Die Stadt als Atelier

Von

|

Drucken Drucken

Von Jasmin Amsler – Street Artist Silis gibt Einblick in die welt der anony­men Stickerkünstler: Ob Höhlenmalereien in der Steinzeit, bun­te Wandbilder in alt­ägyp­ti­schen Grabstätten oder Kritzeleien und Reklamen auf Mauern im anti­ken Rom – Wandbemalungen zu künst­le­ri­schen, wer­ben­den oder poli­ti­schen Zwecken fin­den wir in jeder Epoche; eine Ausnahme bil­det auch die Neuzeit nicht. Zum Ärger der einen und zur Freude der ande­ren tauch­ten ab 1960 zuerst in New York, bald dar­auf auch in ande­ren Teilen der USA und in Europa, erste Graffitis in U‑Bahnen und auf Hauswänden auf. Später fin­gen eini­ge Sprayer an, mit Schablonen zu arbei­ten. Kunstfreunde mögen sich viel­leicht an die Bananen an diver­sen Kunsthäusern und Galerien die­ser Welt erin­nern. Von den genorm­ten Schablonenmotiven zu den bemal­ten Klebern war es ein klei­ner Schritt und in den 1990er-Jahren began­nen immer mehr Sprayer, ihre Schriftzüge auf Klebeetiketten zu zeich­nen. Sie konn­ten zu Hause die Vorarbeit lei­sten und die «Klebis», wie sie genannt wur­den, schnell in den Strassen anbrin­gen. Wiege und Zentrum der soge­nann­ten «Street Art» sind Städte wie Amsterdam, Madrid, Mailand, Berlin, London und New York.

Mit Stickers bekleb­te Laternenpfähle, Strassenschilder und Abflussrohre sind seit fast zehn Jahren auch in der Schweiz ein all­täg­li­ches Bild. Einer der hei­mi­schen Vertreter der Street Art nennt sich Silis. Kunst, so die Ansicht des jun­gen Berners, muss nicht zwin­gend im Museum hän­gen. ensuite – kul­tur­ma­ga­zin hat sich mit ihm unter­hal­ten.

Silis, du willst für die­ses Interview dei­nen eigent­li­chen Namen nicht preis­ge­ben, war­um?

Silis: Dazu gibt es zwei Gründe. Erstens bewe­ge ich mich als Street Artist in einer recht­li­chen Grauzone und will dar­um zur Sicherheit anonym blei­ben. Der zwei­te Grund ist, dass Silis nichts mit mir als Person zu tun haben soll. Ich möch­te viel­mehr, dass Silis als Pseudonym mit einer eige­nen Identität ver­stan­den wird.
Wäre Street Art denn nicht auch legal mög­lich, zum Beispiel in spe­zi­ell dafür vor­ge­se­he­nen Zonen?

Es geht eigent­lich gar nicht dar­um, ob es nun ver­bo­ten ist oder nicht. Für mich ist Street Art eher eine Ergänzung oder gar Verzierung des öffent­li­chen Raums. Seien wir doch ehr­lich, das Einheitsgrau vie­ler Städte bie­tet nicht gera­de viel fürs Auge. Das Problem ist nun, dass das nicht jeder so sieht. Manche wür­den unser Tun als Sachbeschädigung bezeich­nen, obwohl ich den­ke, dass dies eher auf ille­gal gespray­te Graffitis zutrifft. Kleber und Plakate dage­gen kön­nen wie­der ent­fernt wer­den.

Wie bist du denn genau zur Street Art gekom­men?

Das hat sich so schritt­wei­se erge­ben und ich den­ke, man kann die­se Entwicklung als exem­pla­risch für ande­re Künstler in die­sem Bereich betrach­ten. Ganz am Anfang habe ich mich mit Graffitis ver­sucht. Weil mir aber bald die Spraydosen zu teu­er wur­den, fing ich an, mei­ne Tags, also Schriftzüge, vor allem auf Papier zu zeich­nen. Als ich die Schule für Gestaltung in Basel besuch­te, begann ich selbst bemal­te Kleber an ver­schie­de­nen Orten in der Schule anzu­brin­gen. Ich merk­te bald, dass zu mei­nen Stickers nach einer Weile jeweils neue hin­zu­ka­men. Ich war also nicht der Einzige, der dar­an Gefallen fand. Mit der Zeit ent­wickel­te ich mei­ne spe­zi­fi­schen Figuren und begann sie an ganz ver­schie­de­nen Orten in der Stadt anzu­brin­gen. Die Figuren soll­ten sich dabei jeweils in die Umgebung inte­grie­ren, so dass es bei­spiels­wei­se aus­sah, als ob sie auf jeman­den war­ten wür­den. Ich habe dann vie­les aus­pro­biert und im Verlaufe der Zeit bin ich bei der Figur geblie­ben, die heu­te auch am bekann­te­sten ist

(sie­he Bild, Anm. d. Red.).

Und wie ging es dann wei­ter?

Zu Beginn war es Spass, mit der Zeit wur­de es aber zu einem Wettrennen dar­um, wer mit sei­nen Stickers in der Stadt am häu­fig­sten ver­tre­ten ist. Das Ganze wur­de mehr und mehr zum Selbstläufer. Als unge­fähr zwei Jahre spä­ter Webseiten wie Fotolog, Flickr und MySpace auf­ka­men, begann ich mein Schaffen zu doku­men­tie­ren. Über die­se Netzwerke lern­te ich dann die Personen ken­nen, die hin­ter den Stickers stan­den. Mit eini­gen habe ich mich dann auch getrof­fen. Dies wäre nur weni­ge Jahre zuvor undenk­bar gewe­sen, da war alles anony­mer.

Das Internet spielt also heu­te eine zen­tra­le Rolle für die Street-Art-Szene?

Schon. Dank dem Internet gibt es vie­le Street Artisten, die sich ihre Werke gegen­sei­tig zusen­den, sich aus­tau­schen und die Stickers aus aller Welt sam­meln. Manche tau­schen auch Fotos aus. Street Art wur­de damit zu einer glo­ba­len Bewegung. Mir ist das aber zu auf­wän­dig. Ich habe nur eini­ge weni­ge Male mit jeman­dem Stickers per Post aus­ge­tauscht.
Bist du als Street Artist eigent­lich mehr ein Einzelkämpfer oder auch mit ande­ren ver­netzt?
Das ist ver­schie­den. Wenn man ein paar Bekannte hat, ist es schon ein­fa­cher und auch unter­halt­sa­mer. Man kann die Stickers in nächt­li­chen Touren gemein­sam anbrin­gen und sich beim Aufkleben an schwer zugäng­li­chen Stellen hel­fen. Die Idee hin­ter den Motiven auf den Klebern stammt dann aber schon meist von einer Einzelperson, die sie auch allei­ne erar­bei­tet hat.

Warum machst du Street Art? Steckt da eine Vision dahin­ter?

Ich mache es für die Passanten. Sie sol­len mit­ten im Alltag auf Überraschendes oder Unerwartetes tref­fen und das Ganze auch hin­ter­fra­gen. Aus die­sem Grund hat­te ich lan­ge ein Ohr als Symbol auf mei­nen Stickers. Freunde frag­ten mich dann, wie­so ich gera­de ein Ohr in die Strassen kle­be. Für mich stand dabei nicht eine Botschaft dahin­ter, so à la «Schliesst auch mal die Augen und hört ein­fach hin», son­dern eben viel­mehr die Provokation oder Irritation der Fussgänger.

Street Art ist ja ein sehr wei­ter Begriff. Inwieweit zum Beispiel Graffitis noch dazu­ge­hö­ren, ist umstrit­ten. Wie siehst du das?

Street Art ist tat­säch­lich ein sehr brei­tes Feld. Ob Caracters, Stencils, Stickers oder Past-ups (Figuren, Schablonen, Kleber, Plakate, Anm. d. Red.), jeder betä­tigt sich in einem etwas ande­ren Bereich. Sprayen gehört für mich dann aber weni­ger dazu. Street Art, so wie ich es defi­nie­re, hat einen stark gra­fi­schen Hintergrund, wird vor­wie­gend in Städten ange­bracht, ist ver­gäng­lich und soll mit der Umgebung in Kontakt tre­ten. Dagegen fin­det man Graffitis auch an ganz ande­ren Orten, wie zum Beispiel an Autobahnwänden oder Zugwagons. Street Artisten wur­den frü­her übri­gens von Sprayern auch belä­chelt. Heute ist es ein­fach eine ande­re Art der Strassenkunst und wird von der Kunstszene je län­ger je mehr auch akzep­tiert.
Die hol­län­di­schen Street Artisten, die hin­ter dem Pseudonym «The London Police» ste­hen, gehör­ten zu den ersten, die ihre Figuren auch als Logo ver­wen­de­ten. Wie bist du auf dei­ne

Figur und den Namen «Silis» gekom­men?

Das ist schon lan­ge her. Früher gab es einen Sprayer, der nann­te sich Seaz. Ich hat­te ihn in einem Buch in der Schule ent­deckt. Seaz hat sei­ne Graffitis gespie­gelt, die­se Idee fas­zi­nier­te mich, weil es etwas Neues war. So such­te ich einen Namen, der sich auch spie­geln lässt. Später ist dann noch der Caracter dazu­ge­kom­men. Ich habe lan­ge dar­an her­um­ge­tüf­telt. Ich wuss­te, ich woll­te etwas Rundes. Inspiriert wur­de ich dabei tat­säch­lich auch von den Figuren von The London Police, die eben­falls kaum Ecken auf­wei­sen. Schwarz und weiss habe ich dann mit Absicht als Grundfarben gewählt, weil sie einen star­ken Kontrast zur Umgebung erzeu­gen. In den Strassen ist ja sel­ten etwas ganz weiss oder schwarz und so ist dem Sticker grösst­mög­li­che Aufmerksamkeit garan­tiert.

Mit Street Art ange­fan­gen hast du vor über fünf Jahren, wie schätzt du die Street-Art-Szene in der Schweiz heu­te ein?

Ich war vor allem in Bern und Basel, ein wenig auch in Zürich und Genf tätig. Heute sind die Leute, die ich ken­ne, nicht mehr so aktiv wie vor ein paar Jahren. Ich habe den Eindruck, dass vie­le auf­ge­hört haben, was ich mir zwar nicht wirk­lich erklä­ren kann. Möglich ist auch, dass der gan­zen Sache ein­fach der Kick des Neuen abhan­den gekom­men ist. Das habe ich auch bei mir sel­ber gemerkt. Ab einem gewis­sen Punkt hat­te ich mei­ne Stickers da ange­bracht, wo ich woll­te und das war’s dann. Für mich war Street Art eher ein­fach eine Phase. Heute kle­be ich nur noch bei Gelegenheit, wenn ich gera­de ein paar Stickers in der Tasche habe. Mein Ziel ist jetzt vor allem, mei­nen Caracter auf mög­lichst vie­le Arten dar­zu­stel­len, sei dies nun aus Teig, als Plüschtier oder aus Knete. Daneben kann ich mir auch vor­stel­len, die Figur auf T‑Shirts zu drucken und zu ver­kau­fen. Silis soll nicht nur in den Strassen kle­ben, son­dern auch auf Kleidern sozu­sa­gen durch die Strassen wan­deln.

Street Art rich­tet sich eigent­lich gegen den Kommerz. Wie passt es zusam­men, dass du Silis nun auch ver­mark­ten möch­test?

Die Pioniere der Street Art ver­rich­te­ten ihr Handwerk wirk­lich noch aus rein idea­li­sti­schem Antrieb, das ist rich­tig. Beim Anblick der mit Plakaten zuge­klei­ster­ten Wände dach­ten ein paar fin­di­ge Köpfe, dass sie die Aufmerksamkeit der Passanten gleich noch auf ihre eige­ne Kunst rich­ten könn­ten, indem sie ihre Stickers an eben­die­sen Plakatwänden anbrach­ten und so den Kommerz qua­si zu ihren Gunsten nutz­ten. Mit der Zeit wur­den aber ein­zel­ne Street Artisten immer bekann­ter und die Kunstszene auf sie auf­merk­sam. Street Art gefiel, weil sie einen anar­chi­sti­schen Zug hat. Von da war es nicht mehr weit bis zu den ersten Street-Art-Ausstellungen. Leute began­nen sich Bilder in die Wohnung zu hän­gen, was wie­der­um eini­ge Street Artisten antrieb, ihre Sujets zu ver­mark­ten. Der New Yorker Künstler Obey Giant ver­kauft heu­te etwa Kleider, Banksy aus Grossbritannien Bilder. Die mei­sten bekann­ten Street Artisten arbei­ten heu­te übri­gens im Grafik- und Werbebereich und kön­nen ihrer Bekanntheit durch­aus zu Geld machen.

Heute machen aber nicht nur Street Artisten Geld mit ihrer Kunst…

Das stimmt. Es gibt Firmen, die Methoden aus dem Guerilla-Marketing anwen­den und etwa Werbebotschaften auf Stickers ver­brei­ten, um damit Jugendliche anzu­spre­chen. Das ist für mich eigent­lich nicht über­ra­schend, da schliesst sich viel­mehr ein Kreis. Der Kommerz, gegen den sich Street Art anfangs rich­te­te, nimmt sich nun des­sen Methoden an, um wie­der­um die Jungen zu errei­chen. Daneben gibt es aber auch poli­ti­sche Parteien oder Interessensgruppen, die sich von der Street Art inspi­rie­ren las­sen und zum Beispiel Flyer an Laternenpfähle kle­ben. Allerdings muss man sagen, dass sich gera­de die Street Art ursprüng­lich eher von poli­ti­schen Werbemethoden inspi­rie­ren liess als umge­kehrt. Flugzettel bei­spiels­wei­se gab es ja schon viel frü­her.

Info: www.myspace.com/_silis LINK ERSETZTEN

Bild: Überraschende Begegnung im Grossstadtdschungel: Street Art à la Sili
ensuite, April 2009

 

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo