EDITORIAL Nr. 119: Ernsthaft

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Von Lukas Vogelsang – Vor eini­gen Tagen wur­de ich von einer Studentin der St. Galler Universität, wel­che eine Studie über online-Kulturjournalismus durch­führt, ernst­haft gefragt, ob der tra­di­tio­nel­le Kulturbegriff ver­al­tet sei, ob Begriffe wie «Lifestyle» oder «People» nicht bes­ser wären? Ich jap­ste nach Luft.

Die Frage ist lei­der berech­tig – aber nicht im Sinne der Sache an sich, son­dern in unse­rem Verständnis, dem Sinn und dem Umgang mit dem Wort «Kultur».

Die Tagesmedien tun dabei ihren Löwenanteil. So hat aus­ge­rech­net der kul­tur­freund­li­che «Bund» vor eini­gen Wochen eine Subventionsstatistik ver­öf­fent­licht, wel­che das Strassenmusikfestival Buskers mit der Berner Kunsthalle ver­gleicht: Buskers wird mit 100‘000 Franken unter­stützt und zählt ca. 70‘000 BesucherInnen (eige­ne Angaben) – die Berner Kunsthalle erhält 1,2 Millionen Franken und weist 8‘253 BesucherInnen aus. Dieses Zahlenspiel scheint als Grundlage zu genü­gen, einen Vergleich anzu­stel­len. Dabei wird nicht dar­an gedacht, dass die Kunsthalle auch aus einem Gebäude besteht, wel­ches 365 Tage im Jahr bezahlt, unter­hal­ten, bewirt­schaf­tet und bewor­ben wer­den muss. Dem gegen­über ist das Buskers-Festival ein Event von drei Tagen und die mei­sten Arbeiten wer­den ehren­amt­lich aus­ge­führt. Das Buskers führt kei­ne Kunstsammlung, kein Kunstlager und Archiv für die Ankäufe.

Die Berner Kunsthalle wird nicht pro Besucher mit 145 Franken pro Eintritt sub­ven­tio­niert, son­dern ganz Bern, also min­de­stens 140‘000 Menschen pro­fi­tie­ren als Gesellschaft von der Institution – das gan­ze Jahr. Dabei ist egal ob die­se von allen besucht wird oder nicht – wir fah­ren schliess­lich auch nicht durch jedes Gässchen einer Stadt und nut­zen nicht jedes Amt und jeden Sportplatz –, trotz­dem bezah­len alle pau­schal Steuern dafür. Das heisst Gesellschaft und Solidarität – und das Verständnis davon hat mit zivi­li­sier­ter «Kultur» zu tun. Langsam wir­ken die Argumente der Kulturgegner pri­mi­tiv und unzi­vi­li­siert. Als hät­te die Aufklärung nie statt­ge­fun­den.

Eine wei­te­re Folge die­ser unsach­ge­mäs­sen und media­len Verarbeitung spü­ren wir in der Berner Reitschule-Diskussion. Nur um der Polemik Willen wer­den hier ein­sei­tig Beiträge in den Medien ver­öf­fent­licht, und damit die Leserschaft heiss gemacht. Übergriffe auf die Polizei wer­den bewusst auf den Newsseiten über Tage an Toppositionen fest­ge­klebt. Über Kulturelles wird gene­rell nur berich­tet, wenn ein pole­mi­sches Thema ansteht – und dann muss es schnell gehen: Zeit für eine ein­ge­hen­de Recherche ist kurz, der quan­ti­ta­ti­ve Output muss stim­men. Die Zeitung muss Gesprächsthema sein – nicht etwa der Inhalt. Man will «des Bürgers» Meinung hören – statt ihm eine sach­li­che, fun­dier­te Grundlage zu bie­ten, auf deren Fundament eine per­sön­li­che Meinung über gesell­schaft­li­che Zusammenhänge gebil­det wer­den kann. Medien spie­len heu­te Gesellschaftsunterhalter und ver­ges­sen ihre Pflicht. Das Resultat ist die dum­me Frage, ob der tra­di­tio­nel­le Medienbegriff ver­al­tet sei, ob Begriffe wie «Lifestyle» oder «People» nicht bes­ser wären?

Wir bekla­gen uns über ver­ant­wor­tungs­lo­se Regierungsmitglieder und ManagerInnen, die nur für ihren eige­nen Selbstprofit arbei­ten. Doch: Die Medien sind die vier­te Gewalt in unse­rer Demokratie. Genau die­se vier­te Gewalt arbei­tet aber nur noch für den Selbstprofit. Was für ein fürch­ter­li­cher Verlust für die­ses Land! Was für eine tra­gi­sche Wende in unse­rer Demokratie! Doch die Medien wis­sen nicht, ob sie die­ses Thema unter «Lifestyle» oder «People» publi­zie­ren sol­len.

Bei einer Tageszeitung, wel­che auf dem oben erwähn­ten Niveau über Kultur debat­tiert, müs­sen mei­ner Meinung nach Köpfe rol­len. Das betrifft übri­gens auch ande­re Bereiche bei den Tagesmedien. Mit die­ser jour­na­li­sti­schen Qualität wird jeg­li­che Glaubwürdigkeit der Zeitung unter­gra­ben und das Publikum nur noch für dumm ver­kauft.


Foto: zVg.
Publiziert: Ausgabe Nr. 119, November 2012

 

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