Moderne Zeiten mit Orchester

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Von Francois Lilienfeld – Stummfilme («Silent Movies») waren zwar stumm, aber nicht «silent»: Es war die Regel, sie mit Musikbegleitung zu pro­ji­zie­ren. Diese vari­ier­te je nach der Größe des Kinos: Sie konn­te von einem Pianisten, einer mehr oder weni­ger gro­ßen Kammerformation, aber auch, in den legen­dä­ren Filmpalästen, von einem aus­ge­wach­se­nen Symphonieorchester dar­ge­bracht wer­den. Filmmusiker war ein geach­te­ter und lukra­ti­ver Beruf; die Einführung des Tonfilms bedeu­te­te eine kata­stro­pha­le Arbeitslosenquote für die­sen Zweig.

Heute wer­den Stummfilme oft ver­tont, vor allem im Hinblick auf DVD-Produktionen – ein löb­li­ches Unterfangen. Es unter­liegt jedoch kei­nem Zweifel, daß eine Vorführung auf Großleinwand mit einem «Live»-Orchester ein beson­de­res Erlebnis dar­stellt.

Dies konn­te man mit «Modern Times» (1936) von Charles Chaplin ein­mal mehr erfah­ren, dank einer Zusammenarbeit zwi­schen dem Festival «Les Jardins Musicaux», dem Parc régio­nal Chasseral, dem Centre de Culture et de Loisirs Saint-Imier und der Cinémathèque Suisse in Lausanne. Es fan­den Vorstellungen in Lausanne, Cernier, Saint-Imier und im fran­zö­si­schen Arc et Senans statt. Wiederaufnahmen sind im Dezember in Neuchâtel und Monthey vor­ge­se­hen (s.u.).

Die Kooperation ermög­lich­te eine ein­drück­li­che Wiedergeburt eines Filmklassikers in Originalform. «Original» bezieht sich hier auch auf die Musik, die vom gro­ßen Schauspieler selbst stammt. Sie wur­de von Edward Powell und David Raksin instru­men­tiert, Alfred Newman diri­gier­te 1936 die ori­gi­na­le Tonspur. Für die hier bespro­che­nen Vorstellungen hat Timothy Brock die Partitur restau­riert.

Der Mensch als hilf­lo­ses Rädchen im Getriebe einer see­len­lo­sen Industrie-Gesellschaft wird in die­sem Meisterwerk Chaplins auf ein­drück­lich­ste Weise dar­ge­stellt; die Komik ist ein wirk­sa­mes Mittel, die­se Botschaft einem brei­ten Publikum nahe­zu­brin­gen. Die Theorien und Methoden von Franck Taylor und Henry Ford, die zu einem immer unmensch­li­che­ren Kapitalismus und zur Akkordarbeit führ­ten, waren Anstoß für Chaplin, «Modern Times» zu kon­zi­pie­ren. Die Botschaft die­ses sei­nes letz­ten Stummfilmes wur­de aber auch durch die Arbeitslosigkeit der Jahre der gro­ßen Depression und durch Chaplins Begegnungen mit Gandhi und Einstein beein­flusst.

Stummfilm? Nun ja, im Prinzip bleibt Chaplin, neun Jahre nach der Geburt des Tonfilms, sei­ner Aversion gegen die­se neue Form noch treu. Er macht jedoch eini­ge Konzessionen: Geräusche (Maschinen!) sind auf der Tonspur, man hört auch eini­ge Befehle aus dem Munde des Fabrikdirektors, und der Auftritt Charlies als sin­gen­der Kellner ist eine Legende der Filmgeschichte gewor­den.

Modern Times ist aber auch eine ergrei­fen­de Liebesgeschichte. Chaplin hat mit der Wahl sei­ner weib­li­chen Partnerinnen oft eine glück­li­che Hand gehabt; auch hier ist ihm mit der Entdeckung der gleich­zei­tig ener­gie­ge­la­de­nen und zer­brech­li­chen Paulette Goddard als ver­arm­tes Waisenmädchen ein gro­ßer Wurf gelun­gen. Es ist nicht zuletzt ihr zu ver­dan­ken, dass Lachen und Weinen in die­sem Film sehr nahe bei­ein­an­der lie­gen – das Geheimnis der bedeu­ten­den Komödien!

Die Aufführung, mit dem mei­ster­haft auf­spie­len­den Orchestre des Jardins Musicaux, belässt die oben erwähn­ten Originaltöne natür­lich. Der Dirigent Valentin Reymond erfüllt sei­ne äußerst schwie­ri­ge Aufgabe bril­lant: Es gelingt ihm eine per­fek­te Synchronisation mit dem Bild, ohne dass die musi­ka­li­sche Sensibilität zu kurz kommt.

Aufschlußreich war es, am Tage nach dem Filmbesuch die Zeitungen zu lesen: Wie aktu­ell doch «Modern Times» geblie­ben ist…

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013

 

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