«Stretchin› out»

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Von Heinrich Aerni – Musikalischer Januar und Februar in Zürich: An die­ser Stelle soll­te längst eine Rezension der Neuinszenierung von Paul Burkhards «Kleiner Niederdorfoper» am Zürcher Bernhard-Theater erschei­nen. Denn sel­ten fin­det ein Bühnenwerk eines klas­si­schen Komponisten einen sol­chen Anklang beim Publikum, dass alle Vorstellungen rest­los aus­ver­kauft sind. Aber des­halb kann die Rezension vor­läu­fig ja auch nicht erschei­nen. Der Fragen wären aller­dings vie­le: Findet etwa die Fabulous-Attiüde des rosa­far­be­nen Kalbs auf dem Plakat in der Vorstellung ihre Fortsetzung, oder wie schla­gen sich Radio- und Fernsehmoderatoren als sin­gen­de Volksschauspieler. Alois Feusis NZZ-Bericht vom 4. November 2009 ist hier­zu in vie­ler­lei Hinsicht auf­schluss­reich. Zur ersten Frage sagt er nichts, die ist ja auch hei­kel, zur zwei­ten aber schon, näm­lich: Es geht. Feusi zeigt sehr schön, wie die ursprüng­lich wahr­schein­lich als Volkstheater-Parodie ent­wor­fe­ne «Niederdorfoper» von Max Sieber humo­ri­sti­scher zwar als frü­he­re Fassungen, dafür aber abso­lut unge­bro­chen als Schwank insze­niert wor­den ist, was durch Erich Vock und Maja Brunner in den Hauptrollen noch ver­stärkt wird.

Nicht mit frem­den Vorbildern, son­dern an eige­nen Vorgaben muss­te András Schiff sich mes­sen, als er am 17. Januar in der Zürcher Tonhalle Bachs ersten Band des «Wohltemperierten Klaviers» zur Aufführung brach­te. Das Publikum war zahl­reich erschie­nen zum Hochamt, wenn der Heilige András das alte Testamtent der Klavierliteratur ver­kün­den soll­te. Man durf­te gespannt sein, wie er es ange­hen wür­de, der in jün­ge­ren Jahren Bachs Werken und selbst Scarlatti-Sonaten einen roman­ti­schen Gestus abzu­rin­gen ver­mocht, oder, mit dem dama­li­gen Zeitgeist gespro­chen, abzu­rin­gen gewagt hat­te. Und sie­he da, es war nichts mehr zu hören von den Lyrizismen, die Schiffs Spiel in jün­ge­ren Jahren aus­ge­zeich­net hat­ten, nichts von der Agogik, die selbst in den sper­rig­sten Werken noch ihren Platz gefun­den hat­te. All das war einer Nüchternheit gewi­chen, die gele­gent­lich auch in eine beim ihm nicht gekann­te Härte umschla­gen konn­te, was aber als orgel­haf­tes illu­stra­ti­ves Gestaltungsmittel in poly­pho­nen Engführungen und Schlusspassagen gedacht war. Verstärkt wur­de die­se Klanglichkeit durch den Steinway-Flügel, den er selbst mit­ge­bracht hat­te. Das Instrument besass eine Perkussivität, die eigent­lich für die Fugenkompositionen nur von Vorteil hät­ten sein sol­len, die aber öfter in einen schep­pern­den Klang kipp­te, der eher stö­rend wirk­te.

Nicht zu all die­sen Beschreibungen pass­te indes­sen das C‑Dur-Präludium, das selt­sam lei­ernd daher­kam und nichts von dem lyri­schen Atem auf­wies, der Schiffs Spiel eigent­lich aus­macht. Nur ver­ein­zelt drang die­ser in Präludien und nament­lich in der h‑moll-Fuge durch.

Zwei Konzerte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit exklu­siv an die­ser Stelle zur Sprache kom­men, fan­den bei­de am 30. Januar statt. Das war vor­ab die Taufe der zwei­ten Vinylplatte, «Stretchin’ out», des Zürcher Duos «Mr. Soul» in der Kunstgalerie «Perla Mode» an der Langstrasse. Der Bandname ist dem gleich­na­mi­gen Song von Neil Young ent­lie­hen, dem «Mr. Soul» wohl im Geist, nicht aber musi­ka­lisch nahe­ste­hen. Nachgeborene bezeich­nen ihre Musik ger­ne als Disco Punk. Es han­delt sich um posi­tiv gestimm­ten Synthie-Pop mit Gitarre, der aller­dings, vor allem auf der neu­en Platte, öfter in sieb­zi­ger­jah­re­haf­ten Endlosmelodiebögen mäan­dert, die dank der satt über­steu­er­ten Gitarre nichts an Kraft ver­mis­sen las­sen. Noch nie gese­hen war das Konzertkonzept. «Mr. Soul» lies­sen die Platte minus den Gesang 1:1 ab Computer lau­fen und san­gen und spiel­ten zusätz­lich noch dazu. Die Niederschwelligkeit die­ses Playbackkonzeptes wirk­te sehr ent­span­nend.

Bei «Mr. Soul» ist es ange­bracht, die syste­ma­ti­sche Kategorie der Lauterkeit in der Musik anzu­wen­den. Sie ver­ei­nen ein kom­pro­miss­lo­ses künst­le­ri­sches Bewusstsein mit einem gewand­ten, geschmack­vol­len und durch­aus hedo­ni­sti­schen Umgang mit Musik. Es kommt nicht von unge­fähr, dass «Mr. Soul», von denen Mathias Menzl von «78s» sagt, es gäbe «kaum einen Hasenstall, [in dem sie] noch nicht auf­ge­tre­ten» sei­en, in Zürich bei einer gros­sen Fangemeinde Geheimtip-Status genies­sen.

Auffallend waren die vie­len Schnauzträger, die ganz dem Kunstrahmen der «Perla Mode» ent­spra­chen. Esther Eppstein foto­gra­fier­te fleis­sig mit ihrer Spiegelreflexkamera.

Am sel­ben Abend spiel­te in der Kalkbreite die Hardcore-Band «Sofy Major» aus Clermont-Ferrand. Die ein­zig­ar­ti­ge inne­re Ruhe und der gros­se Atem des Kalkbreiteraumes boten die per­fek­te Voraussetzung für das gran­dio­se Set. «Sofy Major» sind live ein Hammer, die inner­halb des sti­li­sti­schen Rahmens ori­gi­nell gebau­ten Stücke wir­ken auf der Bühne viel bes­ser als auf der Platte. Uneingeschränkte Empfehlung!

Dass gutes, talent­vol­les Songwriting die Grundvoraussetzung für den künst­le­ri­schen Erfolg einer Band dar­stellt, zeig­te sich am 16. Februar am Konzert der neu­see­län­di­schen, in London leben­den «Veils» im «Stall 6» der Gessnerallee. An Hingabe fehlt es der Band und vor allem ihrem Frontmann Finn Andrews nicht, im Gegenteil, er hat eine unge­mein star­ke Bühnenpräsenz, und sei­ne stets lei­den­de Pose wird unter­mau­ert von einem über­ra­gen­den Selbstvertrauen, das aber gera­de bezüg­lich der Substanz der Stücke nicht ganz gerecht­fer­tigt erscheint. «The Veils» klin­gen gele­gent­lich wie «The Smiths», ande­re Vergleiche wer­den stets bemüht, von Buckley Vater und Sohn bis «Joy Division». Es sind schö­ne Lieder, kei­ne Frage, unklar bleibt hin­ge­gen, ob Absicht dahin­ter steckt, wenn der Wohlklang gele­gent­lich in die Süsse des Übermasses zu kip­pen droht. Bemerkenswert sind die blues­haf­ten Längen, wie man sie etwa von den lang­wei­li­ge­ren Stücken bei «The Gun Club» kennt, bemer­kens­wert des­halb, weil «The Veils» eine aus­ge­spro­chen bri­ti­sche, euro­päi­sche Musik spie­len, fern­ab jeder US-ame­ri­ka­ni­schen Laid-back-Abgeklärtheit. Der Effekt ist neu­ar­tig, aber nicht packend. Dass die Songs eher ein­fach gebaut sind, ist eine tol­le Sache, aber je ein­fa­cher Musik gemacht ist, desto mehr ist sie auf irgend eine Form von Originalität ange­wie­sen, die sie am Leben erhält, und das ist beim «Veils»-Repertoire ein­fach nicht gege­ben. Wenngleich also der NME oder Thomas Lutz vom Züritipp die Erfolglosigkeit der «Veils» als «him­mel­schrei­en­de Ungerechtigkeit» erach­ten, so ken­nen wir unter­des­sen doch einen ent­schei­den­den Grund dafür.

Foto: zVg.
ensuite, März 2009

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