Als es noch IMF hieß…

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Von François Lilienfeld – Was war eigent­lich an dem Namen Internationale Musikfestwochen Luzern zu bemän­geln? Warum «Lucerne Festival»? Was wür­den wohl die Londoner sagen, wenn man ihre Proms plötz­lich als «Concerts Promenade» bezeich­ne­te? Englisch ist eine wun­der­ba­re Sprache, aber ihr Missbrauch als Globalisierungsklebstoff ist zum Übelwerden!

Kehren wir also zurück zu den IMF. Sie wur­den 1938 begrün­det. Beteiligt waren unter Anderen Adolf Busch und Arturo Toscanini. Bald wur­de Luzern zu einem der weni­gen deutsch­spra­chi­gen Zentren, wo von den Nazis ver­trie­be­ne Künstler sich tref­fen und auf­tre­ten konn­ten. Die Festwochen fie­len wäh­rend des Krieges nur 1940 aus. Nach 1945 fan­den am Vierwaldstättersee wei­ter­hin histo­ri­sche Ereignisse statt, so z.B. die gemein­sa­men Auftritte von Yehudi Menuhin und Wilhelm Furtwängler.

Die CD-Firma Audite, deren Katalog zum Interessantesten und Unternehmungslustigsten gehört, was der Tonträger-Markt heu­te zu bie­ten hat, begann vor kur­zem, eine Serie mit Konzertmitschnitten aus Luzern her­aus­zu­ge­ben. Bis jetzt sind drei CDs erschie­nen, in einer Tonqualität über die man nur bewun­dernd stau­nen kann.

Am Anfang ste­hen zwei Klavierkonzerte (audi­te 95.623): Mozarts KV 466 in D‑moll, mit Clara Haskil und dem Philharmonia Orchestra unter Otto Klemperer (1959), sowie Beethovens Fünftes Konzert, Es-dur, mit Robert Casadesus und den Wiener Philharmonikern unter Dimitri Mitropoulos (1957).

Clara Haskil, die sehr selbst­kri­tisch war, emp­fand die Luzerner Aufführung als unver­gess­lich, und tat­säch­lich war das Zusammenspiel mit Klemperer ein wah­res Gipfeltreffen. Diese Aufnahme ist sicher eine Referenz, eine muster­gül­ti­ge Realisierung des hoch­emo­tio­nel­len D‑moll-Konzertes. Sie straft auch das Vorurteil der bis zur Zerbrechlichkeit sanf­ten Pianistin. Natürlich war Clara Haskil, von Krankheiten und Schicksalsschlägen geprägt, alles ande­re als eine «Klavierlöwin»; aber was für Kraft des Klangs und des Ausdrucks sie ihrem Spiel geben konn­te, wird in die­sem Dokument immer wie­der deut­lich.

Die Beethoven-Aufnahme mit Casadesus ist dage­gen eher ent­täu­schend. Hier wird aus Kraft und küh­nem Zupacken oft Brutalität, was dem Werk – bei aller monu­men­ta­len Anlage – nicht ent­spricht, und auch sehr vie­le unsau­be­re Passagen zur Folge hat. Ein Genuss sind hin­ge­gen die Tuttistellen, von Mitropoulos mit gewohn­ter Souveränität gelei­tet. Schade, dass eini­ge Intonationstrübungen den Anfang des lang­sa­men Satzes stö­ren.

Bei der zwei­ten CD steht der Geiger Isaac Stern im Mittelpunkt (audi­te 95.624). Seine 1958 mit Lorin Maazel und dem Schweizer Festpielorchester prä­sen­tier­te Aufführung des Tschaikowski-Violinkonzertes ist ein Treffen zwei­er jun­ger Feuerköpfe – Stern war 38, Maazel 28 Jahre alt. Was da an explo­si­ver Energie, an Schwung und Enthusiasmus gebo­ten wird, ist gera­de­zu unglaub­lich und wäre im Studio nur schwer­lich mög­lich gewe­sen. Dabei kommt jedoch das gesang­li­che Element nicht zu kurz, und Sterns Geigenklang läßt Tschaikowskis Meisterwerk in gro­ßer Schönheit auf­blü­hen.

1956 stand Bartóks Zweites Violinkonzert auf dem Programm, auch mit dem Festspielorchster, dies­mal gelei­tet von Ernest Ansermet. Stern war einer der füh­ren­den Interpreten des gro­ßen unga­ri­schen Meisters. Das Violinkonzert ist durch lan­ge melo­di­sche Bögen eben­so cha­rak­te­ri­siert wie durch star­ke, oft abrup­te Kontraste. Schwierige Aufgaben für die Interpreten, die hier muster­gül­tig gemei­stert wer­den. Besonders ergrei­fend sind die ele­gi­schen Variationen im lang­sa­men Satz. Die enthusia­ti­schen Beifallskundgebungen am Schluss der Aufführung sind voll­auf ver­dient!

Die drit­te CD ist George Szell gewid­met (audi­te 95.625). Dieser Dirigent wur­de von der Kritik oft als Vertreter kal­ter, mecha­ni­scher Präzision dar­ge­stellt – eine sehr unge­rech­te Beurteilung. Natürlich war er ein uner­müd­li­cher Kämpfer für Exaktheit und Texttreue und konn­te dabei oft tyran­ni­sche Methoden anwen­den. Seine Proben waren sorg­fäl­tigst vor­be­rei­tet und von äußer­ster Gründlichkeit (Zitat: «Ich gebe sie­ben Konzerte pro Woche – zwei davon sind öffent­lich»). Er such­te aber auch in jeder Stelle den pas­sen­den Klang zu errei­chen, orche­stra­le Farben spiel­ten für ihn eine zen­tra­le Rolle. Wie er sein Cleveland Orchestra zu einem füh­ren­den Klangkörper der Welt mach­te, ist schon längst Legende!

Dass er – im Konzertsaal noch mehr als im Aufnahme-Studio – auch emo­tio­nell und ener­gie­ge­la­den sein konn­te, zeigt das Finale der Ersten von Brahms, 1962 mit dem Schweizer Festspielorchester auf­ge­führt. Die Coda wur­de wohl sel­ten so über­schweng­lich, ja rasant gespielt. Ein tri­um­pha­les Ende einer groß­ar­ti­gen Aufführung!

Szells Zusammenarbeit mit der Tschechischen Philharmonie geht auf das Jahr 1937 zurück; damals nahm er Dvoráks Cello-Konzert mit Pablo Casals auf. In Luzern spiel­te er 1969 mit die­sem Orchester die Achte von Dvorák. Die Tschechische Philharmonie begann ihre Tourneetätigkeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjetmacht, und die Konzerte waren ent­spre­chend sehr emo­tio­nal, beson­ders wenn tsche­chi­sche Musik dar­ge­bo­ten wur­de. Auch Szell lag Dvoráks G‑dur-Symphonie sehr am Herzen, und so ent­stand eine beglücken­de Interpretation. Wie immer glän­zen die Bläser aus Böhmen; in die­ser Aufführung beein­druckt aber beson­ders der berücken­de und sehr varia­ti­ons­rei­che Klang der Streicher.

Man ist Audite dank­bar für die­se tönen­den Erinnerungen und bit­tet um mehr!

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2013

 

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