Ende Arbeit

Von

|

Drucken Drucken

Von Patrik Etschmayer - Go ist das kom­ple­xe­ste Brettspiel, das Menschen je ent­wickelt haben. Als Computer bereits Schachweltmeister schlu­gen, galt Go immer noch als das Spiel, bei dem die Rechner noch lan­ge Zeit den Menschen unter­le­gen sein wür­den. Nachdem Googles Software AlphaGo letz­tes Jahr gegen einen der besten Go-Spieler (Lee Sedol) 4:1 gewon­nen hat­te, schlug der Computer in die­sem Jahr die Nummer eins der Welt, Ke Jie, 3:0.

Dabei griff der Computer nicht nur auf sei­ne rie­si­ge Rechenkraft, son­dern auch auf eine Datenbank mit einer Unzahl von Spielen von Go-Profis und ‑Meistern zurück. Sein Erfolg bau­te daher immer noch auf dem Genie von Menschen auf.

Doch dann kam vor weni­gen Wochen AlphaGo Zero (AGZ). Der neue­ste Go-Computer von Google bekam kei­ne Datenbank und kei­ne Hinweise dar­auf, wie das Spiel am besten zu spie­len ist. Stattdessen bekam er nur die Regeln und muss­te selbst her­aus­fin­den, wie die­ses unglaub­lich kom­ple­xe Spiel am besten gewon­nen wer­den kann. So spiel­te und lern­te AGZ und war schon nach drei Tagen bes­ser als jene Version, die gegen Lee Sedol gewon­nen hat­te, und schlug die­sen Computer 100 zu 0. Alpha Go Master (eine Zwischenversion, die online und anonym rei­hen­wei­se G‑Profis geschla­gen hat­te) brauch­te noch 21 Tage und war nach 40 Tagen gut genug, um alle sei­ne Vorgänger zu ver­nich­ten. Von Menschen ganz zu schwei­gen.

[wc_quick_donation]

Dabei scheint vor allem das Programm neu gewe­sen zu sein, das lern­te, die Hardware blieb gleich. Der Hauptunterschied laut den Entwicklern: Das Lernen von AGZ sei nicht durch die Grenzen des mensch­li­chen Wissens beschränkt gewe­sen.

Nun, ein Go-Computer wird nicht die Welt erobern. Aber die­se Lernalgorithmen wer­den über­all dort zur Anwendung kom­men, wo Simulationen zum Lernen ange­wen­det wer­den kön­nen: Beim Proteinfalten (ent­schei­dend für neue Medikamente) wird ein AGZ-Algorithmus ver­mut­lich sen­sa­tio­nel­le neue Moleküle fin­den, auf die Menschen erst in Jahrzehnten gekom­men wären.

Ist das nun schon die KI, die unse­re Arbeitswelt bedroht? Nein. Aber nach Jahrzehnten des schein­ba­ren Stillstands hat sich die Computertechnik nun zu einem Punkt hin bewegt, an der neu­ro­na­le Netzwerke rie­si­gen Datenmengen Sinn geben kön­nen. Der gros­se Irrtum wäre nun, zu glau­ben, dass es noch­mals Jahrzehnte gehen wird, bis die Maschinen wirk­lich cle­ver sind. Denn die Fortschritte schie­nen nur uns lang­sam, schrit­ten aber – wenn auch auf sehr tie­fem Niveau – expo­nen­ti­ell vor­an.

Die Sache mit expo­nen­ti­el­lem Wachstum ist die, dass sehr lan­ge fast nix los ist und dann rasend schnell aus «Oh, da ist ja was – nied­lich!» ein «Verdammt, das Monster frisst mich!» wird. Momentan schau­en wir eine Alexa oder ein Google Home oder ein sich selbst durch Sitten fah­ren­des Büsslein an und sagen: «Oh, wie nied­lich.»

Und wenn in fünf Jahren die ersten selbst­fah­ren­den Lastwagenkonvois durch Europa rau­schen und die ersten Zehntausendschaften Fernfahrer vor dem Ruin ste­hen, wird die Politik immer noch fin­den, dass das alles durch Innovation abge­fe­dert wer­de und irgend­je­mand ja die kom­pli­zier­ten Lastwagen war­ten müs­sen. Nur wer­den die­se der­mas­sen von Sensoren durch­drun­gen sein, dass schon 1000 Kilometer vor jedem Defekt bekannt sein wird, wel­ches Teil im auto­ma­ti­sier­ten Wartungshangar aus­ge­wech­selt wer­den muss. Manche Defekte wer­den zwar immer noch von Menschen repa­riert wer­den müs­sen, doch mit jeder Generation wer­den es weni­ger sein.

Die Rechnung ist dabei ein­fach: Wenn ein auto­no­mer Lastwagen, sagen wir, 150 000 Franken mehr kostet als ein her­kömm­li­cher Lastwagen, dafür aber ohne Einhalten von Ruhezeiten fah­ren darf, nicht müde und krank wird und dazu noch spar­sa­mer und siche­rer fährt als sein mensch­li­cher Konkurrent, ist der Mehrpreis bereits nach einem, spä­te­stens aber nach zwei Jahren amor­ti­siert. Und die­se Kalkulation wird in weni­gen Jahren nicht nur bei Chauffeuren gemacht.

Doch nicht nur Lastwagenfahrer und Fabrikarbeiter wer­den ersetzt wer­den: Expertensysteme wer­den erst die mitt­le­ren Managementebenen von Firmen noch wei­ter aus­räu­men, als dies jetzt schon der Fall ist. Fast jeder Job, der sich vor allem mit dem Zusammentragen von Informationen und dem Verknüpfen von die­sen mit bestimm­ten Themen befasst, wird schnel­ler, bes­ser und viel bil­li­ger von Systemen wie Watson von IBM als durch einen Menschen erle­digt wer­den kön­nen.

Sogar medi­zi­ni­sche Diagnosen dürf­ten eine Domäne von Computern wer­den – es wird inter­es­sant sein, wie sich die Ärzteschaft dage­gen weh­ren wird, aber kom­men wird es auf alle Fälle. Und wenn erst mal ech­te Medizin auto­ma­ti­siert wird, dürf­ten Quacksalberprogramme nicht lan­ge danach fol­gen.

Da der Fortschritt expo­nen­ti­ell erfol­gen wird, wird der Gesellschaft nicht viel Zeit blei­ben, zu reagie­ren, um einen tota­len Kollaps zu ver­hin­dern, wenn irgend­wann sogar hoch qua­li­fi­zier­te Arbeit durch schnel­ler und bes­ser arbei­ten­de Maschinen ent­wer­tet wird. Dass es der­zeit vor allem Unternehmer sind, die an der Front der KI-Entwicklung tätig sind (Zuckerberg, Gates, Musk etc.), die ein bedin­gungs­lo­ses Grundeinkommen for­dern ist kein Zufall: Diese Unternehmer sehen schon jetzt genau­er, was auf den gan­zen Rest von uns zukommt.

Politiker win­ken hin­ge­gen ab – und zwar von links bis rechts: Auf der einen Seite wird die Aufwertung der Arbeit gefor­dert, auf der ande­ren reden sie von Geschenklipolitik, die sich nie­mals finan­zie­ren lies­se und die Leute aso­zi­al mache. Dabei ist schon seit Jahrzehnten Tatsache, dass Arbeit immer weni­ger wert ist und der Anteil der Einkommen, die aus ihr gene­riert wird, ste­tig sinkt, wäh­rend die Einkommen aus Kapitalgewinnen immer höher stei­gen, betrach­tet man die gesam­te Wirtschaftsleistung. Die Ursache dafür: Die immer stär­ke­re Automatisierung von Arbeit quer durch die Arbeitswelt – oder: Kapitaleinsatz ersetzt Arbeitseinsatz in immer stär­ke­rem Masse.

Die Tatsache, dass die Fähigkeiten der Technik in den näch­sten Jahren gera­de­zu durch die Decke gehen wer­den, wird auch mehr Geld in die­se Technologien locken: Uber und Lyft wol­len am Ende ihre Fahrer durch KI erset­zen: Diese die­nen ihnen ledig­lich dazu, den Weg frei zu machen und die Marken zu eta­blie­ren, sodass sie einen flie­gen­den Start haben, wenn die auto­no­men Fahrzeuge das Steuer über­neh­men. Das ist die Vision, wel­che die Investoren anlockt. Automatisierte Vermögensverwaltungen, Spitäler und Fabriken bie­ten noch wesent­lich mehr Motivation, Löhne durch Kapitalrendite zu erset­zen, was die mög­li­che Rendite angeht. Die KI-Revolution ist also nicht nur tech­nisch, son­dern vor allem auch finan­zi­ell getrie­ben. Und DAS soll­te jeder und jedem Angst machen.

Und wenn es doch nicht so kommt? Möglich ist alles. Aber einer Sache müs­sen wir uns bewusst sein: Wenn die KI erst mal vor der Türe steht, wird alles so schnell gehen, dass unse­re Gesellschaft kei­ne Chance mehr hat, sich schnell genug anzu­pas­sen. Die dann anste­hen­de «Disruption» hät­te das Potenzial, unse­re gan­ze Gesellschaft innert weni­ger Jahre über den Haufen zu wer­fen. Heute zu sagen: «Das kommt nicht, weil es kam bis­her auch nicht», ist extrem fahr­läs­sig. Denn das haben die Go-Spieler vor zehn Jahren auch noch gesagt. Und bei denen ging es nur um ein Spiel, nicht um die Grundlagen der Gesellschaft

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo