Mensch, der

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Von Frank E.P Dievernich – LEXIKON DER ERKLÄRUNGSBEDÜRFTIGEN ALLTAGSPHÄNOMENE (FOLGE VII): Der Mensch ist eine gefähr­li­che Beschreibungskategorie. Er wird lau­fend bemüht, all­täg­lich wird auf ihn refe­riert. Im Mittelpunkt all unse­res Handelns steht der Mensch. Wir reagie­ren auf Menschen und wün­schen, dass Menschen auf uns reagie­ren. Wir sind so in unser Ebenbild ver­liebt, dass wir über­all Menschen mei­nen zu sehen. Und weil das so ist, ver­stei­gen wir uns gera­de in Unternehmen mit gewal­ti­gen Konsequenzen, wenn wir ganz selbst­ver­ständ­lich davon spre­chen, dass der Mensch im Mittelpunkt die­ser Organisationen steht. Das mag sicher­lich gut gemeint sein, die Konsequenzen sind fatal, kon­kret: fru­strie­rend.

Den Menschen als eine kom­ple­xi­täts­re­du­zie­ren­de Beschreibungskategorie zu ver­ste­hen, mag das Ganze auf den ersten Blick nicht ver­ein­fa­chen, jedoch dürf­te damit der erste Schritt getan sein, dem Menschen, oder dem, was wir für einen sol­chen hal­ten, end­lich gerecht zu wer­den. Eine erste Unterscheidung dürf­te sein, dass es einen Körper, einen Leib gibt, der sicher­lich nicht mit dem Menschen als Wesen gleich­ge­setzt wer­den kann. Zudem gibt es auf Seiten des Menschen ein Bewusstsein, ein psy­chi­sches System, wel­ches denkt. Das wäre eine näch­ste Unterscheidung, die sicher­lich gegen­über dem Leib, ver­stan­den als Hülle, die näch­ste Differenz mar­kiert. Und dann gibt es etwas, auf das wir uns alle bezie­hen: Kommunikation. Jeder Mensch kom­mu­ni­ziert, und soll­te er even­tu­ell der Meinung sein, dass er es nicht tut, dann gibt es genug ande­re Menschen um ihn her­um, die sein Schweigen bereits als eine Geste, als eine Art von Kommunikation inter­pre­tie­ren. Es ist in der Tat so, wie das sei­ner­zeit der öster­rei­chi­sche Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Philosoph Paul Watzlawik ver­lau­ten liess: Man kann nicht nicht kom­mu­ni­zie­ren! Hier wären wir also an einem wich­ti­gen Punkt ange­langt. Identifizieren wir einen Körper als Menschen, dann inter­pre­tie­ren wir sofort sei­ne Bewegungen und Äusserungen als Kommunikation. Hingegen völ­lig unzu­gäng­lich blei­ben sei­ne Gedanken, sei­ne Gefühle, sei­ne Gestimmtheiten, unzwei­fel­haft etwas, was mit einem Menschen zu tun hat. Wenn also Unternehmen, wie sie es ger­ne tun, davon spre­chen, dass der Mitarbeiter oder sogar gleich der gan­ze Mensch im Mittelpunkt steht, dann wird klar, dass da etwas nicht stim­men kann. Wer das aber unhin­ter­fragt für bare Münze nimmt, muss baden gehen. Nichts ande­res muss man, exem­pla­risch aus­ge­drückt durch die fran­zö­si­sche Autorin Corinne Maier in ihrem Buch «Die Entdeckung der Faulheit», sehen, wenn sie sich dar­über echauf­fiert, dass Unternehmen Menschen ein­fach weg­wer­fen, dass die­se zuneh­mend den Eindruck erhal­ten, dass sie nichts mehr wert sind. Und in der Tat, der gan­ze Mensch kann in einem Unternehmen nur als poten­ti­el­le Wegwerfware ange­se­hen wer­den. Warum denn das? Welche Stelle im Unternehmen soll­te sich denn rea­li­sti­scher Weise und adäquat (!) um die Gedanken und Gefühle der Menschen küm­mern? Sollte es eine betriebs­psy­cho­lo­gi­sche Stelle sein, soll­te die­se Rolle ein mit­füh­len­der Vorgesetzter ein­neh­men? Und auch wenn es das geben wür­de, wohin damit?

Tatsächlich ist es so, dass der gan­ze Mensch nie Teil des Unternehmens war, son­dern immer nur Aussenstehender, der sei­ne Arbeitskraft und bestimm­te Kommunikationen zur Aufrechterhaltung des Unternehmens ein­ge­spielt hat. Auch wenn sich über die Produktionsbedingungen oder einen dau­ernd mür­ri­schen, bis­wei­len sogar unge­rech­ten Chef beklagt wur­de, so macht dies für das Unternehmen so lan­ge kei­nen Unterschied, bis die­se Kommunikation zu Grundlage und Bestandteil einer Entscheidung wird. Solange das Unternehmen trotz unzu­frie­de­ner Mitarbeiter wei­ter auf dem Markt anschluss­fä­hig ist, ist es dem Unternehmen recht herz­lich egal, wer die Menschen sind, die dem Unternehmen bei sei­ner Reproduktion behilf­lich sind. Wenn Unternehmen sich nach dem hier Geschilderten den­noch dem Risiko aus­set­zen, auf den Mensch zu ver­wei­sen, der wich­tig ist, den es braucht, ja, der sogar als unver­zicht­bar dar­ge­stellt wird, so geschieht dies vor allem auf rein kom­mu­ni­ka­ti­ver Ebene, weil sich eine Situation inner­halb des Unternehmens ein­ge­stellt hat, die nahe­legt, dass es jetzt gut sein könn­te, den Menschen zu the­ma­ti­sie­ren. Idealerweise, so ist immer wie­der zu beob­ach­ten, geschieht dies nach Krisen oder gros­sen Veränderungsprozessen. Dabei bleibt der Mensch an sich, was auch immer das sein mag, eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Projektionsfläche. Der Mensch ist das kom­mu­ni­ka­ti­ve «all-in-one», wenn man in Anbetracht der gan­zen Komplexität nicht mehr wei­ter kommt und die­se gan­ze Hoffnungslosigkeit in einem Punkt kul­mi­nie­ren, bzw. ver­schwin­den las­sen möch­te. Es hat etwas beru­hi­gen­des, zu sug­ge­rie­ren, dass der Mensch nun wie­der in die Organisation heim­keh­ren kann, sei­nen Platz hat. Der Mensch ist für den Menschen in sozia­len Systemen wie eine Beruhigungspille, mit der er sich sei­ner eige­ne Einheit ver­si­chern kann und dadurch kurz­zei­tig nicht dar­auf auf­merk­sam gemacht wird, dass er aus vie­len nicht zu ver­ein­ba­ren­den und direkt kom­pa­ti­blen Differenzen (Leib, Denken, Kommunikation, Empfindungen) besteht. Wie man es sehen will: Bis hier­hin genug Menschen- oder Unternehmensbashing betrie­ben!

Wenden wir uns abschlies­send den Unternehmen zu. Nicht viel anders ergeht es näm­lich die­sen, oder bes­ser, stellt sich das Verhältnis zwi­schen Unternehmen und Mensch dar. Der Mensch behan­delt umge­kehrt eben­falls das Unternehmen so, als sei es eine Person, ein ein­heit­li­ches Gebilde. Flüssig kommt es über die Lippen, beim Daimler zu schaf­fen, sich für die UBS zu schä­men, und bis­wei­len die Young Boys (ja, auch die­ser Verein ist eine Organisation!) anzu­him­meln. Aber um Gottes Willen, was tut man da? Wo hat man jemals die Chance gehabt, die Organisation zu sehen? Fussballspieler: ja, Autos: auch, Bürogebäude: sehr oft, Menschen: immer. Die Organisation aber macht sich rar, liegt irgend­wo dazwi­schen, ist ver­an­kert in den Handlungen, Kommunikationen, Artefakten und Entscheidungen der Menschen. Die Organisation selbst taucht nie ganz auf, ihr wird nie gerecht gewor­den, sie wird zum Wegwerfobjekt von Menschen, näm­lich immer dann, wenn die­se sie nicht mehr für ihre Kommunikationen und Handlungen brau­chen, sie stirbt regel­recht. Opfer, wohin man schaut: auf orga­ni­sa­tio­na­ler wie auch auf mensch­li­cher Seite. Nun wird es Weihnachten, es ist Zeit für Besinnung. Am besten tut man dies in einer der welt­weit gröss­ten und mul­ti­na­tio­nal täti­gen Unternehmungen, äh, Verzeihung, Organisationen: der Kirche. Diese ist letzt­end­lich vom Menschen getra­gen – oder bes­ser: vom Glauben an Menschen und Organisationen.

Kontakt: Frank.Dievernich@bfh.ch und www.dievernich.com

* bewirt­schaf­tet vom Kompetenzzentrum für Unternehmensführung der Berner Fachhochschule, sie­he www.unternehmensfuehrung.bfh.ch

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010

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