Ich mache es eigent­lich für mich, an

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Von Peter J. Betts – Sie sagt: «Ich mache es eigent­lich für mich, an die Betrachtenden den­ke ich erst – im zwei­ten Schritt». Ob das eine ehr­li­che Aussage sei, fragt sie sich. Macht sie es doch eigent­lich für die ande­ren? Sie? Sie bezeich­net sich als Keramik Designerin. Eine Bezeichnung, mit der sie ver­sucht, sich als schöp­fe­ri­sche Person nicht ein­fach durch ande­re (ev. ver­meint­li­che KennerInnen) in eine Ecke oder eine Schublade abschie­ben zu las­sen. Nicht in die Schublade der Künstlerin. Nicht in die Schublade der Töpferin. Nicht in die Schublade der Handwerkerin. Nach dem Bestehen des Vorkurses hät­te sie sich in Biel zur Grafikerin aus­bil­den las­sen kön­nen. Verlockend. Aber Grafiker ver­brin­gen den gröss­ten Teil ihrer Arbeitszeit hin­ter dem Bildschirm. Das hät­te nicht zu ihr gepasst. Das Gestalten in drei Dimensionen lock­te sie. Der Einsatz der gan­zen Person – Körper und Geist, Optisches wie Haptisches. Töpferin? Sie will sich nicht aufs Herstellen von – Geschirr beschrän­ken. Plastikerin, also Künstlerin? Sie will die Nutzbarkeit ihrer Schöpfungen nicht aus­schlies­sen. Keramik Designerin ist für sie dem­zu­fol­ge eine akzep­ta­ble Berufsbezeichnung. Beim Gestalten ihrer Schöpfungen spie­len also für sie ganz natür­lich gei­sti­ge Auseinandersetzung, Grafik, Kunst, zeich­ne­ri­sches Entwickeln, Handwerk, Aussageabsicht, Materialisation, viel­schich­ti­ge Funktionalität in Kombination und in unter­schied­li­cher Zeitabfolge gleich­wer­ti­ge Rollen. Gefordert sind Kopf, Herz, Hand – und Fingerspitzengefühl, Risikobereitschaft, Umgang mit Misserfolg, Knochenarbeit, Leben mit Enttäuschung und auch mit Erfolg. Inhaltlich, tech­nisch, for­mal, funk­tio­nal ist ihre Arbeit eine stän­di­ge Gratwanderung, die sich ohne «Konsumationsberatung» durch die Gestalterin – auf Umwegen – Betrachtenden selbst­stän­dig zu ver­mit­teln weiss: und so Betrachterinnen und Betrachter zu Mittäterinnen und Mittätern macht, die sel­ber eine Portion des Risikos mit­tra­gen und mit­zu­tra­gen bereit sind. Eine Art Mitmachtheater? Sie arbei­tet – im Bereich der Keramik – aus­schliess­lich mit Porzellan. In die­sem Material fin­det sie die Möglichkeit, Grenzen und Potentiale des Werkstoffes aus­zu­lo­ten, bezüg­lich dünn­häu­ti­ger Härte, Zerbrechlichkeit, Feinheit, Widerstandskraft, Unvertuschbarkeit von Fehlern – auch bezüg­lich Fehlern als inhalt­li­cher Quelle und all das in den Dienst wider­sprüch­li­cher Aussagen zu stel­len: die Schönheit der Orte, Gegebenheiten, Szenen, Verhältnisse – die eigent­lich eben­falls alles ande­re als schön sind – zu zei­gen, und so zugleich auch die Einsicht ent­ste­hen zu las­sen, dass eben­falls die Schönheit des Schrecklichen kost­bar ist (wäre?), und das Schreckliche der Schönheit. Sie? Sie holt ihre sze­ni­sche Grundausstattung etwa aus der Märchenwelt. Bekanntlich lie­gen dort schein­bar hei­le Welt und bru­tal­ste, ins Reale trans­for­mier­ba­re Katastrophen fast deckungs­gleich über­ein­an­der: ein Bild, das sehr, sehr unter­schied­lich gele­sen wer­den kann. Etwa – auf ein und der­sel­ben run­den Tortenplatte fin­den sich: eine Prinzessin (prio­ri­tär in Rosatönen!), derem Kopf drei nicht weni­ger rosa­ro­te Herzen ent­stei­gen; ein hoff­nungs­grü­ner Frosch mit gel­ber Krone, der – wenn man die Bildgeschichte gele­sen hat, weiss man es mit Sicherheit – sich nie zum schö­nen Prinzen mau­sern wird; gefähr­li­che Wölfe; auf der Rückseite der schö­ne Prinz, grös­sen­mäs­sig und farb­lich mit der Prinzessin ver­wandt. Von der sich herz­haft seh­nen­den Prinzessin gehen drei Wege aus: ein Labyrinth. Jeder Weg führt zu einer der drei Szenen. Und sie kann nur einen ein­zi­gen Weg gehen, weil es nach dem Erreichen des Zieles kei­nen Rückweg und kei­ne Weiterführung gibt. Wird die Prinzessin, falls sie sich je aus ihrer (auch mate­ri­ell beding­ten) Erstarrung lösen und in Bewegung set­zen kann, bei den gefräs­si­gen Wölfen enden? Beim gekrön­ten Frosch, der nie ein Prinz wer­den wird? Beim schö­nen Prinzen, der sich auf der Rückseite der Platte befin­det, und der – auf den zwei­ten Blick – viel von sei­nem Glanz ver­liert, etwas lächer­lich wirkt, ohne Bedauern zu wecken? Und wenn: ist die Rückseite über­haupt auf der Platte? Ist es die Unterwelt? Wird die Geschichte fer­tig geschrie­ben sein, wenn sie – wie Dürrenmatt es vor­gibt – ihren schlimmst­mög­li­chen Ausgang gefun­den hat? Und wenn einen die Auseinandersetzung mit der auf den ersten Blick hei­te­ren, nied­li­chen, fröh­li­chen, harm­lo­sen Bildergeschichte zu sehr beun­ru­higt, kann man eine wohl­schmecken­de Torte drauf­knal­len, und die Platte ist eine Platte, eine Tortenplatte. Betrachtenden bleibt also die Option des Verdrängens, wie im «wirk­li­chen» Leben. Sie the­ma­ti­sier­te auch etwa Gewalt. Gewalt an Kindern, vor allem, und auch: von Kindern – in ihrem Projekt «Kinderteller»: es han­del­te sich um Teller mit ampu­tier­ten und anmo­del­lier­ten Puppenärmchen; erst viel­leicht bei genaue­rem Betrachten wur­de das Thema Gewalt ersicht­lich, ent­we­der durch die ein­deu­ti­ge Abwehrgestik des Ärmchens, oder durch sei­ne ein­deu­ti­ge Position, die als Resultat des zer­stör­ten Kinderspielzeuges erkenn­bar war – Abwehr oder Ausüben von Gewalt, Subjekte oder Objekte? Für sie ist jetzt das Thema nicht mehr aktu­ell, stimmt also für sie so nicht (mehr)… Sie bleibt also nicht ste­hen! Mit dem Projekt Puppen reflek­tiert sie den schwer durch­dring­li­chen Mix von kind­li­cher Reinheit, Unschuld, die unver­mu­tet im näch­sten Augenblick ins Hässliche umkippt. Sie hat mit dem Projekt «tot­ge­küss­te Frösche» die ver­hee­ren­de Auswirkung ziel- oder wachs­tums­ori­en­tier­ter Liebe(säusserungen) gestal­tet: aus ihren tot­ge­küss­ten Fröschen ent­steigt kein schö­ner Prinz (oder er hat zusam­men mit der ent­flie­hen­den Froschseele unver­sehrt das Weite gesucht); zurück blei­ben zer­stör­te Froschhüllen – umwer­fend schön. In einem ande­ren Projekt, «der ver­lieb­te Salzstreuer» – es heisst, die ver­lieb­te Köchin ver­sal­ze (durch ihre Tränen?) die Suppe – beschreibt sie die Gratwanderung des gefähr­li­chen Zuviels oder Zuwenigs von Salz auch als Metapher. Ob «Gebrauchsgegenstand» oder «Kunstobjekt»: ihre Aussage ist immer viel­schich­tig, ambi­va­lent. Ihre Objekte sind nicht nur Kommentare zu den Praktiken der «wirk­li­chen Welt», sie hin­ter­las­sen einen wirk­sa­men Fussabdruck: Kunst, halt. Sie hat in Biel ihr Diplom gemacht. Sie hat in Japan gear­bei­tet und geforscht und gelernt (Porzellan: back to the roots?). Sie? Sie heisst Christine Aschwanden und betreibt zusam­men mit zwei Kolleginnen ein Atelier für Keramikdesign (www.keramikdesign.ch). Auf ihrer Webseite wer­den nicht nur die Vielfalt der Projektideen und deren ver­blüf­fen­de Realisation vor­ge­stellt, son­dern auch die klu­ge ver­ba­le Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit, ihren Zielen: Worte, die – wie die Objekte – direkt berüh­ren. Ich habe Christine Aschwanden erst im Blumenladen an der Münstergasse 72 in Bern ken­nen­ge­lernt, wo sie, zusam­men mit einer der bei­den Kolleginnen, Eva Vogelsang, wäh­rend zwei­ein­halb Wochen eine Porzellanausstellung durch­führ­te, durch­setzt von Veranstaltungen (z. B. Perfomance, Lieder, Poesie, Klanginstallationen). Die Besitzerin des Blumenladens hat­te wäh­rend ihrer Ferienabwesenheit Christine Aschwanden die Räumlichkeiten zur frei­en Verfügung anver­traut, ohne die lei­se­ste Ahnung zu haben, was sich dort alles abspie­len wür­de. Keine Selbstverständlichkeit. Oder? Und da gibt es noch immer Leute, die behaup­ten, seit Ende der Achtzigerjahre sei Berns Kreativität auf Sparflamme gesetzt … Nun, Mitmachtheater war in Bern Ende der Sechziger‑, Anfang der Siebzigerjahre ange­sagt. In jene Zeit fiel auch das «Internationale Festival klei­ner Bühnen», wo die Bevölkerung Berns die Theatergruppen auf Tournee pri­vat unter­brach­te, deren Produktionen besuch­te, mit Spielenden und ande­ren Besucherinnen und Besuchern zusam­men fei­er­te. Mir scheint, der glei­che krea­ti­ve Geist beflü­gelt den Blumenladen an der Münstergasse 72.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011

 

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