Die Aufmerksamkeit wie­der auf die Musik gelenkt

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Interview von Salvatore Pinto – Für Tiziano Ferro waren 2010 und 2011 zwei ereig­nis­rei­che Jahre: Nachdem der Pop- und Soulstar sei­ne Homosexualität öffent­lich bekun­det hat­te, folg­te in der ita­lie­ni­schen Klatschpresse Schlagzeile auf Schlagzeile. Das Privatleben stand plötz­lich im öffent­li­chen Interesse, und sei­ne Musik war neben­säch­lich gewor­den. Mit sei­nem neue­sten Album lenkt Tiziano Ferro die Aufmerksamkeit wie­der auf die Musik. Auch in der Schweiz, wo ensuite-kul­tur­ma­ga­zin die Gelegenheit hat­te, ihn Ende November in Zürich zu tref­fen.

Ciao Tiziano, herz­lich will­kom­men in der Schweiz.

Vielen Dank, es ist immer eine Freude.

Beginnen wir gleich mit einer phi­lo­so­phi­schen Frage: Glaubst du, dass der Mensch noch vie­les über das Konzept der Liebe zu ler­nen hat?

Ich den­ke, dass der Mensch wirk­lich hart dar­an arbei­tet, das eige­ne Leben und die Liebe kom­pli­ziert zu gestal­ten. Ein Konzept, wel­ches eigent­lich ein Bedürfnis der mensch­li­chen Seele sein soll­te: schlicht und rein. Die Liebe soll­te das Leben der Menschen ver­ein­fa­chen. Stattdessen erschwert der Mensch selbst deren Dynamik.

Im Allgemeinen besagt ein Sprichwort: «Was sich liebt, das neckt sich». Sonst wäre es kei­ne Liebe. Plötzlich taucht Tiziano auf und sagt uns, dass die Liebe eine ein­fa­che Sache sei. Du schwimmst gegen den Strom. Erklärst du uns den Grund?

Vor allem weil ich einen Teil mei­nes Lebens damit ver­bracht habe, mei­ne Seele zu ver­dam­men, sowie mein eige­nes Ich und Gefühlsmass zu suchen. Lange Zeit war die Liebe für mich eine Qual. Als ich dann die Unbeschwertheit und die Fähigkeit gefun­den hat­te, mich so zu akzep­tie­ren wie ich bin, wur­de mir bewusst, dass die Liebe mein Leben nur ver­bes­sern kann. Sobald du die Liebe auf dich rich­test und dich den ande­ren öff­nest, gestat­test du dir selbst, Liebe zu akzep­tie­ren. Deshalb sage ich, dass die Liebe eine ein­fa­che Sache sei. Oft den­ke ich an Freunde und Freundinnen, die schwie­ri­ge Beziehungen füh­ren und dar­in ver­har­ren, weil sie der Überzeugung sind, dass der Schmerz den Menschen ver­ed­le. Ich bin aber ande­rer Meinung (lacht).

Du hast dei­ne Seele geöff­net und den Fans gesagt, wer Tiziano wirk­lich ist, sprich, du hast dei­ne Homosexualität öffent­lich bekun­det. Wie schwie­rig war die­ser Schritt für dich und wes­halb hast du ihn gewagt?

Es war ein lan­ger Weg. Zeitweise hat­te ich am Morgen über­haupt kei­ne Lust, auf­zu­ste­hen. Denn genau dies geschieht, wenn du dich von dei­ner Welt iso­lierst. Ich hat­te mich auch geo­gra­fisch abge­son­dert, indem ich allei­ne nach England zog, ganz ohne Freunde. Der Mangel an Selbstvertrauen führ­te dazu, dass ich mich für unfä­hig hielt, mein Leben mit jenen Menschen zu tei­len, die ich lie­be. Das war ein gros-ser Fehler, wel­cher mich jah­re­lang bela­ste­te. Diesen Weg bin ich allei­ne gegan­gen. Ich habe dadurch gelernt, dass ich zuerst Vertrauen zu mei­ner inne­ren Welt fas­sen muss, bevor ich auf Andere zuge­hen kann. Nach die­sem Schritt war es ein­fa­cher gewor­den, mich mit den Menschen zu kon­fron­tie­ren, die mir am näch­sten ste­hen. Mein Freundeskreis und mei­ne Familie haben mir sehr gehol­fen, und plötz­lich war das Bedürfnis da, die­se Freude auch mit den­je­ni­gen zu tei­len, die mir zuge­tan sind. Aber Achtung, die­sen Schritt kannst du nur machen, wenn du dei­nen inne­ren Feind besiegst. Das Problem war also nicht die Öffentlichkeit, son­dern der Konflikt mit mei­nem eige­nen Ich. Sobald ich mei­ne Schmerzen über­wun­den hat­te, konn­te ich die­ses wah­re Ich mit dem Rest der Welt tei­len.

Gehen wir über zur Musik: Vor eini­gen Jahren hast du den Song «Perdono» – Versöhnung – geschrie­ben. Dieses Wort fin­den wir im Song «La fine» wie­der, wel­cher von Nesli für dich geschrie­ben wur­de. Wieso sprichst du erneut von Versöhnung?

Versöhnung ist für mich kein bibli­scher oder uni­ver­sel­ler Begriff. Ich den­ke, dass die Anspruchslosigkeit der Entschuldigung gegen­über jenen Menschen, die wir lie­ben, oft unter­schätzt wird. Man soll­te sich locker selbst mal in Frage stel­len und das eige­ne Handeln kri­tisch prü­fen. Dieser Prozess festigt nicht nur die Beziehung zwi­schen Menschen, er ist auch eine wohl­tu­en­de Übung für die Seele und stärkt die Würde und die Bescheidenheit.

Dein neu­es Album «L’amore è una cosa sem­pli­ce» wur­de als Provokation abge­stem­pelt. Willst du dar­über reden?

(lacht) Ja, es ist auch eine Provokation. Wenn wir näm­lich bemer­ken, dass die Welt, in der wir leben, von Zynismus geprägt ist, müs­sen wir die­sem Zynismus mit Ironie begeg­nen. Das Album pro­vo­ziert vor allem die Menschen, die glau­ben, die Liebe sei kei­ne ein­fa­che Sache.

Dürfen wir die­sen Titel des­halb als beson­ders «lehr­mei­ster­haft» betrach­ten?

Nein, nein! Ich wür­de es nie­mals wagen, Andere eines Besseren zu beleh­ren. Aber ich bin auf jeden Fall eine hoff­nungs­vol­le und kon­struk­ti­ve Person und schrei­be nur Lieder, die auch ande­ren Menschen in irgend­ei­ner Weise wei­ter­hel­fen kön­nen. Ich habe mein Leben immer zur Schau gestellt; sei es für mich selbst oder weil das Schreiben einen hohen the­ra­peu­ti­schen Wert haben kann. Wenn ich durch mei­ne Fehler ande­ren Menschen hel­fen kann, bin ich sehr glück­lich.

Tiziano, wann hast du bemerkt, dass du ein beson­de­res Talent hast und welt­weit erfolg­reich sein könn­test? Wir erin­nern die Leser dar­an, dass du «Perdono» mit gera­de mal 21 Jahren geschrie­ben hast.

Ich war nie davon über­zeugt, dass ich ein spe­zi­el­les Talent haben könn­te. Der Hunger nach Schreiben und Komponieren war immer da. Für mich war die Musik schon immer ein frei­es Gebiet, und vor allem in schwe­ren Zeiten gab sie mir Sicherheit und ein Ventil. Deshalb frag­te ich mich nie, wel­chen Wert mei­ne Arbeit haben könn­te, oder ob ich Erfolg über­haupt ver­die­nen wür­de. Für mich war ein­zig das Musikmachen das Richtige.

In dei­ner Musik ist der Soul und Funk deut­lich zu hören. Im neue­sten Album hast du sogar mit John Legend zusam­men­ge­ar­bei­tet. Wo und wann hat dich die­ser Musikstil beein­flusst?

Eigentlich bin ich als Schriftsteller gebo­ren. Ich wur­de im Konservatorium diplo­miert und woll­te nur Lieder schrei­ben. Mit Sechzehn habe ich in mei­ner Heimatstadt Latina einen dilet­tan­ti­schen Gospel-Chor getrof­fen und mir gefiel die Vermischung der Stimmen mit dem Blues. Grund dafür war auch, dass mich der Gospel-Chor in mei­ner Schüchternheit beschütz­te. Ich hat­te die Möglichkeit, in einer Gruppe vol­ler ener­ge­ti­scher Performance zu sin­gen. Diese konn­te mir kein ande­rer Musikstil bie­ten. So habe ich erkannt, dass der Gesang mein Instrument ist. Zu Beginn sang ich mei­ne Texte mit Gospel-Touch. Dieser Schritt hat mich geprägt, und da ich nur 16 Jahre alt war, habe ich die­ses Feeling gespei­chert und bis heu­te in mir her­um­ge­tra­gen. Es ist in mei­ner DNS wie ein Tattoo gespei­chert und es ist in mei­ner Musik zu hören. Noch heu­te ist es der Musikstil, wel­cher mich am mei­sten rührt. Betreffend John Legend: Er wur­de mir von einem gemein­sa­men Freund, dem Direktor der Plattenfirma in New York, wel­che ich bis letz­tes Jahr mehr­mals besucht habe, vor­ge­stellt. Ich habe ihm mei­ne CD geschickt und die­ser hat sie John Legend hören las­sen, wel­cher sich in mei­ne Stimme ver­liebt hat. So ist eigent­lich die­se fast sur­rea­le Situation ent­stan­den. Ich wur­de ein­ge­la­den und konn­te es kaum glau­ben. John Legend ist ein ein­fa­cher Künstler. Er ist gleich alt wie ich, und wir hören die­sel­be Musik, obschon er in Philadelphia lebt und ich in Latina (lacht). Es trennt uns eine ozea­ni­sche Distanz, aber dies bestä­tigt, dass die Musik jede Entfernung besei­tigt und die musi­ka­li­schen Ähnlichkeiten her­vor­tre­ten lässt. Ich liess ihn einen Song aus­su­chen, den wir zusam­men sin­gen wür­den, und er ent­schied sich für «Smeraldo»; der eng­li­sche Song wur­de dann «Karma».

Was hat dich dazu bewegt, das Lied von Nesli «La fine», wel­ches für dich geschrie­ben wur­de, zu sin­gen? Es ist ein sehr aus­sa­ge­kräf­ti­ges Lied …

Ich habe noch nie ein Lied gesun­gen, das von ande­ren geschrie­ben wur­de. Als ich aber die­ses Lied hör­te, wur­de mir klar, dass genau so ein Song im Album fehl­te. Ich hat­te bereits von Liebe, Befreiungen und Wurzeln gesproche,n aber die­ses Lied wie­der­spie­gel­te mein eige­nes Ich der­mas­sen, dass ich mich ver­liebt habe, obwohl ich das Lied nicht selbst geschrie­ben hat­te und ich Nesli nicht kann­te. Für mich war es ein­fach, die­sen Song zu sin­gen, weil er mir sehr nahe geht.

Bald ist Weihnachten. Du und Laura Pausini ver­öf­fent­licht bei­de ein neu­es Album. Gibt es einen Wettkampf um den ersten Platz?

Nein, auf kei­nen Fall! Wir sind wie der Weihnachtsmann und die Befana, die Hexe, die am 6. Januar den Kindern Geschenke macht (lacht). Spass bei Seite. Ich habe eine prak­ti­sche Philosophie: Wenn bei­de Alben gut sind, wer­den bei­de gut ver­kauft. Mit Laura gibt es eine freund­schaft­li­che Beziehung und wir respek­tie­ren uns. Klar, jeder lan­det ger­ne mal auf dem ersten Platz. Mir reicht aber der zwei­te oder drit­te völ­lig aus. Hauptsache ist, dass die Musik und die dar­in ent­hal­te­nen Nachrichten beim Publikum ankom­men. Die Zahlen über­las­se ich den Plattenfirmen.

Tiziano, wie fühlst du dich mit dei­nen 31 Jahren auf musi­ka­li­scher und mensch­li­cher Ebene?

Zwischen 20 und 30 festigt sich nor­ma­ler­wei­se ein Mensch. Er wird rei­fer. Mit ein biss­chen Ironie und Schmunzeln hal­te ich mich für einen klei­nen Dummkopf in vie­len Bereichen. Ich hof­fe, dass ich mich immer mehr zu einem rei­fen Mann ent­wickeln wer­de und ver­su­che nicht abzu­he­ben. Die Fehler sind da, um aus ihnen zu ler­nen.

Wie möch­test du jetzt, nach dei­nem Outing, von den Menschen wahr­ge­nom­men wer­den?

(lacht) Wie eine anstän­di­ge und kon­se­quen­te Person. Ich schwei­ge lie­ber, als dass ich etwas Unbedachtes sage. Somit möch­te ich, dass die Menschen die­ses Verhalten aner­ken­nen.

Prominente Künstler – Tiziano Ferro ein­ge­schlos­sen – haben vie­le Freunde aber auch Feinde. Wen wür­dest du vom Turm wer­fen?

(lacht) Mamma mia! Warte, es gibt fünf oder sechs. Es sind vor allem Menschen, die Lügen ver­brei­ten und dabei den­ken, unge­sühnt davon zu kom­men. In mei­nem Fall ist es letz­tes Jahr eini­ge Male vor­ge­kom­men, nach­dem ich mich geoutet hat­te. Es gab ver­leum­de­ri­sche Personen, die in den Zeitungen für Schlagzeilen sorg­ten, weil sie anschei­nend eine Beziehung mit mir gehabt hät­ten. Was über­haupt nicht der Wahrheit ent­spricht! Dieses Verhalten fin­de ich abscheu­lich, pri­mi­tiv und falsch. Hätte ich die­se Leute auf einem Turm gehabt, hät­te ich sie ger­ne her­un­ter geschubst – ganz ehr­lich.

Wie wirst du von den Fans hier in der Schweiz auf­ge­nom­men?

Die Schweizer sind phan­ta­stisch. Ich mag die ver­schie­de­nen Kulturen, die mir zuge­tan sind. Durch mei­ne Musik ver­ges­sen die Italiener in der Schweiz ihre Wurzeln nicht. Leider gehen die­se in den neu­en Generationen ein wenig ver­lo­ren, da sie in einem mul­ti­kul­tu­rel­len Land auf­wach­sen.

Was möch­test du dei­nen Fans zum Schluss noch sagen?

Der Mensch soll­te sich selbst nie unter­schät­zen. Jeder von uns hat einen inner­li­chen Schatz, obwohl uns die­se hek­ti­sche und zyni­sche Welt manch­mal davon abhält, ande­ren Menschen und sich selbst zu hel­fen. «Vi man­do un salu­to!» – Tiziano.

Vielen Dank, Tiziano Ferro, für die­se rei­che und span­nen­de Unterhaltung.

Dieses Interview fand in ita­lie­ni­scher Sprache statt. Übersetzung von Noemi Pinto.

Album: Tiziano Ferro – «L’amore è una cosa sem­pli­ce» (EMI)

Foto: Noemi Pinto
ensuite, Januar 2012

 

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