EDITORIAL Nr. 102/103: Es sind unse­re Kinder

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Von Lukas Vogelsang – Der Kanton Bern hat ein neu­es Kulturvermittlungsprogramm gestar­tet. In der Märzsession 2011 hat der Berner Grosse Rat eine Pilotphase und einen Kredit von rund 6 Millionen Franken gespro­chen, damit die Kultur- und Bildungsstrategie umge­setzt wer­den kann. Mit Kulturgutscheinen, Internetplattform und in Begleitung von Kulturschaffenden sol­len Kinder und Jugendliche unter­stützt wer­den, ihr krea­ti­ves Potenzial zu ent­decken und aus­zu­schöp­fen. Bereits im Schuljahr 2011/2012 soll mit der Umsetzung begon­nen wer­den.

Das klingt eigent­lich gut. Kinder und Jugendliche zu för­dern hat eine logi­sche und erwie­se­ne Konsequenz. Allerdings kam ich etwas ins Grübeln: Einerseits spa­ren wir bei ani­mier­ten Spielplatzeinrichtungen jeden Rappen ein, jenen Einrichtungen, wel­che den Kindern oft­mals den besten Einstieg in Kultur und Kreativität geben, und dafür machen wir Millionen locker, um die­sen Fehler wie­der zu kor­ri­gie­ren.

In Spanien steht zur Zeit die Jugend auf den Strassen und pro­te­stiert gegen die Erwachsenenwelt, wel­che kei­ne Konzepte für ein gemein­schaft­li­ches und gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­des Miteinander zustan­de gebracht hat. Und das ist auch hier so. Die Kinder und Jugendlichen sind sozi­al trai­niert und sehr ver­netzt, aber ihre Zukunft in Sachen Beruf und Raum ist eher auf dün­nem Eis. Vor allem: Welche
Zukunft?

In einer Welt, in der jeder an sich und für sich denkt, hat die Gesellschaft als Ganzes kaum noch eine Existenz. Unseren Kindern über­las­sen wir nichts aus­ser Arbeitslosigkeit, Sinnlosigkeit, Ich-Bezogenheit und Atommüll. Wir Erwachsenen neh­men für uns dafür den Reichtum, das Entertainment und allem vor­an die Freiheit. Diese Welt haben wir ver­ur­sacht. Nicht die Jugend hat ein Problem: Wir Erwachsenen sind das Problem.

Was bringt es also, Kinder und Jugendliche zu för­dern, wenn die Erwachsenen nicht ver­ste­hen? Gerade in kul­tu­rel­len Fragen sind die Erwachsenen jene, die nicht mehr ins Theater gehen und den klas­si­schen Konzerten fern­blei­ben. Die Jugendlichen haben wir schon längst ins Theater gebracht und die Kinder lie­ben Kindertheater. Seit der Dirigent Sir Simon Rattle und sein Team im Jahr 2003 mit dem «Education-Program» und mit dem dar­aus ent­stan­de­nen Dokumentarfilm «Rhythm Is It» ein­drück­lich gezeigt hat, wel­che krea­ti­ven Kräfte in den Kindern stecken, soll­te uns bewusst sein, dass nicht die Kinder jene sind, die eine kul­tu­rel­le Entwicklung blockie­ren, son­dern deren Eltern.

Ich stel­le mir das Problem die­ses Kulturvermittlungsprogrammes so vor: Die Kinder kom­men nach Hause und ver­su­chen den Eltern in krea­ti­ver Begeisterung zu erklä­ren, was sie tags­über alles erlebt haben. Doch die­se win­ken ein wei­te­res Mal ab. So weit ent­fernt sind die­se Kinder vom Alltag der Erwachsenen. Und was soll aus die­sen Kindern wer­den? «Lernt gefäl­ligst einen anstän­di­gen Beruf, der Geld ein­bringt!» – Dieses Klischee belibt auch in Zukunft hän­gen.

Kulturvermittlung braucht das Land. Aber vor allem für Erwachsene. Wir müs­sen die 30 – 50 Jährigen mit krea­ti­vem und kul­tu­rel­lem Wissen bezir­zen, damit die­se den Enthusiasmus, die Neugierde und Lebenskreativität an unse­re Kinder wei­ter­ge­ben. Es ist sym­pto­ma­tisch, dass Kulturvermittlungsprojekte für Erwachsene wenig Geld erhal­ten. Und wenn schon der Bundesrat Schneider-Ammann meint, dass Medien eine wich­ti­ge Rolle spie­len, dann för­dert doch mal Kulturmedien, Kulturmagazine und vor allem die mei­nungs­bil­den­den kri­ti­schen Kulturmedien. Mit Kinderförderung macht man heu­te Politik, um Punkte zu gewin­nen, aber Kultur steht in jeder Amtsabteilungsliste immer noch am Schluss und ist eher lästig.

Unsere Kinder sind sozi­al schon längst wei­ter ent­wickelt als wir Erwachsenen. Sie sind mit der Geschwindigkeit der Welt, wel­che wir Erwachsenen vor­an­ge­trie­ben haben, auf­ge­wach­sen, und haben sel­ber neue Wege und Reserven gefun­den, um dar­in nicht unter­zu­ge­hen. Nur wir Erwachsenen machen in unse­rem eige­nen «Jugendwahn» den Platz unse­ren eige­nen Kindern strei­tig. Vor Jahren habe ich mal gesagt: «Die Erwachsenen leben und ver­wirk­li­chen heu­te die Träume ihrer Kindheit. Und die Kinder haben sie in der Realität zurück­ge­las­sen.»
Haben wir uns das so vor­ge­stellt?

Lukas Vogelsang war 10 Jahre auf dem Berner Hausberg Leiter des Kinder-Animationsprogrammes «Himmel über Bern». Seine Firma inter­werk gmbh hat in die­ser Zeit sehr vie­le gros­se Familienevents mit bis zu 10 000 BesucherInnen durch­ge­führt.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 102/103, Juni/Juli 2011

 

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