Flow, der

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Von Frank E.P. Dievernich & Frank Görmar – Lexikon der erklä­rungs­be­dürf­ti­gen Alltagsphänomene (XVI)*: Alles fließt. Alles ist in Bewegung. Und das, was ver­än­dern will, trifft auf schon Verändertes. Der Gedanke kann lust­voll sein – oder ver­stö­rend. Verstörend ist er für alle, die den Anspruch an sich haben, dass sie die­je­ni­gen sind, die umge­stal­ten wol­len. Für Manager oder sol­che, die es wer­den möch­ten, wie z.B. Studierende der Wirtschaftswissenschaft, gilt es, sich vom Prinzip der gestal­te­ri­schen Allmachtsfantasie zu lösen. Ansonsten ent­wickeln sie sich zu Managern, die das System besten­falls noch stö­ren kön­nen.
Schlimmer wird der Gedanke, wenn Veränderung nur statt­fin­den kann, wenn der­je­ni­ge, der ver­än­dern möch­te, selbst schon vor­an­ge­gan­gen sein muss – und ärger noch, wenn Unternehmungen nur dann wan­del­bar wären, wenn ihre Mitarbeiter die­se Veränderungen schon unbe­wusst in sich voll­zo­gen hät­ten. Lost in Complexity! Wandel bei gleich­zei­ti­ger Komplexitätslust wur­de von Mihaly Csikszentmihalyi (1990) als Flow beschrie­ben. Während einer Tätigkeit voll und ganz mit ihr zu ver­schmel­zen, bzw. in ihr auf­zu­ge­hen, über­lässt Komplexität klu­ger vor­sprach­li­cher Selbststeuerung. Die not­wen­di­gen Bedingungen für Flow kann der Manager durch die Pflege sei­ner selbst und durch Introspektion erken­nen. Hieraus fol­gen zwei Optionen für Manager: Sich am System, der Organisation, abzu­ar­bei­ten – oder bei sich zu blei­ben und genau dadurch ein System zu gestal­ten, das den eige­nen Ansprüchen ent­spricht. Jetzt sind die struk­tu­rel­len Bedingungen, dass die ent­spre­chen­den Perspektiven zuein­an­der fin­den, lei­der alles ande­re als opti­mal. Das hat damit zu tun, dass Historie zukünf­ti­ge Historie prägt – und dadurch unter­schied­li­che Pfade ent­ste­hen: beim Individuum, der Organisation und was zwi­schen bei­den ent­steht.

Bleiben wir für die­ses Gedankenexperiment bei unse­ren oben ein­ge­führ­ten Studierenden der Wirtschaftswissenschaft. Sie fin­den sich in einem Systemtypus (Hochschule) wie­der, der zwar mit der Wirtschaft ver­bun­den ist, jedoch nicht die Wirtschaft selbst ist. Sie kom­men (ide­al­ty­pi­scher­wei­se) aus Elternhäusern, deren Väter und/oder Mütter zu einer ganz bestimm­ten Zeit ihre berufs­bio­gra­phi­schen Erfahrungen in jenen Wirtschaftsorganisationen gesam­melt haben, die ein Bild präg­ten, wel­ches heu­te nicht mehr oder immer weni­ger exi­stent ist. Außerdem wach­sen sie in einer Zeit auf, in der über Massenmedien ein Konsumtyp und eine Gesellschaft kre­iert wer­den, die über­holt sind, wäh­rend deren Ausstrahlung, z.B. in TV, Internet, Radio und Print par­al­lel dazu wei­ter lau­fen. Leider, und das ist ein Problem, sagt uns kei­ner etwas davon. Wie auch? – muss man ent­ge­gen hal­ten. Alle drei Beispiele zei­gen, dass es zu zeit­li­chen Verzögerungen kommt, ähn­lich wie dem bekann­ten Schweinezyklus, einer belieb­ten Erklärung für die Schwankungen, respek­ti­ve die Kluft zwi­schen Angebot und Nachfrage in der Wirtschaft. Das Angebot von mor­gen ent­spricht der Markteinschätzung von gestern. Wenn wir zudem, um die Komplexität bis ins fast Unerträgliche zu stei­gern, noch anneh­men, dass jede Beobachtung die Wirklichkeit ver­än­dert, was die Quantenphysik ver­sucht zu erklä­ren, dann ist eine Synchronisation von Wirklichkeiten nicht mehr mög­lich.
Konkret und zurück zum Beispiel. Die Hochschulen haben über die Jahre eine Wirtschaft beob­ach­tet, die dar­auf aus ist, ihre Steuerungskompetenz zu ver­fei­nern, so dass in die Ausbildungspläne die Vermittlung von Steuerungstools (und damit der Machbarkeitsgedanken) prä­gend abge­bil­det ist. Die jun­ge Studierenden-Generation hat gesell­schaft­lich ver­mit­telt bekom­men, dass, wer zahlt, auch etwas ver­lan­gen kann und Ansprüche hegen darf. Und even­tu­ell haben die Elterngenerationen vor­ge­gau­kelt, dass man in den Organisationen nur nach oben kommt, wenn man grad­li­nig sei­ne Ziele ver­folgt. Wohin die­ses Wirtschaften geführt hat, ist ein­drucks­voll: in die größ­te Finanz- und Wirtschaftskrise aller Zeiten, die als Systemkrise wei­ter anhält. Wer sich der­zeit auf einer Insel glaubt, soll­te genau hin­schau­en: Es ist nur der Rücken eines Wales!

Nun fin­det in den Organisationen bereits wie­der etwas ande­res statt, was durch den Verzögerungsmechanismus der struk­tu­rel­len Kopplung noch nicht in die hier vor­ge­stell­ten sozia­len Systeme und Kontexte ange­kom­men ist. Timothy Speed und Markus Maderner zei­gen dies in ihrem Buch «Inner Flow Management» von 2008 sehr schön auf. Hier wird deut­lich, dass der Anspruch inner­halb der Organisationen an und durch ihr Führungspersonal an das Handeln, Beobachten und Wirken in Organisationen ein fun­da­men­tal ande­res wird. Gestaltungsmacht, ori­en­tiert an Verantwortung und am Guten zu sich und dem sozia­len System (Team, Organisation), aber auch zu noch grös­se­ren Kollektiven, wie die Gesellschaft, neh­men eine neue und zuneh­mend prä­gen­de Rolle ein. Nicht län­ger wol­len Führungskräfte die Handlanger einer Organisationslogik sein – sie wol­len gestal­ten. Zum Wohle vie­ler, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Empathie hält Einzug, was bereits Jeremy Rifkin in sei­nem Buch «Die empa­thi­sche Zivilisation» (2010) ent­deckt hat.

Dafür ist ein neu­er Blick not­wen­dig, einer der auf Systemlogiken ein­ge­hen müss­te, auf die Innenperspektiven, auf Veränderungen, die bereits immer schon da sind, bevor man selbst agie­ren kann – und natür­lich auf sich selbst als Hauptkonstrukteur der Wirklichkeit. Wie kann die Organisation wie­der in Flow mit sich selbst gera­ten? Diesen Zustand kennt eigent­lich jede Organisation: ihren Ursprung, die Zeit als jeder Mitarbeiter wuss­te, was er zu tun hat­te, weil er eins mit dem Gründungsgedanken war und die Komplexität noch imma­nen­ter Logik folg­te. Organisationaler Kontext ist das, was der Einzelne spürt, wenn er zum ersten Mal eine Organisation erlebt/betritt. In die­ser Erstsituation ist Differenz noch wahr­nehm­bar. Wie begeg­nen sich die Menschen hier? Welche Freude ist hier erlaubt? Welche Themen sind Tabu? Wie geht man mit Regeln um? Die «Gefühle» der Einzelnen bil­den den Kontext in dem der Wandel des Ganzen sich ereig­nen wird. Wandel ist dann mit sich selbst im «Flow», wenn der Manager aus der Zukunft agiert – also men­tal schon längst ange­kom­men ist – und gleich­zei­tig der Wandel in den Herzen der Mitarbeiter zumin­dest unbe­wusst vor­weg­ge­nom­men ist.

Das näch­ste Problem, mit dem die Wirtschaft zu tun bekommt, ist also weni­ger die Auswirkung eines demo­gra­phi­schen Wandels, wenn es dar­um geht, Nachwuchs zu rekru­tie­ren, son­dern, dass eine alte Welt auf eine neue trifft, wobei die alte Welt auf­grund der dar­ge­stell­ten zeit­li­chen Verzögerungen pri­mär inner­halb der jun­gen Generation zu fin­den ist. Um die­sen Clash zu ver­mei­den oder abzu­mil­dern, macht es Sinn, dass es (wie­der­um) Organisationen gibt, die sich vor­ge­nom­men haben, die­se Differenz zu beob­ach­ten und Personen und Organisationen mit sich selbst in Kontakt zu brin­gen, um sich kom­pa­ti­bel für die neue Wirtschaftswelt zu gestal­ten. Bislang sind das eher nicht Hochschulen, son­dern Beratungs- und Trainingsinstitute, die z.B. Coaching anbie­ten, um jene Sozialisation nach­zu­ho­len, die zeit­lich an den Anforderungen an das Heute vor­bei gin­gen. Und was bleibt schon in einer kom­ple­xen Welt ande­res übrig, als mit dem zu arbei­ten, was am näch­sten liegt: uns selbst. In der Physik braucht es, um elek­tri­sche Ladung zu mes­sen, eine win­zi­ge Probeladung. Diese Probeladung sind wir: Erzeugen wir eine Organisation, in der es den Akteuren gelingt, wie­der in Flow mit­ein­an­der zu gera­ten, so spü­ren wir das an uns selbst zuerst!

*bewirt­schaf­tet vom Fachbereich Wirtschaft der Berner Fachhochschule, www.wirtschaft.bfh.ch, Kontakt: Frank.Dievernich@bfh.ch sowie in die­sem Fall von www.explorers-akademie.de, Kontakt: Frank.Goermar@explorers-akademie.de

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2012

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