Seit jeher unter­wegs: Literarische Fragmente 18

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Von Konrad Pauli – Die Sechsundachzigjährige, jung ver­hei­ra­tet, früh geschie­den und Alleinerziehende von zwei Mädchen, im Verlauf des Lebens ver­schie­de­ne Männerangebote abweh­rend, ver­bringt mit einer Gruppe ein paar Sommertage am See. Nicht mehr gut zu Fuss, ist sie den­noch nicht gebrech­lich, kann sich bewe­gen, schmerz­frei sit­zen, geniesst ihren guten Appetit. Männer, die um sie war­ben, ihr ernst­haf­te Angebote mach­ten, waren die fal­schen oder nur halb­wegs rich­ti­gen, jeden­falls fehl­te stets Wesentliches, das attrak­tiv genug gewe­sen wäre, sie ein­zu­fan­gen. Das Übliche: Der Mann war nicht ihrem Anspruch gemäss geklei­det, hat­te den fal­schen Beruf, war zu fein oder zu grob, zu umständ­lich oder direkt, zu still oder zu laut – und wenn es mal einer in die enge­re Auswahl schaff­te, war er ver­hei­ra­tet. Natürlich mit der fal­schen Frau…

Am See sass die Frau nach­mit­tags und am Abend, war­te­te auf den Sonnenuntergang, betrach­te­te das Spiel der Schwäne, hör­te auf das Rumoren der Spatzen im Gebüsch, zog das Getränk in die Länge, bloss, um vom Kellner nicht noch­mals nach nicht vor­han­de­nen Wünschen befragt zu wer­den. Nicht alle Wünsche hat­te sie ver­ges­sen. Aber sie wuss­te, dass ihre Erfüllung von Tag zu Tag unwahr­schein­li­cher wur­de. Und sie blick­te den Paaren nach auf der Promenade, jun­ge, eng umschlun­ge­ne Pärchen, Eltern mit Kinderwagen, älte­ren Paaren, Hand in Hand, hör­te auch, wie an Nachbartischen geplau­dert oder auch geschwie­gen wur­de, aber paar­wei­se, zusam­men. Und plötz­lich tat sich ihr ein Abgrund auf, die Gewissheit, in zwei Tagen wie­der in ihrer klei­nen Vorstadtwohnung zu sein, im Gedanken dar­an, womög­lich doch etwas ver­passt zu haben, umge­ben von ihren Sachen, ein­ge­packt in Einsamkeit.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011

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