EDITORIAL Nr. 125

Von Lukas Vogelsang – Kunst soll­te, so eine sehr ver­ein­fach­te und viel­leicht maro­de aber trotz­dem gül­ti­ge Definition, die mensch­li­che Existenz etwas empor­he­ben – den Menschen der schöp­fe­ri­schen Urkraft etwas näher brin­gen. Ich fra­ge mich aller­dings zuneh­mend wie so etwas mög­lich ist, wenn man in einem moder­ner klas­si­schen Konzert sitzt und wegen der Musik Zahnweh kriegt, oder mir beim Theaterauftritt der SchauspielerInnen Pickel im Gesicht plat­zen. Auch das Einschlafen demon­striert nicht in jedem Fall ein mit­er­leb­tes künst­le­ri­sches Highlight. Kunst – bei allem Respekt und bei jedem indi­vi­du­el­len Empfinden – ist mehr als Kreativität, eine zün­den­de Idee oder ein Minderheitenprogramm für sub­ven­tio­nier­te Betriebe. Auch die allei­ni­ge Provokation hat mit «Kunst» rela­tiv wenig zu tun. Das muss man wirk­lich – auch als Pro-Kultur-Redaktor – laut sagen.

In mei­nem beruf­li­chen Vorleben, im Marionettentheater, lern­te ich das Handwerk der Bühnenkünste. Da war es zum Beispiel wich­tig, wo ich mich mit der Puppe auf der Bühne plat­zier­te: links oder rechts, hin­ten, oder vor­ne am Bühnenrand. Zusammen mit dem Text, dem Gesamtbild, ergab sich dar­aus eine unter­schied­li­che Qualität des Darzustellenden. Man kann sich das ein­fach vor­stel­len: Wenn ich vor­ne am Bühnenrand schreie, ist der Eindruck für das Publikum bedroh­li­cher, als wenn ich weit hin­ten, an der Bühnenrückwand wüte. Die Distanz schafft Sicherheit – und je nach­dem wol­len wir das eine oder das ande­re bewir­ken. Natürlich gibt es noch unzäh­li­ge sol­che «hand­werk­li­chen Kniffs». Wer die­se intel­li­gent anwen­det, schafft es, die «Kunst» zum Leben zu erwecken. Die kommt von selbst. Wenn die­ses Ziel nicht erreicht wird – was natür­lich auch sub­jek­ti­ve Faktoren beinhal­tet –, bleibt die angeb­li­che «Kunst» unter der «Normalität», und wir krie­gen im schlimm­sten Fall Zahnweh.

Heute stel­len sich die Fragen zur Kunst kaum noch in qua­li­ta­ti­ver Hinsicht. Man spricht über Geld, über Werte, wenn es ganz gut kommt, noch über die Geschichten. Die Wertediskussion wäre ja gesell­schaft­lich gese­hen noch inter­es­sant. Doch hier geht es oft nur um Egomanie-Werte: Bei einem Bild ist die Frage nach dem Maler wich­ti­ger, als das Bild an sich. Bei einer Oper braucht es Stars statt gute Stimmen, und bei einer Theaterrenovierung in Bern dreht sich alles um 45 Millionen statt um Kultur und Kunst. Diese Diskussion ist poli­tisch, und wir wis­sen, dass sich in der Politik kaum jemand ernst­haft für kul­tu­rel­le Belange inter­es­siert. Kultur und Kunst sind dar­in höch­stens Spielbälle, um der Gegenpartei eins aus­zu­wi­schen.

Die Politik ent­schei­det grund­sätz­lich nur über Geld – es geht dabei kaum um Inhalte. Deswegen unter­schei­den sich PolitikerInnen kaum von ManagerInnen und BankerInnen. Geld ist die wirk­lich füh­ren­de Macht – das wis­sen wir schon lan­ge. Und genau des­we­gen macht es für PolitikerInnen kaum Sinn, ein Theater zu reno­vie­ren, sich der Kultur und Kunst anzu­neh­men, Anteil zu neh­men, mit der Gesellschaft wach­sen zu wol­len – und nicht nur den eige­nen Profit oder die poli­ti­sche Profilierung zu sehen.

Wenn wir nicht über Kultur und Kunst öffent­lich dis­ku­tie­ren, die Politik nicht lernt, sich inhalt­lich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen – dabei geht es ja um den all­ge­mei­nen Begriff der Kunst, wie oben ver­ein­facht defi­niert – wer soll dann ent­schei­den, oder was soll ent­schie­den wer­den in der Kultur und Kunst? Oder noch wich­ti­ger: Für wen wird dann ent­schie­den? Und wie soll sich der Boden für Kulturelles ent­wickeln kön­nen? Bei der Wirtschaftsförderung jam­mern ja auch schon alle.

Gute Kultur und Kunst ist rar. «Gut» im Sinne von erhe­bend. Da mögen Besucherauswertungen irgend­et­was erzäh­len – das ist nicht rele­vant. Trotzdem bringt es wenig, wenn eine Kunst-Veranstaltung unge­nü­gend besucht wird – genau­so bringt es nichts, wenn eine Veranstaltung ohne künst­le­ri­schen Gehalt über­be­völ­kert wird. Ja, es gibt durch­aus Kunstformen und kul­tu­rel­le Anlässe, die für nichts sind.

Und klar stellt sich die Frage, ob Steuergeld für ein Minderheitenprogramm ein­ge­setzt wer­den soll. Ich mein­te, dass wir die­sen Dialog schon lan­ge laut füh­ren müs­sen – nicht pole­misch und auch nicht poli­ti­siert, aber mit­ein­an­der. Ich bei­spiels­wei­se bin kom­pro­miss­los «für» das Stadttheater. Aber ich bin gegen die Renovation mit einem Budget von 45 Millionen – mein Bauch sagt mir, dass man das gün­sti­ger haben könn­te. Dabei geht es um die Renovations-Qualität – nicht um den Sinn des Theaters. Und das ist eben ein him­mel­wei­ter Unterschied.

An die­ser Stelle sei noch auf die geplan­te Demo-Veranstaltung «Tanz dich frei», vom 25. Mai in Bern, auf­merk­sam gemacht. Ein höchst kul­tu­rel­ler Massenanlass, ohne künst­le­ri­schen Anspruch und direk­te Subvention. Auch eine Variante, die Politik zum Denken zu bewe­gen.


Foto: zVg.
Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 125, Mai 2013

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