„Menashe“- Eine Reise nach Borough Park

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Von François Lilienfeld – Seit der Einführung der „Talkies“ gibt es in jid­di­scher Sprache gedreh­te Filme; Blütezeit waren die drei­ßi­ger Jahre, mit ihren teils in Polen, teils in den USA gedreh­ten Produktionen. Darunter befin­den sich Meisterwerke wie „Tevye, „Jidl mitn fidl“ oder „Grine fel­der“.

Nach dem Krieg wur­den die Filme in der Sprache des „Shtetl“ sel­te­ner, auch wenn in vie­len ame­ri­ka­ni­schen Produktionen, die im jüdi­schen Milieu spie­len, immer wie­der jid­di­sche Brocken auf­tauch­ten – genau­so wie im täg­li­chen Leben.

Nun kommt ein Film in die Kinos, der nicht nur fast aus­schließ­lich jid­di­sche Dialoge ent­hält, son­dern auch in der geschlos­se­nen Gesellschaft der Chassidim spielt, von Joshua Z. Weinstein an Originalschauplätzen in Borough Park (Brooklyn, N.Y.) gedreht. Der Originaltitel „Menashe“ ist der Name der Hauptperson – war­um der euro­päi­sche Verleihtitel „Brooklyn Yiddish“ gewählt wur­de ist ziem­lich unver­ständ­lich.

Die Darsteller spre­chen ein ech­tes Galizianer Jiddisch, nur gele­gent­lich schlei­chen sich ame­ri­ka­ni­sche Ausdrücke aus der Neuzeit ein, für die es im Jiddischen kein Pendant gibt. Der Junge (Ruben Niborsky) spricht „lite­ra­ri­scher“, was nicht erstaunt, ist er doch der Enkel von Yitskhok Niborsky, einem der bedeu­ten­sten Jiddischisten unse­rer Zeit, der an der Bibliothèque Medem in Paris vor allem als Lexikograph tätig ist.

Menashe Lustig, der Hauptdarsteller, spielt eine stark von sei­ner eige­nen Biographie inspi­rier­te Geschichte: Ein Witwer kämpft für das Sorgerecht über sei­nen Sohn Rieven. Denn nach den stren­gen, ultra­or­tho­do­xen Gesetzen darf ein Kind nur mit einem Ehepaar auf­wach­sen; Menashe jedoch fühlt kein gro­ßes Verlangen, sich wie­der zu ver­ehe­li­chen. Der Junge wächst also bei Eizik (Yoel Weisshaus), dem Bruder der ver­stor­be­nen Mutter, auf, einem sogar für die dor­ti­gen Verhältnisse extrem stren­gen, kom­pro­miss­lo­sen Mann – sogar der Ruv (Rabbiner) ist ver­ständ­nis­vol­ler als er.

Menashe kämpft um sei­nen Sohn, mit dem ihn eine rüh­ren­de Komplizität ver­bin­det. Dieser Kampf wird nicht nur durch die Gesetze, son­dern auch durch sei­ne Tollpatschigkeit und sei­ne Pechsträhnen erschwert: Menashe ist halt, was man auf jid­disch einen „Schlimaselnik“ nennt…

Im wirk­li­chen Leben ist Menashe Lustig ein Anhänger der Chassidim von Skver. Die Jahre, die er in London ver­bach­te, haben jedoch sei­nen Horizont erwei­tert, und er begann sich für Film zu inter­es­sie­ren, hat sogar eini­ge Clips gedreht. Die ande­ren Rollen wur­den von Laien gespielt, von ech­ten Chassidim, die noch nie in einem Kino waren! Der Regisseur erzählt von den Schwierigkeiten, die er hat­te, Darsteller zu fin­den: „99,9 Prozent der chas­si­di­schen Männer, die wir anspra­chen, lehn­ten ab…“ Die rest­li­chen 0,1 Prozent jedoch sind fabel­haft!

Das Hauptthema des Filmes, so emp­fin­de ich es jeden­falls, ist die Frage: „Wie kann man in einer ultra­ge­re­gel­ten, abge­schlos­se­nen Welt mensch­li­che Probleme lösen?“ Ein Patentrezept wird nicht gebo­ten, jedoch – und dies ist wohl durch­aus im tal­mu­di­schen Sinn – wird dar­über gespro­chen, sine ira et stu­dio, und der Zuschauer wird zum Nachdenken ange­regt.

Eine der ergrei­fend­sten Szenen ist das Gespräch zwi­schen Menashe und sei­nen zwei his­pa­ni­schen Kollegen, die, wie er, in einem kosche­ren Gemischtwaren-Laden arbei­ten. Die drei Männer haben Nachtdienst und ver­trei­ben sich die Zeit mit Lebensweisheiten. Die ver­ständ­nis­vol­le Begegnung zwei­er Welten wur­de noch sel­ten so über­zeu­gend gefilmt, wie in die­ser Sequenz.

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