe ver­lau­fen im Sand. Dies vor allem, weil ein Plan nie wei­ter als bis zu den Gesprächen gedacht wur­de. Die Umsetzung und das Ziel waren sel­ten das Konzept. Durch ein­fa­che Einsicht bewegt sich die Welt aber kaum. Es braucht Handlungen.

Einige kri­ti­sche Stimmen mei­nen, dass die Kulturschaffenden nicht «Realpolitik» betrei­ben sol­len: das Kulturkonzept sei Aufgabe von den PolitikerInnen. Diese KritikerInnen gehen davon aus, dass PolitikerInnen sel­ber Konzepte schrei­ben. Doch die bestim­men nur, ob ein sol­ches geschrie­ben wird. Die Politik ent­schei­det, sie kre­iert sel­ten etwas. Einen sol­chen krea­ti­ven Auftrag ver­gibt sie den zustän­di­gen Abteilungen oder Ämtern, und die­se wie­der­um erschaf­fen nach eige­nen Interpretationen und Willen ein Papier, wel­ches, wie­der zurück in den poli­ti­schen Gremien, bewil­ligt wer­den muss. Und genau das ist die Ohnmacht in der sonst erfreu­li­chen Mitsprache-Demokratie: Vom Bedürfnis zur Entscheidung bis zur Umsetzung ver­ge­hen Jahre, und vie­le Köche mischen in der poli­ti­schen Küche mit – noch ganz ande­ren Bedürfnissen fol­gend, die mit der Sache oft gar nichts zu tun haben.

Was ich damit sagen will: Auch wenn eine Kulturabteilung ein Konzept erstellt, so muss die­ses erst poli­tisch «bewil­ligt» und abge­seg­net wer­den. Ein geschrie­be­nes Konzept ist also noch nicht fixiert. In einem Stadtparlament sind die kul­tu­rel­len Interessen in den Prioritätsstufen nicht an ober­ster Stelle. Das heisst, ein «Ja» oder «Nein» hat hier viel mit par­tei­li­chen Gegendeals zu tun: Ich stim­me der Kulturvorlage zu, wenn du dei­ne Stimme für das Verkehrskonzept gibst, usw … Richtig span­nend wird es also, wenn zwei Vorlagen vor­han­den sind. Jetzt wird es poli­tisch schwie­rig, denn jetzt muss die Stimme zum Inhalt ver­teilt wer­den – sonst könn­te es par­tei­lich gese­hen dum­me Folgen haben. Nur: Welches mit dem Konzeptauftrag beor­der­te Amt erstellt von sich aus zwei Vorlagen? Und wer will die Kosten auf sich neh­men, frei­wil­lig ein zwei­tes Konzept zu erschaf­fen?

In einer Demokratie fin­de ich es maka­ber, dass aus­ge­rech­net Kulturschaffende for­dern, dass man sie dik­tiert, also ent­mün­digt, und ihnen Raum und Funktion in der Gesellschaft vor­schreibt. In Bern, aber auch in Zürich, las­sen sich vie­le ein­span­nen. Die Forderungen der Kulturschaffenden an die öffent­li­che Hand sind näm­lich fast aus­schliess­lich finan­zi­el­ler Natur – eben nicht inhalt­li­cher. Doch die Politik ist kei­ne Institution für die Lösung unse­rer Probleme. Wo sind denn die GesellschaftsdenkerInnen? Wir wären doch alle poli­tisch aktiv: In einer Demokratie denkt und schlägt die Bevölkerung die Themen vor und wählt die VertreterInnen, wel­che unse­re Anliegen mit den ande­ren MeinungsvertreterInnen dis­ku­tie­ren und als gemein­gül­ti­ge Regeln abseg­nen. Sicher: Mit den Händen in den par­tei­lo­sen Hosentaschen, mit kurz­sich­ti­gem Stammtischgegröle ist nicht all­zu­viel anzu­rich­ten. Zumindest nicht glaub­haft, und schon gar nicht mit dem Backstein.

Das klingt hier alles ziem­lich banal. Aber ich ver­si­che­re Ihnen, lie­be LeserInnen: Die Diskussionen, wel­che die Berner Kulturkonferenz aus­ge­löst hat, sind noch ent­fernt von einer Politik. Wir sind momen­tan bei den Forderungen nach Geld und der absur­den Meinung, dass Geld für einen Kunstschaffenden das abso­lu­te Respektzeugnis dar­stellt. Und wenn wir über wirk­li­che Inhalte reden wol­len, ren­nen die Leute weg, weil es zu poli­tisch wird. Wirklicher Inhalt wäre, wenn wir «Kultur» im Zusammenhang zur Gesellschaft und weg von den Einzelinteressen und Institutionen gemein­sam für die näch­sten 5 Jahre defi­nie­ren könn­ten.

Nun, es besteht noch Hoffnung. Die Fachgruppengespräche der Berner Kulturkonferenz wer­den nicht ein­fach Forderungskataloge erschaf­fen. Unser geplan­tes Grobkonzept ist eine Wegbeschreibung von A nach B, mit einem Umsetzungskatalog. Wir begin­nen also hier und orten erst unse­ren Standort, defi­nie­ren von die­ser Ausgangslage aus das Ziel (mit Blick auf das Jahr 2020) und suchen gemein­sam Lösungen, um die­ses Ziel zu errei­chen. Wir erstel­len kein Budget – denn das ist die Arbeit von BuchhalterInnen. Aber wir kön­nen die Daten lie­fern, damit ein sol­ches Budget bis 2019 (Dauer der näch­sten Vertragsperiode) auch geplant und das öffent­li­che Geld sinn­voll ein­ge­setzt wer­den kann.

Wir alle ste­hen da mit­ten drin. Einige sind an der Front akti­ver als ande­re – aber es geht schluss­end­lich in unse­rer Gesellschaft immer um die glei­chen Menschen: Uns alle. Und des­we­gen lie­be ich die Demokratie.

Zum Foto von David Hamilton auf der Titelseite: Ich möch­te dem Fotografen Remo Neuhaus ganz herz­lich dan­ken für die sehr spon­ta­ne und freund­li­che Zusammenarbeit. Remo stellt sei­ne Bilder zusam­men mit David Hamilton in der Galerie Rigassi, Bern, (bis zum 24. April) aus.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 136, April 2014

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