Armadillo

Von

|

Drucken Drucken

Von Sonja Wenger – Visuell vor den Kopf geschla­gen. Emotional durch­ge­schüt­telt. Schockiert und berührt zugleich. So und ähn­lich kann es einem im däni­schen Dokumentarfilm «Armadillo» erge­hen, der in sei­nem Heimatland ver­gan­ge­nes Jahr hohe poli­ti­sche Wellen geschla­gen und zu einer Debatte über die däni­sche Kriegspolitik geführt hat.

Armadillo (seit 2010 Budwan) ist eine Militärbasis in der afgha­ni­schen Provinz Helmand, in der rund 270 däni­sche und bri­ti­sche Soldaten der Nato- und ISAF-Truppen sta­tio­niert sind. Der däni­sche Regisseur Janus Metz Pedersen und sein Team haben 2009 eine Gruppe jun­ger däni­scher Soldaten auf ihrer sechs­mo­na­ti­gen Tour in Armadillo beglei­tet, bei ihrer Arbeit und Freizeit im Lager genau­so wie bei den gefähr­li­chen Patrouillen aus­ser­halb – ohne Einschränkungen, ohne Selbstzensur, ohne poli­ti­schen Filter.

Doch selbst wenn man die­se vor­teil­haf­ten Umstände mit in Betracht zieht, geht der Dokumentarfilm «Armadillo» weit über das hin­aus, was man sich von die­sem Genre gewöhnt ist. Pedersen hat ein fil­mi­sches Zeitzeugnis geschaf­fen, das direkt in die Gedankenwelt der Soldaten zu sehen ver­mag, das das Publikum mit­ten in Kämpfe führt, das den Wahnsinn, die Paranoia, das Adrenalin und auch die Nähe zum Tod spür­bar macht.

Der Film beginnt in Dänemark und zeigt die Soldaten auf ihrer Abschiedsparty mit Stripperin, bei ihrem trä­nen­rei­chen Abschied von Familie und Freunden, reflek­tiert aber auch den Mix aus Patriotismus, Erwartungshaltung, Angst und Zweifel. Es ist für alle der erste Einsatz. Er führt sie in ein Land, das so rein nichts mit ihrer bis­he­ri­gen Erfahrungswelt zu tun hat und in dem seit 2001 aus­län­di­sche Soldaten sta­tio­niert sind, ohne dass sich die Situation der Bevölkerung signi­fi­kant ver­bes­sert hät­te. Die süd­lich gele­ge­ne Provinz Helmand gilt als eine der Hochburgen des Widerstands der Taliban gegen die afgha­ni­sche Regierung und die Nato-Truppen.

Dennoch wird der Alltag der Soldaten zumin­dest zu Beginn domi­niert von Langeweile und Routine. Sie ver­trei­ben sich die Freizeit mit Videospielen, Pornos, Philosophischem und weni­ger Schlauem. Den mei­sten juckt es in den Fingern. Sie seh­nen sich nach Konfrontation und nach einer Rechtfertigung für ihre Präsenz. Doch als es dann tat­säch­li­che zum Einsatz kommt, rela­ti­viert sich vie­les.

Plötzlich wer­den aus nor­ma­len Begegnungen auf der Strasse inten­si­ve Spannungsmomente. Die Unsicherheit dar­über, wel­chen Einheimischen man ver­trau­en kann, darf oder muss, ent­wickelt sich zu einer Frage, die über Leben und Tod ent­schei­det. Und als eine Patrouille das erste Mal von einer klei­nen Gruppe Taliban direkt ange­grif­fen und beschos­sen wird, scheint plötz­lich das Ende ihrer Jugend gekom­men.

Doch unge­ach­tet des­sen, wie brenz­lig die Situationen sind: Die Kamera des Filmteams ist stets mit dabei. In «Armadillo» erhält der Begriff «embedded Journalist» (ein­ge­bet­te­ter Kriegsberichterstatter) eine neue Dimension. Die Szenen sind so atem­be­rau­bend nah und mit so viel Mut und tech­ni­scher Brillanz gefilmt, dass man sich strecken­wei­se fragt, wie es den Kameraleuten gelun­gen ist, am Leben und bei Verstand zu blei­ben. Nicht nur erlebt das Publikum einen Angriff mit. Man ist auch mit dabei, als ein Soldat eine Handgranate in das Versteck der Taliban wirft – und spä­ter als die schwer­ver­letzt Überlebenden exe­ku­tiert wer­den.

Dieser Vorfall bil­det in der Folge den Rahmen für die wei­te­re Geschichte. So fokus­siert sich das Filmteam auf die Reflexionen der beim Angriff betei­lig­ten Soldaten, die zwi­schen Trauma und Hochgefühl schwan­ken und bei denen vie­le unbe­dach­te, aus der Distanz betrach­tet schockie­ren­de Worte fal­len. Das Publikum hört mit, als sie mit ihren Eltern tele­fo­nie­ren und vom Vorfall erzäh­len, der in der däni­schen Medien gemel­det wor­den ist. Die Kamera ist mit dabei, als jeder für sich nach einer Erklärung und Rechtfertigung sucht, aber auch bei der Nachbesprechung mit den Vorgesetzen.

In die­sen Momenten zeigt sich eine wei­te­re Stärke von «Armadillo»: Der Film, der ohne Erzählerstimme aus­kommt, bie­tet nur Ansichten und Einsichten ohne dabei zu mora­li­sie­ren oder zu wer­ten. Trotz gros­ser Nähe bleibt er stets zurück­hal­tend und ver­zich­tet kon­se­quent auf jede Form der Sensationshascherei oder Mystifizierung.

Zwar lässt gera­de die intel­li­gen­te Dramaturgie und die tech­ni­sche Brillanz von «Armadillo» strecken­wei­se die Grenzen zwi­schen Dokumentation und Fiktion ver­wi­schen. Dennoch gelingt es dem Film, die Wahrnehmung des­sen, was man glaub­te über den Krieg zu wis­sen, für immer zu ver­än­dern. Oder wie es der däni­scher Schriftsteller und Professor für Kulturanalyse Carsten Jensen sagt: «Nach dem Film Armadillo wird man nicht mehr gleich über Afghanistan spre­chen kön­nen wie zuvor.»

«Armadillo». Dänemark 2010. Regie: Janus Metz Pedersen. Ab 28. April in Deutschschweizer Kinos.

Foto: zVg.
ensuite, April 2011

 

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo