Und immer wie­der Kafka

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Von Julia Richter – Die Inszenierung von Kafkas «Prozess» im Zürcher Schauspielhaus ver­deut­licht auf gekonn­te Art und Weise die Aktualität einer beklem­men­den Geschichte.

Wie Fingernägel, die auf einer Tafel krat­zen. Mit die­sem Soundtrack und einem in Arbeit ver­sun­ke­nen Protagonisten Josef K. ist das Publikum im Schauspielhaus Zürich zu Beginn der jüng­sten Inszenierung von Franz Kafkas «Prozess» allein. Der Roman wur­de 1925 post­hum ver­öf­fent­licht – in Zürich wird die Anfangsszene unter der Regie der Schauspielhaus-Intendantin Barbara Frey jedoch in die heu­ti­ge Zeit manö­vriert: Josef K. ist im Besitz von Laptop und Smartphone und geht im fahl­blau­en Widerschein des Bildschirms sei­ner Arbeit nach. Auf den ersten Blick wirkt das zwar unnö­tig, macht aber im Kontext der Inszenierung durch­aus Sinn. Was bei Kafka Verhaftung und Prozess ist, wird für den moder­nen Menschen durch einen ver­selb­stän­dig­ten Mechanismus kaum zu bewäl­ti­gen­der Arbeitsaufgaben ersetzt.

Die unge­dul­di­ge Beklemmung der Anfangsszene ver­schwin­det das gan­ze Stück hin­durch nicht. Dies ist haupt­säch­lich der Natur des zur Bühnenfassung umge­ar­bei­te­ten Romans geschul­det, der als düste­re Allegorie einer unsin­ni­gen Bürokratie daher­kommt. Kafka hat in sei­nem Buch eine Welt geschaf­fen, in der man die Geschichte eines unschul­dig Angeklagten ver­fol­gen kann, der sich in den Sog sei­nes schein­bar unaus­weich­li­chen Schicksals gezo­gen sieht.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Joseph K. wird am Morgen sei­nes 30. Geburtstages ver­haf­tet. Er weiss nicht war­um, und es gibt auch nie­man­den, der sich die Mühe machen wür­de, ihm das zu erklä­ren. Deshalb fin­det er sich plötz­lich als Angeklagter in einem Prozess wie­der, der von undurch­schau­ba­ren Mechanismen und kom­ple­xen Hierarchien domi­niert wird, und aus dem er sich nicht mehr befrei­en kann.

Markus Scheumann ver­kör­pert den Joseph K. und tut dies mit mini­ma­li­sti­scher Brillanz. Er spielt den von Bürokraten ange­klag­ten Bürokraten, der sich zu Beginn der rund zwei Stunden andau­ern­den Inszenierung noch ver­hal­ten opti­mi­stisch gibt. Denn obwohl er ver­haf­tet wur­de, steht es dem Angeklagten vor­erst frei, sei­ner Arbeit als Bankangestellter wei­ter nach­zu­ge­hen und sein nor­ma­les Leben fort­zu­set­zen. Im Verlaufe des Stücks zeigt Scheumann jedoch mit einer durch Subtilität über­zeu­gen­den Körperlichkeit das all­mäh­li­che Zerbrechen des Protagonisten. Das Zerbrechen an einem Gerichtsprozess, in dem Grundrechte mit Füssen getre­ten und die Angeklagten der Willkür des Gerichts aus­ge­setzt wer­den.

Dass es im von Düsterkeit gepräg­ten Setting auch komi­sche Momente geben kann, zeigt Siggi Schwientek als Advokat Huld. In einer gekonn­ten Mischung aus Zynismus und Komik legt er in einem lan­gen Monolog die unsin­ni­ge Existenz der Anwälte dar – «die Verteidigung ist näm­lich durch das Gesetz nicht eigent­lich gestat­tet, son­dern nur gedul­det».

Die alle­samt von Dagna Litzenberger Vinet ver­kör­per­ten Frauen hin­ter­las­sen dage­gen ein zwie­lich­ti­ges Bild. Denn die drei Frauenfiguren im «Prozess» haben neben ihrer Funktion, las­ziv und ver­füh­re­risch zu sein, kaum eine Aufgabe. Ein wenig schmei­chel­haf­tes Bild, das Kafka zeich­ne­te. Und noch weni­ger schmei­chel­haft, wie Regisseurin Barbara Frey die­ses auf­nimmt: Die Inszenierung zeigt Frauen, die einem streng hier­ar­chi­schen Patriarchat nichts ent­ge­gen­zu­set­zen haben als ihre Sexualität, und dabei ver­su­chen, einen Einfluss vor­zu­täu­schen den sie nicht haben.

Im Grossen und Ganzen lohnt es sich, dem Schauspielhaus für den «Prozess» einen Besuch abzu­stat­ten. Denn die Botschaft des Romans ist zeit­los und wird durch die Inszenierung in Zürich erneut repro­du­ziert: ein Individuum steht einem obsku­ren System gegen­über und ist des­sen Willkür hilf­los aus­ge­lie­fert. Und wie der oben beschrie­be­ne Auftakt des Stückes zeigt: das Gefangensein in einem unent­rinn­ba­ren System stän­dig wach­sen­der Arbeitsberge bil­det ein Zeitphänomen, das Verwandtschaft mit der von Kafka auf­ge­zeig­ten Welt auf­weist. Der Abwärtsstrudel einer beruf­li­chen Tätigkeit, deren Anforderungen mit erhöh­tem Arbeitseinsatz nicht etwa klei­ner, son­dern immer grös­ser wer­den, und die schliess­lich ihre Klimax in Burnout-Erscheinungen fin­det. Die Auseinandersetzung mit Kafka lohnt sich – und die Zürcher Inszenierung im Schauspielhaus bie­tet eine erfri­schen­de Gelegenheit, sich aufs Neue mit der Materie zu befas­sen.

Bild: Markus Scheumann als Josef K. / Foto: Matthias Horn
ensuite, Januar 2014

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