Der «Hoofbarde» der Street Parade

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Von Luca D’Alessandro - Bei der Erstdurchführung im Jahre 1991 hät­ten die Gründer der Zürcher Street Parade sich nie träu­men las­sen, dass ihre Idee das Reifealter errei­chen wür­de. Es kam anders: Die Street Parade wird am kom­men­den 8. August voll­jäh­rig und ver­mut­lich mehr als eine hal­be Million Besucherinnen und Besucher anzie­hen. Dieser Realität zum trotz haben die Veranstalter das Träumen nicht ver­ges­sen – im Gegenteil.

Es ist Teil ihres Leitbildes: «Still have a dream» titelt die dies­jäh­ri­ge Hymne und soll die Leute dazu bewe­gen, zu elek­tro­ni­scher Musik zu tan­zen, oder wie das Organisationskomitee in sei­ner Pressemitteilung schreibt: «Die Parade ist eine Demonstration für Liebe, Frieden, Freiheit und Toleranz. Tausende unter­schied­lich­ster Menschen – egal wel­cher Hautfarbe, Religion, sexu­el­ler Ausrichtung oder Interessensgruppe – set­zen sich für ein nach­sich­ti­ges und gewalt­frei­es Miteinander ein.»

Urheber von «Still have a dream» ist der in Winterthur ansäs­si­ge DJ und Musikproduzent Jürg Imhoof, der in Fachkreisen für die Vertonung von Werbefilmen und die Produktion von House- und Dancetracks bekannt ist. «Es sind kei­ne bil­li­gen Sachen», wie Imhoof sel­ber sagt, «son­dern fein ein­stu­dier­te Musikstücke für Leute, die einen Anspruch an die elek­tro­ni­sche Musik haben.» Dies belegt er mit sei­ner vor einem Jahr erschie­ne­nen CD «Luxury Grooves – Jazzy Chill House Vol. 1», wo sämt­li­che Pianopassagen aus den Händen des Pianisten Anthony Nobel stam­men.

ensuite – kul­tur­ma­ga­zin hat den «Hoofbarden» der Street Parade auf­ge­sucht und mit ihm über Trends in der elek­tro­ni­schen Musik gespro­chen; und über die Schwierigkeiten, kosten­deckend Musik zu pro­du­zie­ren.

ensuite – kul­tur­ma­ga­zin: Jürg Imhoof, die Ehre für die Produktion von «Still have a dream» wur­de dir zuteil.

Jürg Imhoof: Darauf bin ich beson­ders stolz. Das Resultat lässt sich hören.

Und wie es in Elektrokreisen üblich ist, gibt es davon bereits meh­re­re Remix-Versionen.

Ja, ins­ge­samt sind vier Mixversionen ent­stan­den: Da gibt es zum einen einen Radiomix, den ver­mut­lich vie­le schon ken­nen, zumal er bereits in diver­sen Radios gespielt wird. Zum andern gibt es eine Club-Mix-Version und zwei wei­te­re Club- und Minimalversionen, ent­stan­den in Zusammenarbeit mit mei­nem Mitproduzenten Tom Walker und den Superiorz aus Winterthur. Die Vocalpassagen stam­men von Sänger Camen und der Showgruppe The Splashcats.

Vergleicht man den Street-Parade-Soundtrack mit einer dei­ner frü­he­ren Produktionen, hat man den Eindruck, dass du über dei­nen eige­nen musi­ka­li­schen Schatten sprin­gen muss­test.

Nein, durch­aus nicht. Die Hymne ist leben­dig und passt her­vor­ra­gend in das Konzept der Street Parade. Vermutlich beziehst du dich auf mei­ne hou­se-gefärb­ten und gemüt­li­chen Tracks aus der Luxury-Grooves- und R&B‑Reihe. Aus die­ser Perspektive mag die­ser Eindruck sei­ne Berechtigung haben. Als Musiker und Produzent stel­le ich aber auch immer wie­der ger­ne Dance-Tracks her. Folglich muss ich dir wider­spre­chen: Ich muss­te für die Produktion in kei­ner Weise über mei­nen Schatten sprin­gen, im Gegenteil: Ich habe die Lancierung des Tracks und die damit ver­bun­de­ne Herausforderung sehr genos­sen.

«Still have a dream» beinhal­tet Elemente aus meh­re­ren Hauptkategorien der Elektronik.

Ja, es ist ein Crossover-Stück mit House Beats, Trance- und Elektroklängen, sprich: Härtere Töne als wir sie vom House her ken­nen. Das wur­de von den Veranstaltern aus­drück­lich so gewünscht, zumal die Street Parade in ihrem Leitbild alle die­se Stile in sich ein­schliesst.

Erstaunlich ist, dass das Element des Trance heu­te noch zu einem Hauptbestandteil der Street Parade gehört. Trance hat­te in der zwei­ten Hälfte der 1990er-Jahre sei­nen Höhepunkt. Heute wird in Elektronikkreisen haupt­säch­lich House oder Minimaltechno pro­du­ziert und kon­su­miert. Weshalb beharrt die Street Parade auf Trance?

Tatsächlich war die Trance-Musik in den ver­gan­ge­nen Jahren bei­na­he ver­schwun­den. In den Klubs war sie nicht mehr ange­sagt, die gros­sen Raves sind aus­ge­stor­ben. In letz­ter Zeit haben ein­zel­ne DJs den Stil wie­der für sich ent­deckt, allen vor­an der Holländer Armin van Buuren. Er und sei­ne Entourage sind dies­be­züg­lich rich­tungs­wei­send. Kurz gesagt: Es zeich­net sich ein Trend in die­se Richtung ab.

Ist es die Wiederaufnahme eines elek­tro­ni­schen «Oldie»?

Die Aufmachung des Trance ist cle­ve­rer als noch vor zehn Jahren. Der Neotrance ver­brei­tet eine ande­re Stimmung. Er hat eine ande­re Basslinie, die sich von den gera­den, dis­co­ähn­li­chen Basslinien der 1990er-Jahre deut­lich unter­schei­det. Ich den­ke gera­de an ein paar Produktionen, die ich neu­lich gehört habe: Alle waren sie eine Mischung aus Trance und House, soge­nann­te Crossover Tracks, vom Tempo her viel lang­sa­mer als der Ursprungstrance. Um es zu quan­ti­fi­zie­ren: Trance-Stücke der 1990er-Jahre hat­ten einen Beat im Bereich von 140 Schlägen pro Minute (BPM), die heu­ti­gen Varianten lie­gen im Bereich zwi­schen 126 und 132 BPM.

Vermutlich hat auch der Fortschritt in der IT und folg­lich in der Aufnahme- und Produktionstechnik zur Veränderung des Genre bei­getra­gen.

Das kann schon sein, doch möch­te ich die­sen Faktor nicht über­be­wer­ten. Die Musiker selbst und auch die DJs, die schon damals auf der Bühne stan­den und die Richtung des Trance vor­ga­ben, haben sich in den letz­ten zehn Jahren wei­ter­ent­wickelt. Sie ste­hen heu­te an einem ganz ande­ren Punkt. Damals war es so, dass Trance Tracks am lau­fen­den Band pro­du­ziert wur­den. Heute hin­ge­gen muss sich ein Produzent viel genau­er über­le­gen, was er mit sei­nen Produktionen vor­hat. Er muss sich stär­ker ins Zeug legen, zumal das heu­ti­ge Publikum, beson­ders in Bezug auf Elektronik, viel anspruchs­vol­ler und ent­spre­chend kri­ti­scher gewor­den ist.

Auch die Street Parade hat sich in den ver­gan­ge­nen Jahren enorm ent­wickelt. Aus einem loka­len Anlass hat sie sich zu einem Event der Superlative gestei­gert. In wel­che Richtung zei­gen die Trends?

Das ist schwer zu sagen, ich hof­fe jedoch, dass die­ser Anlass künf­tig viel Platz für Innovation bie­ten und dass es ihn noch ein paar Jahre geben wird. Davon gehe ich aus.

Was dei­ne Produktionen angeht, scheint sich Einiges zu tun. Nach der Publikation der eige­nen Chill-House Compilation «Luxury Grooves Part 1» hast du im April ein wei­te­res Album publi­ziert, «R&B Lounge Vol. 1». Lohnen sich der­ar­ti­ge Produktionen in der Schweiz?

Mit «Luxury Grooves» habe ich in enger Zusammenarbeit mit dem Pianisten Anthony Nobel ein Album pro­du­ziert, das – wie soll ich sagen – sehr eli­tär daher­kommt. Wir haben ele­gan­te, jaz­z­an­ge­hauch­te Melodien in müh­sa­mer Feinarbeit ein­ge­spielt und für Champagner-Anlässe kon­zi­piert. Wenn ich die­ses Album an einem sol­chen Event prä­sen­tie­re, stel­le ich fest, dass die Gäste das gan­ze Ambiente sehr genies­sen. Sie kom­men in Stimmung. Und das berei­tet mir als Musiker und Produzent, der dafür lebt, beson­ders viel Freude. Um auf die Frage zurück zu kom­men: In der Schweiz ist die Veröffentlichung eines Albums sehr kost­spie­lig und lohnt sich nur bedingt. Mit «Luxury Grooves Part 1» haben Anthony Nobel und ich 2008 die­sen Schritt gewagt, mit «R&B Lounge Vol. 1» hin­ge­gen haben wir es uns gut über­legt. Am Ende haben wir uns bei «R&B Lounge» für eine MP3-Edition ent­schie­den, zumal der Vertrieb die­ses Albums in phy­si­scher Form das Budget gesprengt hät­te.

Wie ist das zu ver­ste­hen?

Die Vertriebe machen bei sol­chen Produktionen nicht mehr auto­ma­tisch mit; höch­stens dann, wenn man ihnen eine Verkaufsgarantie gibt. Stell dir vor, allein in der Schweiz müss­ten wir 1000 Alben ver­kau­fen, um die Unkosten zu decken. So gese­hen ist das Risiko ein biss­chen zu hoch. Beim Vertrieb von MP3-Files fal­len die Fixkosten weg und damit auch das Risiko. Auch ist der Kauf unse­rer Musik ein­fa­cher, das bele­gen die guten Downloadraten.

In Südostasien aber ist die Compilation «R&B Lounge» in phy­si­scher Form erhält­lich. Zumindest steht das so auf dei­ner Homepage.

In die­sen Ländern ist der Vertrieb ganz anders gere­gelt, hier konn­ten wir tat­säch­lich ein paar CDs pres­sen, ohne aus dem Budgetrahmen zu fal­len. Seit ein paar Wochen kön­nen wir die­se Produktion auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten sehr gut in Form eines phy­si­schen Tonträgers ver­kau­fen. Hier kom­men Luxusprodukte die­ser Art beson­ders gut an.

Die bei­den erwähn­ten Compilations tra­gen ent­we­der die Bezeichnung Part 1 oder Volume 1. Wann kom­men die Zweiteditionen?

Von «Jazzy Chill House» kommt im September eine zwei­te Ausgabe auf den Markt. Auch die­se wird, nach aktu­el­lem Stand der Planung, nur in MP3-Form erhält­lich sein. Ehrlich gesagt, befrie­digt mich die­se Situation nicht, aber anders lässt sich in der Schweiz die Verbreitung der eige­nen Musik nicht ein­rich­ten.

Du hast also noch viel zu tun in den näch­sten Wochen. Denkst du auch mal an Ferien?

Ja klar, aber zuerst kommt die Street Parade. Das Feiern mit dem Publikum, das aus­ge­las­se­ne Ambiente, die Show – das sind doch schon fast Ferien.

Und ver­mut­lich wirst du an der Street Parade auch die Single «Still have a dream» per­for­men.

Ja, auf der Showbühne am Bürkliplatz, gemein­sam mit Vocalist Camen und den Splash-cats. Der Gig ist für 15:30 Uhr geplant, aber du weisst ja wie das ist, an der Street Parade nimmt man es nicht so genau. Wichtig ist, dass sie über­haupt statt­fin­det.

Foto: zVg.
ensuite, August 2009

 

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