Voll am Arsch

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Von Patrik Etschmayer - Vorweihnachtszeit im Zürcher Stadtparlament. In der Budgetdebatte wird wie üblich um jede Kleinigkeit gekeift, als der christ­lich-rech­te (oder rech­te Christ) SVP-Mann Daniel Regli das Wort ergreift und sich erst über die Fachstelle für Sexualpädagogik nervt, um dann zu einer Philippika über Analsex anzu­he­ben, da die­ser im Kompendium erwähnt wird.

Wie vie­le Fundamentalisten ist Regli gera­de­zu von «ver­bo­te­nem» Sex beses­sen und springt im Nu von den Inhalten der FfS zur gene­rel­len (männ­li­chen) Homosexualität über, um hier sei­nen irren Exkurs mit den Trittsteinen «Sexsucht» und «Suizidalität von Homosexuellen» zu ergän­zen, die er benutzt, um zu sei­ner gera­de­zu gro­tes­ken Schlussaussage zu kom­men, dass im Kompendium nichts dar­über zu fin­den sei, «dass sich pro­mis­ke Homosexuelle zwi­schen 30 und 40 das Leben neh­men, weil der Analmuskel nicht mehr hält, was er ver­spricht.»

Dieser Abstieg in den Wahnsinn, der vom ungläu­bi­gen Gelächter sei­ner Ratskollegen beglei­tet wur­de, war Reglis vol­ler Ernst, und man fragt sich, unwill­kür­lich, was sein Analmuskel ihm wohl zu Weihnachten ver­spro­chen hat.

Doch die sati­ri­sche Qualität sei­ner Aussagen lässt einen fast ver­ges­sen, dass er und ver­mut­lich vie­le der­je­ni­gen, die ihn gewählt haben und mit ihm jeweils am Sonntag beten, ähn­li­chen Irrsinn glau­ben und sich ver­mut­lich an die­sen Gedanken auf­gei­len, wäh­rend sie gleich­zei­tig beto­nen, dass sie nur für die­se armen Sünder bete­ten, die sich da gegen ihren Gott ver­gin­gen.

Er ist in die­sem Sinne ein klas­si­scher Fundamentalist oder, wie Tagi-Blogger Réda El Arbi schreibt, ein Hassprediger im Gemeinderat. Dabei hasst Herr Egli natür­lich nicht die Schwulen selbst, son­dern nur ihre Taten – sprich, dass sie ihr Leben ihrem Wesen ent­spre­chend leben.

Er geht (ent­ge­gen allen wis­sen­schaft­li­chen Studien) auch davon aus, dass Jugendliche wäh­len, homo­se­xu­ell zu wer­den, und dies wegen Aufklärungsbroschüren, in denen Analsex erwähnt wird. Dass Homosexualität schein­bar schon immer Teil der Menschheit (ja sogar des Tierreichs) war und ist und kei­ne Erfindung der Fachstelle für Sexualpädagogik, stört Herrn Egli nicht. Fakten und fana­ti­scher Glaube sind Dinge, die unter­schied­li­che Kontinente bewoh­nen und tun­lichst kei­nen Kontakt haben wol­len, da sich zumin­dest Letzterer beim Kontakt mit Ersteren in eine übel rie­chen­de Wolke auf­lö­sen wür­de.

Die Widerwärtigkeit von Regli und sei­ner Rede ist im Gelächter fast unter­ge­gan­gen, denn Suizide von Homosexuelle sind auch heu­te noch ein trau­ri­ger Fakt. Auch wenn deren Rechte auf dem Papier durch­aus exi­stie­ren, müs­sen sie sich ein­fach dafür, dass sie sind, wer sie sind, immer noch gegen­über vie­len Gruppen recht­fer­ti­gen und ver­tei­di­gen. Wie sehr dies immer noch und wie­der immer mehr ein Thema und Problem ist, wird durch einen Ausdruck ganz klar gezeigt: Coming-out.

Sicher, die­ses Bekennen zu einer sexu­el­len Orientierung, die nicht der gene­rel­len Norm ent­spricht, ist für immer mehr jun­ge Menschen ein­fa­cher, wenn auch lan­ge noch nicht pro­blem­los gewor­den. Am schlimm­sten dürf­ten hier dabei jun­ge Muslime und Muslimas dran sein, die in der durch Salafistengeld seit Jahrzehnten immer restrik­ti­ver gemach­ten Glaubenswelt des Islams fast nur noch die Chance der Selbstverleugnung haben. Dass es unter Christen nicht so schlimm ist, liegt dabei aber nicht am Christentum, son­dern an sei­nem Verlust an Bedeutung im – der­zeit noch – auf­ge­klär­ten Europa.

Sexuelle Phobien aller Art sind auch heu­te noch Kernkompetenz vie­ler Kirchen, und die Verteufelung man­cher Dinge, die einst im Levitikus auf­ge­führt wor­den sind, bil­det immer noch den unap­pe­tit­lich kleb­ri­gen Boden, auf dem das Moralgebäude die­ser Gottesgrottenbewohner errich­tet ist.

Eine wich­ti­ge Säule die­ser abar­ti­gen Morallehre ist dabei das Kultivieren eines mas­si­ven Selbsthasses, um ein stän­di­ges Schuldgefühl zu erhal­ten, dass min­de­stens all­wö­chent­lich beim Gottesdienst beru­higt wer­den muss. Ein wich­ti­ger Faktor ist dabei natür­lich das Wissen, das man­che Sünden – die von ande­ren began­gen wer­den – nicht nur schlimm, son­dern unver­zeih­lich sind. So unver­zeih­lich, dass Gott in der Bibel für sie nur eine Strafe kennt: den Tod.

Nun bewegt sich der Anteil an homo­se­xu­el­len Menschen kon­si­stent im hohen ein­stel­li­gen Prozentbereich, irgend­wo zwi­schen fünf und zehn Prozent; und wer nun das Unglück hat, einer hass­trie­fen­den Glaubensgemeinschaft wie jener von Herrn Egli anzu­ge­hö­ren, hat, um mal bei sei­ner Rektalsprache zu blei­ben, geschis­sen.

Natürlich wäre es am ver­nünf­tig­sten, ein­fach sei­ne Religionsfreiheit zu leben und sich von die­ser Religion zu befrei­en. Da vor allem bei Evangelikalen aber meist die gan­zen Familien auf die­sem Dampfer des Wahns unter­wegs sind, ver­lö­re eine sol­che Person sowohl ihr sozia­les Umfeld als auch ihren sozio­kul­tu­rel­len Hintergrund. Nicht grad nix und für man­che ein­fach unmach­bar.

Als zwei­te Möglichkeit bie­tet sich das Doppelleben an, wobei der stramm­gläu­bi­ge Familienvater in der Politik Gott und Glaube ver­tei­digt und auf sei­nen Dienstreisen die Dienste von Strichern in Anspruch nimmt. Für eine gewis­se Zeit war dies ein ver­brei­te­tes Hobby von kon­ser­va­ti­ven US-Politikern.

Und dann gibt es natür­lich noch die Möglichkeit, an die­sem unüber­wind­ba­ren Widerspruch zwi­schen den Erwartungen des sozio­re­li­giö­sen Umfelds und der eige­nen per­sön­li­chen Realität zu zer­bre­chen und zu rea­li­sie­ren, dass es für einen nicht mög­lich ist, ein erfüll­tes Leben zu füh­ren, weil unmög­lich.

Nicht zuletzt, da in genau die­sen Kreisen auch noch durch völ­li­ge Inkompetenz und Desinteresse gefüt­ter­te Ekelfantasien ver­brei­tet und die­sen Menschen ange­hef­tet, sie auf die­se Weise noch wei­ter ent­mensch­licht wer­den. Sensible Individuen wer­den dann in ihrer ein­sa­men Verzweiflung – sie kön­nen sich ja auch nie­man­dem anver­trau­en, ohne befürch­ten zu müs­sen, aus ihrer Gemeinschaft aus­ge­stos­sen zu wer­den – mit­un­ter zu extre­men Mitteln grei­fen. Der Suizid gehört da auch dazu.

Wer die­ses Leid durch her­bei­fan­ta­sier­te Probleme mit Schliessmuskeln zu erklä­ren ver­sucht und dann noch die Schuld für all das bei der Sexualpädagogik ver­or­tet, soll­te sich fra­gen, wer jetzt tat­säch­lich Probleme mit der Rektalregion hat – oder sogar selbst voll­um­fäng­lich eine ist …

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