«Wir wol­len kein Lesemagazin!»

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Von Lukas Vogelsang - Die Jubiläumsrede, die nie gehal­ten wird: Als Jugendlicher bin ich über den Kalenderspruch von Sol LeWitt, einem ame­ri­ka­ni­schen Künstler gestos­sen, und die­ser wur­de zu mei­nem zen­tra­len Lebensbegleiter: «Ideen kann man nicht besit­zen, sie gehö­ren dem, der sie ver­steht.» So ist das auch mit dem ensuite – kul­tur­ma­ga­zin. Das war im Jahr 2002 eine Idee, und dar­aus wuch­sen durch ganz vie­le Menschen die Magazine, wie wir sie heu­te pro­du­zie­ren. 

Ich muss immer grin­sen, wenn man mir feh­len­de Kooperationsbereitschaft oder die «Unmöglichkeit, mit mir zusam­men­zu­ar­bei­ten» unter­stellt. ensuite exi­stiert nur durch die Zusammenarbeiten von vie­len Menschen – das war von Anfang an Konzept. Ich habe vor 10 Jahren nur eine Plattform ins Leben geru­fen und ver­sucht, die­se durch Motivation und Finanzierbarkeit am Leben zu hal­ten. Alleine kann man kei­ne Zeitung pro­du­zie­ren. Natürlich ist es immer schmei­chelnd, wenn man mir Superman-Fähigkeiten atte­stiert. Allerdings braucht es ziem­lich viel Naivität, so über einen Menschen zu urtei­len.

Ich stand von den ersten Stunden an in der Kritik. Zwar schrieb ich Einladungen an alle VeranstalterInnen und an vie­le JournlaistInnen in Bern – doch die­se glaub­ten nicht an ensuite. Man kann­te mich nicht und hielt mich des­we­gen für unfä­hig. Nun, die­se «Unfähigkeit» hat immer­hin drei KultursekretärInnen in Bern über­lebt, und drei Amt für Kultur-LeiterInnen des Kantons Bern. Auch in Zürich gab es inzwi­schen einen Wechsel. Von den Kollegen aus der Kulturjournalisten-Zunft bei den Tageszeitungen gibt es nur weni­ge, die noch dabei sind. In vie­len Institutionen hat die Leitung und das Personal gewech­selt. Es fällt mir auf, dass ich mich dau­ernd vor­stel­len muss. Das «Kulturbusiness» ist für vie­le ein tem­po­rä­rer Lebensabschnitt, ein Projekt. Und dann sind sie weg.

ensuite ist noch da. Zehn Jahre haben wir durch­ge­hal­ten, unter wid­rig­sten Umständen. Es grenzt an Dummheit, wenn eine Stadt eine Gruppe von Menschen dar­an hin­dern will, auf pri­va­ter Basis ein Kulturmagazin zu bau­en –  aber sel­ber dann mit viel Kultur- und Steuergeld aktiv wird, um die pri­va­te Initiative zu kon­kur­rie­ren. Das macht weder poli­tisch, wirt­schaft­lich, noch gesell­schaft­lich Sinn. In Zürich wur­de im Dezember 2012 zum zwei­ten Mal das stadt­ei­ge­ne Online-Kulturportal in den Wind gewor­fen. Diesmal mit der kor­rek­ten Begründung: «Eine Kulturagenda ist kei­ne städ­ti­sche Aufgabe.» Dafür ist man in Bern taub. Im klei­nen Bern hät­te es eigent­lich kei­nen Platz für meh­re­re Kulturmagazine oder Kulturagenden. Der städ­ti­sche Poker ist klar: Man geht davon aus, dass ich irgend­wann ein­mal auf­ge­ben wer­de. Darauf war­tet Bern. Die Schadenfreude sitzt hier locker auf der Zunge. Und es ergeht nicht nur mir so. Den blö­den Spruch: «Wer sich ein­setzt, setzt sich aus», kann ich nicht mehr hören – aber er trifft zu. Kultur ist ein Schlachtfeld – das habe ich oft wie­der­holt. Sicher, es war naiv von mir anzu­neh­men, dass Kultur etwas mit der «Gesellschaft» zu tun hät­te – zumin­dest aus der Sicht der Kulturabteilungen von Bern und Zürich. Aber ich hal­te an die­ser Definition fest. Und schluss­end­lich kri­ti­sie­ren ja alle Journis genau dies an mir: Ich bin stur – weil ich nicht auf­ge­be, das aus mei­ner Sicht Richtige zu tun.

«Wir wol­len kein Lesemagazin!» An den ersten Sitzungen in den Anfängen, als die Stadt Bern, eini­ge Kulturveranstalter und Kulturpublizisten an einem Tisch «brain­storm­ten», fiel die­ser Satz vom dama­li­gen Leiter des Berner Kornhausforums und präg­te jede wei­te­re Diskussion. Die VeranstalterInnen woll­ten ihre Veranstaltungen mög­lichst gün­stig bewer­ben, eine voll­stän­di­ge Kulturagenda soll­te die­se Aufgabe über­neh­men. Niemand woll­te ana­ly­sie­ren und Fakten sam­meln, die­se Sitzungen wur­den von Wünschen gelei­tet, und je län­ger der Denkprozess dau­er­te, umso mehr «Profis» gaben auf. Da waren VertreterInnen der Tageszeitungen, JournalistInnen, zwei Kulturmagazin-Produzenten anwe­send – zum Schluss war ich allei­ne mit den VeranstalterInnen und dem Kultursekretär. Ich wur­de eben­falls ver­jagt. Schlussendlich beauf­trag­te die Stadt eine PR-Agentur mit der Produktion – nie­mand sonst woll­te unter die­sen Umständen arbei­ten. Und auch die PR-Agentur gab auf.

Interessanterweise ist seit Jahren bekannt, dass ein Kulturagenda-Eintrag nur einen Bruchteil der Werbung aus­macht – der redak­tio­nel­le Artikel aber den Saal fül­len kann. Das Dumme: Den jour­na­li­sti­schen, redak­tio­nel­len Artikel kann man nicht beein­flus­sen, den Eintrag in die Kulturagenda schon. Deswegen for­mie­ren sich VeranstalterInnen fast welt­weit und pro­du­zie­ren sel­ber in ihren Städten Promotions-Kulturmagazine. Niemand scheint zu beden­ken, dass dadurch die Berichterstattung der Tageszeitungen redu­ziert wer­den könn­te und das Geld falsch zu flies­sen beginnt. Nur ein ver­an­stal­ter­un­ab­hän­gi­ger Medienbetrieb hat hier einen posi­ti­ven Einfluss: Er kon­kur­riert den Tagesjournalismus auf der gleich­wer­ti­gen Bühne. Oder anders her­um: Die Eigenleistung der Stadt Bern mit der Finanzierung der eige­nen Kulturagenda hat vor allem den Tagesmedien Geld gebracht (Verkauf von Leistungen, Druckaufträgen, etc.). Dadurch konn­te man im Ressort Kultur Einsparungen machen – mit dem Verweis auf das Engagement der öffent­li­chen Hand. Mit ensuite – kul­tur­ma­ga­zin kon­kur­rie­ren wir aber die Tagesmedien. Bringen wir zum Beispiel ein kul­tu­rel­les Thema, wie etwa kürz­lich die Geschichte über einen dubio­sen Kulturproduzenten, so wer­den die Tagesredaktionen sel­ber eben­falls aktiv (NZZ). Selbst ein offe­ner Brief von einem Veranstalter – der zuvor in den Redaktionen nicht beach­tet wur­de – löst ein media­les Echo aus, wenn wir ihn auf unse­rer Webseite publi­zie­ren (Journal‑B, Der BUND). Es sind absur­der­wei­se gera­de die «Lesemagazine», wel­che sel­ber zu kul­tu­rel­len News-Quellen für die Branche wer­den. Und damit hel­fen die unab­hän­gi­gen Kulturmedien eben der Kultur über­pro­por­tio­nal. Deswegen ist die Einmischung der öffent­li­chen Hand durch eige­ne Presseprodukte ver­werf­lich – die finan­zi­el­le Unterstützung und der Erhalt pri­va­ter Initiativen aber ganz wich­tig.

Kultur wird immer indi­vi­du­ell wahr­ge­nom­men und defi­niert. Kultur, als Oberbegriff des Wortstamms, lässt zu viel Spielraum zu – wir brau­chen Regeln und Definitionen. ensuite – kul­tur­ma­ga­zin hat in sei­nen zehn Jahren sehr vie­le kul­tu­rel­le Themen auf­ge­bracht. Es ist unser Konzept, die Begriffe «Kultur» und «Kunst» in den all­täg­li­chen Sprachgebrauch zurück zu brin­gen. Nur durch die pro­vo­ka­ti­ve und auf­müp­fi­ge Haltung war dies mög­lich – eben oft über mei­ne Editorials. Sport in den Medien ist ein dank­ba­res Thema, weil es emo­tio­na­li­siert. Politik ist als media­les Thema dank­bar, weil es emo­tio­na­li­siert. Kultur ist schreck­lich, weil die Argumentationen der emo­tio­nel­len Lager beim «Einsparen!» und «Kultur ist ganz wich­tig!» ste­hen geblie­ben sind.

Über kul­tu­rel­len Inhalt wird nicht laut gedacht – über des­sen Sinn und Unsinn auch nicht. Die Feuilletons in den Tageszeitungen sind ein­ge­spart wor­den, Kulturkolumnen müs­sen lustig und unter­hal­tend sein. Als unab­hän­gi­ges, mei­nungs­bil­den­des Blatt haben wir die Freiheit, Themen und Fragen in den öffent­li­chen Raum zu stel­len. Das ist der Freiraum, den wir im Medienbetrieb nut­zen müs­sen: Es ist all­ge­mein die wich­tig­ste Aufgabe der Medien in einer Demokratie. Und so hat bei­spiels­wei­se ein kri­ti­scher Text im ensuite – kul­tur­ma­ga­zin über die Abteilung Kulturelles (August 2011) den Chefredaktor der Tageszeitung «Der Bund» dazu bewo­gen, in der Stadtredaktion einem Mitarbeiter offi­zi­ell «Kulturpolitik» ins Pflichtenheft zu schrei­ben. Unter den Tageszeitungen hat dies zu einem neu­en Wettbewerb in der kul­tu­rel­len Berichterstattung geführt, und damit zu mehr kul­tu­rel­len Schlagzeilen in der Tagespresse.

Ein ganz spitz­fin­di­ger Journalist von «Der Bund» mein­te ein­mal, ensuite sei ein «eher dürf­ti­ges, kri­ti­schen Journalismus klein­schrei­ben­des Produkt». Der glei­che Journi kopier­te übri­gens vom Mode- und Trendmagazin Vogue die People-Rubrik «15 Fragen an…» – also, auch die Fragen kopiert er! Ich glau­be nicht, dass der je eine ensuite-Ausgabe gele­sen hat, zumin­dest nicht wei­ter als ein Editorial zu über­flie­gen, oder ver­steht, was wir eigent­lich tun. Diese Qualität von jour­na­li­sti­scher Kritik beglei­tet und irri­tiert mich seit Anbeginn. Vielen Leser-Innen ist es viel­leicht nie auf­ge­fal­len, doch ensuite wur­de inhalt­lich nie kri­ti­siert, unse­re Kulturdatenbank ist in den Medien inexi­stent, und das Kunstmagazin arten­suite wur­de kaum je in einem Artikel erwähnt. Der oder das Einzige, was im Zusammenhang mit ensuite Erwähnung fand, war ich, «der Vogelsang». Das ist ziem­lich lächer­lich. In sol­chen Momenten bin ich froh, mei­nen eige­nen Weg gegan­gen zu sein. Meine kri­ti­schen Meinungen in den Editorials waren jeweils kal­ku­liert. Deswegen bin ich sehr erstaunt, dass die Kollegen nie direkt bei mir nach­ge­fragt haben. Ein gro­bes jour­na­li­sti­sches Vergehen – oder eben eine «eher dürf­ti­ge, kri­ti­schen Journalismus klein­schrei­ben­de Haltung». Soviel zum Thema Qualität.

Mit Katzenvideos, Babyfotos, Sex und Peoplejournalismus hät­te ich hun­dert­mal die bes­se­ren Möglichkeiten gehabt, als Verleger berühmt und reich zu wer­den. Ich bin also auch kein «Kulturhasser», wie mir ein paar eigen­wil­li­ge KommentatorInnen im Internet unter­stel­len wol­len. Ebenso wenig ist «kul­tu­rel­les Engagement» eine Krankheit, und muss auch nicht bekämpft wer­den. Selbst der Stadtpräsident Alexander Tschäppät wirk­te etwas über­for­dert mit sei­ner öffent­li­chen Kritik über den «selbst­er­nann­ten Heftlimacher» – vor allem, weil er mich nicht ein­mal kennt. Kritik hat mich nie zum Verstummen gebracht, und mei­ne Arbeit ein­stel­len wer­de ich auch nicht. Gehört habe ich alles und reflek­tiert auch. Aber die teils absurd hef­ti­gen Angriffe auf mich bewei­sen, dass dem ensuite – kul­tur­ma­ga­zin mehr Respekt zukommt und Gefährlichkeit zuge­traut wird, als ich das je sel­ber wahr­ge­nom­men habe.

Ich bin sehr stolz auf die ver­gan­ge­nen 10 Jahre, die über 150 akti­ven und ehe­ma­li­gen MitarbeiterInnen, auf über 227 pro­du­zier­te Magazine, zwei Bücher, meh­re­re Webseiten – aber vor allem dan­ke ich den über 100’000 zu uns monat­lich wie­der­keh­ren­den und uns bestä­ti­gen­den LeserInnen!

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2013

 

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