«Ich bin kein Casting-Mensch»

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Von Guy Huracek – Die Sängerin Stefanie Heinzmann spricht in Davos exklu­siv mit dem Kulturmagazin ensuite über CastingShows, Stefan Raab, und wes­halb die Leute sie über ihre roten Turnschuhe iden­ti­fi­zie­ren.

Vor eini­gen hun­dert Jahren ging man in Rom ins Kolosseum und sah zu, wie Sklaven den Löwen zum Frass vor­ge­wor­fen wur­den. Heute setzt man sich vor den Fernseher und amü­siert sich, wie Möchte-gern-Supertalente in Castingshows zer­fleischt wer­den. Die Löwen gibt es immer noch: Es sind Dieter Bohlen und das Publikum, das bei einem beson­ders pein­li­chen Kandidaten auf­steht und buht. Wenn beson­ders schlecht gesun­gen wird, dreht es dem Sänger sogar vor lau­fen­der Kamera den Rücken zu.

Sind Castingshows wirk­lich Brot und Spiele? Es ist 14.01 h, ich war­te in der Lobby eines vier Sterne Hotels in Davos auf Stefanie Heinzmann. Sie hat 2008 bei einem Casting mit­ge­macht und ist heu­te eine der weni­gen Soulsängerinnen, die danach immer noch bekannt sind. Wenige Minuten spä­ter erscheint Stefanie mit ihrem Bru-der. Sie trägt rote Schuhe und Jeans und sagt: «Tut mir Leid, wir sind zwei Minuten zu spät». Als ich ihr den Vergleich vom Kolosseum und den Casting-Shows erzäh­le, kommt die Antwort spon­tan: «Das ein­zi­ge, was bei sol­chen Sendungen zählt, ist der Unterhaltungsfaktor», meint die 21-jäh­ri­ge. Sie gebe ehr­lich zu, dass sie sich sol­che Formate, zwar nur wäh­rend dem Fitnesstraining, anschaue. Bei der Sendung «Supertalent» gäbe es vie­le Leute die «coo­le Sachen» machen wür­den, und es sei span­nend zu sehen, wer was kön­ne. «Ich fin­de es schwie­rig, sol­che Sendungen zu wer­ten», sagt die jun­ge Frau mit den Lippen Piercings, «Vampire Bites». Es kön­ne bei Supertalent eine Person auf­tre­ten, die nach nur ein paar getrof­fe­nen Tönen über­mäs­sig viel Applaus ern­te. Eine ande­re bekä­me nach eini­gen Sekunden Gesang puren Hass des Publikums zu spü­ren. «Solche Buh-Rufe emp­fin­de ich als sehr hart», sagt Stefanie. Es sei nicht gerecht­fer­tigt, wegen ein paar schril­len Tönen gleich aus­zu­ra­sten.

Stefanie kau­ert auf dem Polstersessel, legt ihre Arme um die Beine, und scheint für eini­ge Sekunden in Gedanken ver­tieft zu sein. «Ich weiss, ich kom­me selbst aus einem Casting. Aber ich bin kein Casting-Mensch», sagt sie und muss lachen. «Ich has­se es, mich mit ande­ren zu mes­sen». Vieles sei doch eine Frage des Geschmacks. Solche Sendungen ver­mit­teln einem aber das Gefühl, dass jemand schlech­ter sei als ein Anderer. «Man kommt wei­ter – oder nicht. Und das soll dann bedeu­ten, dass man bes­ser oder schlech­ter ist», meint Stefanie. Mit den rund sie­ben Milliarden Menschen auf der Welt sei doch unmög­lich zu sagen, dass jemand bes­ser sei als ein ande­rer. «Solche Musik-Sendungen sind nicht mehr als Unterhaltungs-Sendungen», hält die Sängerin fest. «Zum Beispiel <Deutschland sucht den Superstar> hat unglaub­lich hohe Einschaltquoten». Doch kaum habe man einen Star gefun­den, wer­de schon nach dem näch­sten gesucht. «Es inter­es­siert nie­man­den mehr, was mit dem Superstar geschieht, der Focus liegt dann auf den neu­en Superstars», sagt sie und hält fest: «Es geht nur um die Sendung selbst».

Die Walliserin hat vor rund drei Jahren den Casting-Wettbewerb von Stefan Raab gewon­nen. Dennoch ist sie bis heu­te in Deutschland und auch in der Schweiz bekannt geblie­ben. «Das hat vie­le Faktoren», begrün­det Stefanie. Auf der einen Seite sei Stefan Raab ein TV-Massenproduzent, der vie­le Ideen hat, wie zum Beispiel «Schlag den Raab». Aber wenn Raab eine Sendung mit Musik mache, dann lie­ge ihm sehr viel an den Kandidaten. «Er liebt die Musik und hat sie im Blut», erklärt Stefanie. Wenn er Künstler suche, dann sei ihm wich­tig, dass die­se auch gut auf­ge­ho­ben sei­en. «Ich bekom­me nach wie vor viel Support von ihm», sagt die Walliserin. Beispielsweise dür­fe sie eini­ge ihrer neu­en Songs in sei­ner Sendung spie­len. «Und ich bin ein gros­ser Glückspilz», zeigt sie sich über­zeugt. Sie habe ein super Team, super Leute, die sie unter­stütz­ten, meint sie, ihren Bruder anlä­chelnd, der sich zu uns in die Polstergruppe gesellt hat. Claudio Heinzann beglei­tet sei­ne Schwester seit rund zwei Jahren auf Schritt und Tritt, küm­mert sich ums Management und um Presseanfragen. «Wir sind eine Familie», sagt Stefanie dazu.

Seit Stefanie bei SSDSDSSWEMUGABRTLAD gewon­nen hat (Nein, es han­delt sich hier um kei­nen Druckfehler. Stefan Raab nann­te sei­ne Castingshow im Jahr 2007: Stefan sucht den Superstar, der sin­gen soll, was er möch­te, und ger­ne auch bei RTL auf­tre­ten darf!), wur­de die Walliserin in ein Parallel-Universum kata­pul­tiert. Eine frem­de Welt, die ihr anfangs selt­sam anmu­te­te und auch Angst mach­te. Doch Stefanie ist sich sel­ber treu geblie­ben.

Vor mir sitzt eine jun­ge, attrak­ti­ve Frau, die trotz ihres Erfolges eine ange­neh­me Natürlichkeit aus­strahlt. «Ich tra­ge ger­ne Turnschuhe und T‑Shirts», sagt sie. Während der Castingshows von Stefan Raab gab es des­we­gen ein­mal Komplikationen. «Bei mei­nem aller­er­sten Fotoshooting soll­te ich einen Minirock und vio­let­te Stiefeletten tagen. Ich habe die Welt nicht mehr ver­stan­den. Ich habe durch den gan­zen Raum geschrien und geheult. Auf kei­nen Fall woll­te ich die­se Kleider tra­gen», erin­nert sie sich. Gedanken über High Heels macht sich die Sängerin aber den­noch. Sie sei jetzt 21 Jahre alt und ent­wick­le sich. «Doch wenn ich mal hohe Schuhe tra­ge, bekom­men die Leute aus mei­nem Umfeld einen Schock». Sie wür­den zu ihr kom­men und fra­gen: «Was ist den mit dir pas­siert?» – Stefanie ist erstaunt, dass sie stark auf ihren Stil, rote Turnschuhe und Jeans, beschränkt wird. «Ich kom­me fast nicht mehr aus dem her­aus», meint sie. Doch: «Wenn ich in fünf Jahren Lust habe einen Minirock zu tra­gen, dann wer­de ich einen anzie­hen.»

Auf die Frage, was in fünf Jahren sonst noch alles pas­sie­ren könn­te, hat die Sängerin kei­ne Antwort. «Ich wei­ge­re mich prin­zi­pi­ell, über die Zukunft nach­zu­den­ken», sagt sie. Doch ihr Lächeln und ihr gedan­ken­ver­sun­ke­ner Blick ver­ra­ten, dass sie sich den­noch Gedanken macht. «Ich habe schon mei­ne Pläne. Aber in letz­ter Zeit hat sich mei­ne Zukunft so dra­stisch ver­än­dert. Ich woll­te einen Schulabschluss machen und plötz­lich bin ich in den Charts!». In fünf Jahren könn­te sie Mutter sein, oder im Aldi an der Kasse sit­zen, oder auch in Amerika, auf Welttournee sein. «Keine Ahnung. Ich weiss es nicht», sagt sie und schüt­telt den Kopf.

Auf die näch­ste Frage muss Stefanie lan­ge war­ten, denn sie will mir ein­fach nicht in den Sinn kom­men. Mein Notizbuch liegt zu Hause in Bern, irgend­wo in mei­nem Zimmer. Als ich Stefanie davon erzäh­le, kann sie sich kaum hal­ten vor Lachen. «Das macht nichts, ich bin völ­lig unkom­pli­ziert», sagt sie. Ich ver­su­che, den Moment mit einem Geschenk zu ret­ten: Da sich Stefanie für das Interview Zeit vor einem Konzert genom­men hat, habe ich ihr ein «Bärnermünt-schi», ein Bier aus Bern mit­ge­bracht. «Oh, es tut mir leid, ich trin­ke kei­nen Alkohol», sagt sie.
Es war der rich­ti­ge Moment das Interview zu been­den.

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010

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