EDITORIAL Nr. 128: Denkraum Kulturkritik

Von

|

Drucken Drucken

Von Lukas Vogelsang – Im Zusammenhang mit einem Kulturmagazin steht das Thema «Kulturkritik» bei vie­len DiskutantInnen an erster Stelle der Argumentation. An einer Sitzung – auf mei­ne lapi­da­re Frage an Franziska Burkhardt, abtre­ten­de Leiterin der Sektion Kultur und Gesellschaft des Bundesamtes für Kultur – was denn so wich­tig an einer «Kulturkritik» sei, über­ka­men mich bei den Antworten Zweifel:

1. Die KünstlerInnen kön­nen anhand einer Kritik ihre Produktionen ver­bes­sern. Falsch: Kein Regisseur wür­de sein Stück ver­än­dern, sei­ne künst­le­ri­sche Freiheit anhand einer Kritik auf­ge­ben. Stellen sie sich einen Maler vor, der nur noch malt, damit die KritikerInnen ihn loben, oder der Literaturkritiker schreibt dem Autor vor, was er wie schei­ben muss. Geht gar nicht. Richtig ist, dass die KünstlerInnen und Künstlergruppen die Kritik brau­chen, um dem näch­sten Veranstalter bei­zu­brin­gen, dass man wich­tig, rele­vant und sei­nen Preis wert ist. Alles ande­re ist pure Illusion. Es geht um den Marktwert. Die Kulturkritik ist in die­sem Zusammenhang ein Verkaufsargument, eine Bestätigung der Produktionsleistung eines Veranstalters und damit die Rechtfertigung für Produktions- oder Subventionsgeld oder gene­rell ein­fach Geld.

2. Die ZuschauerInnen kön­nen sich bes­ser ori­en­tie­ren und die Produktionen wer­den ver­kaufs­tech­nisch bes­ser aus­ge­la­stet. Halbwegs rich­tig und doch falsch: Eine Kulturkritik ist eigent­lich kein Ratgeber für das Wohlfühl-Unterhaltungsprogramm, kein Empfehlungsschreiben für Qualität und schon gar kein Verkaufsförderungsinstrument. Die Vorschau auf einen Kultur-Event ist hier ein gros­ses Problem: Das «jetzt wer­den sie irri­tiert» ist der Tod einer jeden Produktionsabsicht und eben­so jeder Kulturkritik.

Die irri­ge Annahme, dass eine Kulturkritik, von den Zeitungen und Medien als Gratis-Werbung publi­ziert wer­den muss, hält sich tief im gesell­schaft­li­chen Bewusstsein fest. Die Forderung von den VeranstalterInnen dazu hat nur die Absicht, sich den eige­nen Werbemassnahmen und Kulturvermittlungsaktivitäten zu ent­zie­hen und mög­lichst viel Umsatz ohne Werbeinvestition zu gene­rie­ren. Beispiel: ensuite – kul­tur­ma­ga­zin ver­ar­bei­tet pro Monat in der Eventdatenbank unge­fähr 3‘500 Veranstaltungen. Es ist nicht mög­lich, alle Veranstaltungen jour­na­li­stisch zu beglei­ten. Jede Selektion schliesst einen gros­sen Teil von LeserInnen aus. Gleichzeitig wür­de die Leserschaft für die­se Menge an Kritik ein­fach feh­len. Niemand inter­es­siert sich gleich­zei­tig für alles, was in der Kultur läuft: Oper, Cabaret, Trashtheater, Punk und mor­der­ne Malerei, Literatur, Dichtung und Jazz.

3. Es kann ein Kulturdialog in der Gesellschaft aus­ge­löst wer­den. Schreibt eine KritikerIn über einen Publikumsliebling nega­tiv, ist die Kritikerkarriere schnell vor­über. Die Leserschaft will vor allem lesen, was sie hören will. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Die schau­spie­le­ri­sche Qualitätskritik am Theater müss­te seit Jahren kata­stro­phal aus­fal­len – tut sie nicht. Bildende Kunst wird nie schlecht bewer­tet – nie­mand wagt es, inhalt­li­che Bedenken auf­zu­zei­gen. Kultur ist aprio­ri wich­tig – und so muss Kultur auch immer «posi­tiv» gewer­tet wer­den – alles ande­re wird als «Unwissen» mund­tot gemacht.

Eine Kulturkritik soll­te den Produktionsinhalt in einen Kontext zur gesell­schaft­li­chen Realität set­zen und uns dadurch mensch­lich wei­ter­brin­gen. Als Bindeglied zwi­schen Kunst und Kultur sozu­sa­gen. Dies wird aber erst mög­lich, wenn wir uns auch damit aus­ein­an­der­set­zen – die Realität spricht aber nur von 2 % LeserInnen des Kulturteils in einer Tageszeitung. Mit vie­len Freelance-AutorInnen kön­nen wir wenig errei­chen – als KritikerIn muss man sich das Vertrauen der Leserschaft erst erar­bei­ten. Besser also, wir hät­ten wie­der weni­ge, jedoch ver­trau­ens­wür­di­ge KritikerInnen, deren Wort eine kla­re Handschrift und Nachvollziehbarkeit mani­fe­stier­ten – doch die sind teu­er und wer­den heu­te ein­ge­spart. Eine ein­zi­ge Kulturkritik ist in höch­stem Masse mani­pu­lie­rend – Vorsicht ist also gebo­ten. Die ZuschauerInnen müs­sen im Anschluss die Produktion sel­ber auch noch betrach­ten und die Meinungen über­prü­fen.

Fazit: Alles dreht sich ums Geld. Nur wenn wir in der Gesellschaft ent­spre­chend Plattformen bau­en und erhal­ten, kann eine Vielfalt von Meinungen publi­ziert wer­den und die gewünsch­te «Reflexion» ent­ste­hen. Vorher ist eine ein­zel­ne Kritik nur eine per­sön­li­che Meinung von einer Person – egal, wie bekannt, ver­trau­ens­wür­dig oder berühmt die­se Person ist.
Mitunter ein Grund, war­um ich ger­ne pro­vo­ka­tiv und kon­tro­vers blei­be: Ich habe vor die­ser Macht unheim­li­chen Respekt. Als Journalist muss ich glaub­wür­dig sein, soll­te aber die LeserInnen dazu brin­gen, sich sel­ber eine Meinung bil­den zu kön­nen – und bit­te nicht ein­fach mei­ne. Dies ist unse­re Aufgabe – als Journalisten, Kritiker und gene­rell als Medienschaffende. Gerade in der Kultur.

Im Jahr 2013 müs­sen wir zudem dar­an den­ken, dass es erst Räume und Gruppen oder Gesellschaften braucht, wel­che bereit sind, über Kultur zu dis­ku­tie­ren. Die Zeit der Zünfte ist vor­bei, Kulturvereine, gera­de in Agglomerationen, aber auch in den Städten, bekun­den Mühe, neue Mitglieder zu akti­vie­ren, und die sagen­um­wo­be­nen Künstlertreffs haben schon längst an Glanz ver­lo­ren und bewir­ken kaum noch einen Kulturdialog (Theaterregisseur Samuel Schwarz mal aus­ge­nom­men). Dieses gan­ze Potpourri an Informationen noch zu ver­ar­bei­ten ist ein Problem.

Und was heisst das jetzt alles? Geben wir jetzt ein­fach auf oder ler­nen wir mit der Entwicklung umzu­ge­hen? ensuite – kul­tur­ma­ga­zin ist seit 10 Jahren mei­ne per­sön­li­che Antwort auf die­se Zweifel – ich wür­de mich freu­en, wenn die­se Verantwortung mit ihnen, lie­be LeserInnen, geteilt wer­den könn­te:

Lesen – Entdecken – Teilen


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 128, August 2013

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo