«Vielleicht wer­de ich von der Waschküche aus diri­gie­ren müssen!»

Von

|

Drucken Drucken

Von Melania Loforti – Srboljub Dinic, Chefdirigent und Musikalischer Direktor am Stadttheater Bern, star­tet zu einem wei­te­ren Höhenflug: In der näch­sten Spielzeit wird er in einem Hochhaus im Gäbelbach die Oper «La Bohème» diri­gie­ren. Kein leich­tes Unterfangen, wie er dem «ensuite – kul­tur­ma­ga­zin» ver­rät. Tatsächlich, Dinic stellt sich ger­ne schwie­ri­gen Aufgaben. Das hat er kürz­lich mit der akri­bisch erar­bei­te­ten Kelten-Oper «Fervaal» bewie­sen. «ensuite – kul­tur­ma­ga­zin» hat mit Srboljub Dinic über die neue Spielzeit, sei­ne Vorbilder und das Berner Kulturangebot gespro­chen, wel­ches in Krisenzeiten bei­na­he davon­tanzt.

ensuite – kul­tur­ma­ga­zin: Herr Dinic, Sie diri­gie­ren in die­ser Spielzeit den über vier Stunden lan­gen «Rosenkavalier». Wie berei­ten Sie sich auf eine so lan­ge Vorstellung vor?

Srboljub Dinic: Für jede Vorstellung des «Rosenkavaliers» berei­te ich mich stets eini­ge Tage im Voraus vor. Am Tag der Vorstellung kon­zen­trie­re ich mich vor­wie­gend auf die schwie­rig­sten Stellen. Dabei füh­re ich mir den gan­zen Ablauf vor Augen. Ich ver­su­che mög­lichst aus­ge­ruht und ent­spannt zu blei­ben, um am Abend ganz kon­zen­triert die­se anspruchs­vol­le Musik von Richard Strauss zu diri­gie­ren.

Ende Mai fand im Stadttheater die Premiere der Oper «Fervaal» statt, ein weit­ge­hend unbe­kann­tes und sehr anspruchs­vol­les Werk, das erst­mals in Bern zu hören ist. Was war die Schwierigkeit?

Die Schwierigkeit liegt dar­in, den Zugang zu die­sem Werk zu fin­den, denn es bestehen kaum Hintergrundquellen zum Stück. Es exi­stiert auch kei­ne inte­gra­le Aufnahme, son­dern nur weni­ge Ausschnitte, wel­che 1962 bei Radio France auf­ge­nom­men wur­den. Immerhin wur­den zwei wis­sen­schaft­li­che Studien über das Stück ver­öf­fent­licht. Diese waren sehr hilf­reich und haben mir den Zugang zum Werk ermög­licht.

Was für eine Musik erwar­tet den Besucher?

«Fervaal» ist ein sehr kom­ple­xes Stück mit einer gros­sen Orchesterbesetzung und Instrumenten, die nicht täg­lich zu hören sind, bei­spiels­wei­se Bügelhörnern, Saxhörnern und Saxofonen. Die Instrumente zei­gen eine deut­li­che Ausprägung des «Wagnérisme» in die­ser Musik. 27 Leitmotive beglei­ten den Hörer durch das gan­ze Stück. Der fran­zö­si­sche Komponist Vincent d’Indy liess sich nicht nur vom Orchesterklang, son­dern eben­so von der Atmosphäre und dem geschicht­li­chen Hintergrund von Wagners Opernhandlungen inspi­rie­ren. Es ver­eint das Flair des Komponisten für Wagner mit Klängen von Komponisten der fran­zö­si­schen Spätromantik.

Wie kam es zur Wahl die­ses Stücks?

Das Musiktheater ver­folgt das Konzept, sel­ten gespiel­te Stücke mit hoher musi­ka­li­scher Qualität vor­zu­stel­len. «Fervaal» steht zudem im Zusammenhang mit der Ausstellung «Kunst der Kelten» im Historischen Museum Bern. Als Alternative wäre auch Bellinis «Norma» in Frage gekom­men. Am Ende fiel die Entscheidung auf «Fervaal» – eine Wahl, wel­che für alle eine gros­se Herausforderung dar­stellt.

In der kom­men­den Spielzeit wer­den eini­ge span­nen­de Werke auf­ge­führt, etwa «Dialogues des Carmélites» von Francis Poulenc oder «Eugen Onegin» von Peter Tschaikowski. Können Sie dazu schon etwas ver­ra­ten?

Eugen Onegin ist mei­ne Lieblingsoper. Es war mein Wunsch, die­se dem Berner Publikum vor­zu­stel­len. In Anbetracht des gros­sen Erfolgs von Tschaikowskis «Mazeppa» vor eini­gen Jahren bin ich über­zeugt, dass auch die­ses rus­si­sche Werk beim Publikum gros­sen Anklang fin­den wird. Bei Poulencs «Dialogues des Carmélites» wie­der­um ist beson­ders die gros­se Orchesterbesetzung inter­es­sant. Soviel kann ich schon ver­ra­ten: Für die Titelrolle der Blanche konn­ten wir die in Bern bestens bekann­te und belieb­te Sopranistin Rachel Harnisch enga­gie­ren. Auf die­se Zusammenarbeit freue ich mich beson­ders.

Für wel­ches Opernrepertoire kön­nen Sie sich am mei­sten begei­stern?

Ich habe eine beson­de­re Liebe für das ita­lie­ni­sche Opernrepertoire, wobei ich beson­ders Puccini bewun­de­re. Ich freue mich, dass wir die neue Spielzeit mit sei­nem Werk «La Bohème» eröff­nen.

Das soll ja span­nend wer­den: «La Bohème» wird in einem Hochhaus im Gäbelbach gespielt und live am Schweizer Fernsehen aus­ge­strahlt. Wie soll man sich das vor­stel­len?

Das wird ein sehr kom­ple­xes Projekt, vor allem in tech­ni­scher Hinsicht. Es erfor­dert eine anspruchs­vol­le Koordination zwi­schen der Technik, dem Regieteam, den Sängern sowie dem Orchester. Alle Beteiligten wer­den sich in ver­schie­de­nen Wohnungen, in Kellern oder in der Waschküche des Hochhauses auf­hal­ten. Die Herausforderung liegt eben dar­in, das Orchester und die Sänger unter sol­chen Rahmenbedingungen zusam­men zu füh­ren. Vielleicht wer­de ich von der Waschküche aus diri­gie­ren müs­sen. (lacht) Wir wer­den dafür eini­ge Extraproben im Hochhaus durch­füh­ren, und natür­lich erhof­fen wir uns einen eben­so gros­sen Erfolg wie «La Traviata» vor zwei Jahren im Zürcher Hauptbahnhof.

Im Mai wur­de ein Konzeptentwurf für das Projekt «Neues Theater Bern» vor­ge­stellt. Wie ste­hen Sie zur Idee, das Berner Symphonieorchester mit dem Stadttheater zu fusio­nie­ren?

Ich sehe das noch nicht kon­kret. Was nicht klar­ge­stellt wur­de, ist die Frage, ob es wirk­lich zu einer Fusion kom­men soll oder ob es sich um eine enge­re Zusammenarbeit in orga­ni­sa­to­ri­scher Art han­delt. Viel wich­ti­ger erscheint mir die Tatsache, dass die guten Beziehungen und das gute Arbeitsklima zwi­schen dem Berner Symphonieorchester und dem Stadttheater wei­ter­hin erhal­ten blei­ben. Nur so kön­nen wir das hohe musi­ka­li­sche Niveau, das uns vom Publikum und der Presse gera­de in den letz­ten Jahren immer wie­der beschei­nigt wird, hal­ten.

Momentan erlebt das Kulturleben in Bern tur­bu­len­te Zeiten. Man den­ke an das Kulturzentrum Progr oder an die mög­li­che Streichung des Ballettensembles am Stadttheater. Wie beur­tei­len Sie das kul­tu­rel­le Leben in Bern?

Die Situation in Bern ist zur­zeit tat­säch­lich pro­ble­ma­tisch. Die teil­wei­se zu unrecht schlech­ten Pressestimmen über das Stadttheater sind uner­freu­lich. Immerhin ist das Stadttheater eine der wich­tig­sten Kulturinstitutionen in Bern und das ein­zi­ge grös­se­re Opernhaus im Umkreis von hun­dert Kilometern. Wir haben gera­de auch in der letz­ten Spielzeit bewie­sen, dass wir sehr vie­le gute Werke auf inter­es­san­te Art und Weise auf die Bühne brin­gen kön­nen und damit ansehn­li­che Erfolge bei Publikum und Presse erzie­len.

Dreht sich am Ende alles ums Geld?

Ja, ver­mut­lich schon. Das sehe ich auch in mei­ner Heimat Serbien, bei Finanzkrisen wird immer zuerst bei der Kultur gespart. Ich bedau­re, dass – ob in Serbien oder bei uns in der Schweiz – Entscheidungen getrof­fen wer­den, ohne uns Künstler zu fra­gen.

Sie arbei­ten seit acht Jahren am Stadttheater Bern. Was sind für Sie blei­ben­de Highlights?

Ich habe sehr vie­le schö­ne Erinnerungen: Bisher habe ich 26 Premieren am Stadttheater erar­bei­tet. Besondere Highlights sind für mich bei­spiels­wei­se Catalanis «La Wally», Puccinis «Madame Butterfly», Verdis «Falstaff». Besonders stolz bin ich auf den Grosserfolg von Rossinis «Il bar­bie­re di Siviglia» in der letz­ten Spielzeit und in die­sem Jahr auf den «Rosenkavalier» sowie Verdis «Un bal­lo in Maschera».

Blicken wir zurück: Wie kam es zum Entscheid, Dirigent zu wer­den?

Ich wür­de nicht sagen, dass es ein bewuss­ter Entscheid war. Ich wur­de stark von mei­nem Grossvater, der eben­falls Dirigent war, sowie von mei­ner Mutter, die als Klavierlehrerin gear­bei­tet hat, beein­flusst. Daher war klas­si­sche Musik immer Teil mei­nes Alltags. Als ich mich mit sech­zehn Jahren für eine bestimm­te Berufsrichtung ent­schei­den muss­te, habe ich die Musik gewählt. Diesen Entscheid habe ich bis heu­te nie bereut.

Welchen Beruf hät­ten Sie sich sonst noch vor­stel­len kön­nen?

Einerseits bin ich sehr an Geschichte inter­es­siert, wenn auch nicht unbe­dingt im Sinne eines Geschichtslehrers, eher als Archäologe oder Wissenschaftler. Andererseits habe ich eine gros­se Bewunderung für die medi­zi­ni­schen Berufe, ins­be­son­de­re für Chirurgen. Vermutlich wäre das mein Alternativberuf gewor­den.

Sie haben ein Flair für Sprachen. Wie haben Sie sich so vie­le Sprachen ange­eig­net?

Am Anfang, als ich in die Schweiz kam, war ich gezwun­gen, neue Sprachen zu ler­nen. Ich konn­te damals nur Serbisch, mei­ne Muttersprache, Russisch und Englisch. Für die Arbeit am Theater ist es sehr wich­tig, ver­schie­de­ne Sprachen zu spre­chen, vor allem Italienisch, aber auch Französisch und natür­lich Deutsch. Zuerst habe ich Deutsch gelernt, danach Italienisch. Wenn man schon ver­schie­de­ne Sprachen spricht, fällt das Erlernen einer neu­en Sprache leich­ter. Bei uns am Theater arbei­ten Menschen aus 27 Nationen. Ich mag es beson­ders, die Leute in ihrer eige­nen Muttersprache anspre­chen zu kön­nen; die Leute reagie­ren ganz anders.

Was wür­den Sie als Ihre per­sön­li­chen Stärken und Schwächen bezeich­nen?

Eigentlich soll­te man kei­ne Schwächen zei­gen. (lacht) Aber ich kann mei­ne Schwächen schon ver­ra­ten. Oftmals habe ich, wie mir scheint, ein zu gros­ses Verständnis für Schwierigkeiten oder Probleme, die eigent­lich nicht bei mir, son­dern bei den Kollegen lie­gen. Als wei­te­re Schwäche sehe ich die Erziehung mei­ner Kinder. Durch sie habe ich mich ver­än­dert und gelernt, was es bedeu­tet, sich in Geduld üben zu müs­sen.

Was hin­ge­gen sehen Sie als per­sön­li­che Stärken?

Meine per­sön­li­chen Stärken lie­gen in mei­ner gros­sen Begeisterungskraft für all das, was ich tue und mei­nen uner­müd­li­chen Einsatz. Ich fin­de die Musik eine so wun­der­ba­re Sache, dass ich sie stets mit andern tei­len möch­te und mei­ne Freude wei­ter geben will. In den let­zen Jahren habe ich auch gelernt, mich durch­zu­set­zen und mit Überzeugung und Einsatz ande­re zu begei­stern.

Worüber regen Sie sich auf?

Desinteresse und Gleichgültigkeit kann ich nicht aus­ste­hen. Ich rege mich auf, wenn mei­ne Begeisterung bei den Leuten kei­nen Anklang fin­det.

Welches sind Ihre musi­ka­li­schen Vorbilder?

Mein Lieblingsdirigent ist Carlos Kleiber. Es gibt kei­ne ein­zi­ge Aufnahme von ihm, die ich nicht längst besit­ze. (lacht) Kleiber war ein genia­ler Musiker, wenn auch ein Einzelgänger. Ich bewun­de­re ihn für sei­ne Kompromisslosigkeit und für sei­ne musi­ka­li­sche Interpretation. Man kann nicht über Dirigenten spre­chen, ohne Herbert von Karajan zu erwäh­nen. Er war mein Vorbild in ande­rer Hinsicht. Generell alte Meister wie Arturo Toscanini, Sergiu Celibidache, Bruno Walter fin­de ich fan­ta­stisch. Denn mei­ner Meinung nach hat­ten sie eine etwas ande­re Auffassung der Musik. Zu die­ser Zeit gab es noch kei­ne Kurzlebigkeit oder den Anspruch, eine schnel­le und stei­le Karriere zu ver­fol­gen. Man stand ganz im Dienste der Musik – mit viel Zeit und Hingabe. Bruno Walter bei­spiels­wei­se war ein gros­ser
Meister, weil er zeit­le­bens sein Handwerk den jun­gen Leuten wei­ter­ge­ge­ben hat.

Könnten Sie sich auch vor­stel­len, ein Projekt mit einem Jugendorchester zu lei­ten?

Ich habe schon auch Erfahrungen mit Jugendsymphonieorchestern. Vor zwei Jahren habe ich mit dem Schweizer Jugendorchester «Jeunesse musi­cale» gear­bei­tet. Ich ken­ne auch ein Jugendorchester aus Freiburg. Das Schöne an der Arbeit mit jun­gen Musikern ist ihre enor­me Begeisterung für die Musik. Ganz abge­se­hen von den tech­ni­schen Unvollkommenheiten oder der Ungeduld der Jugendlichen. Ich den­ke, mit Jugendorchestern kann man Wunder erar­bei­ten.

Welche Projekte ste­hen als näch­stes an?

Neben den Opern am Stadttheater diri­gie­re ich die­sen Juni ein Benefizkonzert für die Kinderklinik des Inselspitals, zusam­men mit der Sopranistin Noëmi Nadelmann und dem Berner Symphonieorchester. Ein wei­te­res wich­ti­ges Projekt wird das Galakonzert am ersten Dezember im Konzerthaus Wien sein, mit der Kammersopranistin Agnes Baltsa
und den Nürnberger Symphonikern. Ebenfalls im Dezember diri­gie­re ich in meh­re­ren Schweizer Städten im Rahmen der jähr­li­chen Postfinance-Tournee einen Liederabend mit dem mexi­ka­ni­schen Tenor Ramon Vargas und der Württembergischen Philharmonie. Weitere Projekte sind noch in Verhandlung, des­halb möch­te ich nichts Näheres dazu sagen. Zwar bin ich nicht aber­gläu­bisch -, aber ich möch­te lie­ber abwar­ten.

 


Srboljub Dinic wuchs in Serbien in einer klas­si­schen Musikerfamilie auf. Er stu­dier­te an der Musikakademie Belgrad Klavier, Kammermusik und Dirigieren. Ab 1992 war er Korrepetitor und Assistent für Kammermusik an der Musikakademie Belgrad. Anschliessend arbei­te­te er als Korrepetitor am Theater Basel und an der Oper Bonn. Seit der Spielzeit 2001/02 lebt Dinic in Bern und ist am Stadttheater Bern enga­giert, zuerst als Erster Kapellmeister, seit 2004 als Chefdirigent, und seit 2007 zudem als Musikalischer Direktor. Pro Saison stu­diert er zusam­men mit dem Berner Symphonieorchester meh­re­re Opernproduktionen ein, dar­un­ter etwa «Don Giovanni» oder «Die Zauberflöte» von Mozart, Bizets «Carmen», «Nabucco», «Rigoletto» oder «La Traviata» von Verdi, oder Strauss’ «Der Rosenkavalier». Dinic hat sich nicht nur in der Schweiz, son­dern auch inter­na­tio­nal einen Namen als Opern- und Konzertdirigent gemacht. Er stand am Pult zahl­rei­cher renom­mier­ter Orchester, dar­un­ter etwa das Staatsorchester Stuttgart, die Münchner Symphoniker, das Shanghai Symphony Orchestra, das Taipei Symphony Orchestra oder das Sinfonieorchester Basel. In der Spielzeit 2009/2010 diri­giert Dinic am Stadttheater Bern die Neuproduktionen «La Bohème», «Dialogues des Carmélites» und «Eugen Onegin».

Foto: Valérie Chételat
ensuite, Juni/Juli 2009

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo