Man kann­te viel­leicht die Namen

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Von Peter J. Betts - Man kann­te viel­leicht die Namen der Personen, deren Stimmen mor­gens, mit­tags, abends und nachts die Nachrichten aus dem Radio in Küchen oder Wohnstuben hin­ein­tru­gen. Hugo Stoll, zum Beispiel, Adrian Grütter, etwa; Frauen gab es kei­ne. Und wenn nicht, wuss­te man min­de­stens, dass der sprach oder eben der ande­re. Wohl die wenig­sten kann­ten die Personen sel­ber oder wuss­ten etwas Persönliches von ihnen. Den Nachrichtensprechern (nicht nur den bei­den nament­lich erwähn­ten) gelang die Kunst, Inhalte kei­nes­wegs emo­ti­ons­los, aber neu­tral zu ver­mit­teln und gleich­zei­tig als Personen real prä­sent zu sein. Eine reiz­vol­le Möglichkeit, als Zugabe gewis­ser­mas­sen: Den Hörerinnen und Hörern blieb es über­las­sen, sich vor­zu­stel­len, wie es Hugo Stoll (oder Adrian Grütter) zumu­te war, wenn er von einem nie­der­ge­schla­ge­nen Aufstand in einer Diktatur sprach, von einer Überschwemmung in Indien, einem Flugzeug, des­sen Landung über­fäl­lig gewor­den war. Adrian Grütter (oder Hugo Stoll) sel­ber über­liess es den Hörerinnen und Hörern, das Gehörte beim einen Ohr her­ein und gleich beim ande­ren wie­der hin­aus­zu­las­sen, sich Bilder im Kopf zu bau­en, eine Spur anders zu sein nach den Nachrichten als vor­her. Nicht sel­ten führ­te das Gehörte anschlies­send in den Stuben oder Küchen zum Gespräch, ent­wickel­te eine Dynamik, die ‹pola­ri­sier­te› oder soli­da­ri­sier­te; Freude, Scham, Abscheu, Mitgefühl, Verantwortungsbewusstsein, Handlungsbereitschaft usw. erzeug­te. Nicht sel­ten wur­de das auf unter­schied­li­chem Nährboden Gehörte bei der Arbeit, in der Freizeit, am Wirtshaustisch bespro­chen und führ­te gele­gent­lich zum Handeln. Was sich zwi­schen dem Vermittelten, den prak­tisch unbe­kann­ten (aber durch­aus pro­fi­lier­ten) Vermittlern, den Hörerinnen und Hörern ent­wickel­te, war kei­nes­wegs Realität, aber eine ganz beson­de­re Form per­sön­li­cher Wahrheit und – Verbundenheit. Und der Sinn für die Realität, über die eben gespro­chen, von der eben ein paar inhalt­li­che Aspekte ver­nom­men wor­den waren, ver­moch­te dar­ob durch­aus leben­dig zu wer­den – in den Vorstellungen, in den Herzen, selbst wenn nicht immer im Gedächtnis ein Bezug zu sel­ber Erlebtem her­ge­stellt wer­den konn­te. Allerdings, schon damals: «No news, good news.» Nur ver­hält­nis­mäs­sig sel­ten wur­den erfreu­li­che Begebenheiten ver­mel­det, offen­bar gibt es schon seit eh und je ein grös­se­res Bedürfnis nach Meldungen über kon­kre­te Not irgend­wo, nach ungu­ten Neuigkeiten als nach guten. Anderseits, die Nachrichtensendung abschal­ten, schafft noch kei­ne hei­le­re Welt – weder damals noch heu­te und kei­nes­wegs nur am Radio auch wenn, eben­falls seit eh und je, Weghören bei kon­kre­ter Not in der Realität domi­nan­tes Verhaltensmuster ist. Aber der Stil am Radio hat sich seit Hugo Stolls oder Adrian Grütters Zeit dra­stisch geän­dert. Da schallt es nun etwa markt­schreie­risch: «Heute mor­gen!» Mit Veronika Meier!» Schon das ‹Heute mor­gen!› soll­te wohl Vitalität sug­ge­rie­ren, für Aufmerksamkeit wer­ben; es klingt aber ledig­lich aggres­siv, und die über­trie­be­ne Betonung der zwei­ten Silbe des Vornamens, als ob ein beson­de­rer Leckerbissen ange­prie­sen wür­de, macht die Chose weder bes­ser noch inter­es­san­ter. Inhaltliche Abwertung durch for­ma­len Aufwand? Und dann, bei­spiels­wei­se Frau Meiers: «Guten Morgen!» – das zwei­te Wort klar betont, aber nicht wie etwa im Berlinischen mit einem unge­zwun­ge­nen offe­nen, fröh­li­chen «O» und weg­ge­grunz­tem ersten Wort, son­dern bewusst demon­stra­tiv-pro­vo­ka­tiv und im Subtext mit unüber­hör­bar kla­rem Vorwurf (Dass man es viel­leicht gewagt hat, bis vor kur­zem zu schla­fen? Dass man so viel Zeit hat, vor dem Radio zu sit­zen? Dass es einen über­haupt gibt?). Dann wei­ter, die «Headlines» im Stil des Billigen Jakobs: «Keine Aussicht für ver­schüt­te­te Grubenarbeiter!» «Keine Hoffnung auf EU-Beitritt!» «Keine Gewinnsteigerung bei Grossbanken!» «Keine Milde gegen mut­mass­li­chen Mörder!» «Keine Aufstiegschance der Nationalmannschaft!» oder «Menschenrechtsdemonstration durch Militäreinsatz nie­der­ge­walzt!» «Herztransplantation miss­glückt!» «Geiseln von Befreiern erschos­sen!» Das Strickmuster ist (all­zu?) trans­pa­rent. Es folgt der Kurzbericht – etwas zurecht­wei­send, mit der Forschheit einer Musterschülerin ver­ab­reicht bei saf­ti­ge­ren Ereignissen mit ein­ge­blen­de­ten KorrespondentInnenoder ExpertInnenberichten, die­se meist glück­li­cher­wei­se nicht gekün­stelt und durch­aus per­sön­lich gehal­ten, und am Schluss, wie frü­her das «Amen» in der Kirche, Dollarkurs und Nike-Index. Das Ganze «durch­ge­stal­tet» und völ­lig unper­sön­lich, trotz poli­tisch kor­rek­ter Namensnennungen. Kaum mehr irgend­et­was, das ans Herz gehen könn­te. Will man so die – Attraktivität des Fernsehens kon­kur­ren­zie­ren? Ein for­mal authen­ti­sches Produkt anbie­ten, des­sen Identität unab­hän­gig von Inhalten ist? Wer möch­te denn noch wis­sen, wie Veronika Meier oder der Lehrmeister Casper Selg aus­se­hen, geschwei­ge denn, was die­se beim Sprechen den­ken oder emp nden? Sie funk­tio­nie­ren gemäss Drehbuch. Ihnen braucht kei­ne Kunst zu gelin­gen. Und was sie sagen, so per­fekt es auch klin­gen mag, bleibt trotz auf­ge­bausch­ter Präsentation belang­los. Nein, nein: Das Radio hat noch immer sehr viel zu bie­ten. Noch wer­den Probleme und die Auseinandersetzung damit dar­ge­stellt, so dass Hörende auf hei­te­re und auch invol­vier­te Weise sel­ber am gan­zen Gewebe wei­ter­spin­nen kön­nen, und es nicht sel­ten auch tun. Man den­ke etwa an die engel­haft sanf­ten und zar­ten, unend­lich lie­bens­wür­dig harm­lo­sen Stimmen von Cornelia Kazis oder Angelika Schett, wenn sie mit der den bei­den Damen ganz per­sön­lich eige­nen Mischung köst­lich trä­fer Boshaftigkeit, Sachlichkeit, Nähe, ana­ly­ti­schem Denkvermögen, Heiterkeit, Anteilnahme, beacht­li­chem Verstehenkönnen und ‑wol­len gewürzt, im schein­bar? anschei­nend? zwangs­lo­sen Gespräch Inhalte ver­mit­teln, Denkapparate in Bewegung set­zen – und Herzen mobi­li­sie­ren. Hier kann man beim Hören leicht mensch­li­cher wer­den. Ganz hohe Schule, ein Produkt(?), das nir­gend­wo syste­ma­tisch ein­ge­schult und strom­li­ni­en­för­mig geglät­tet wor­den ist. Persönlichkeit. Kunst. Etwas, das sei­ner­zeit sehr unter­schwel­lig bei den Darbietungen der Nachrichtensprecher (durch­aus mit Unzulänglichkeiten) mit­ge­schwun­gen und ohne zum Ausdruck gebracht wor­den zu sein, gera­de dadurch prä­sent blieb. In der Berichterstattung abseits der eigent­li­chen ‹Nachrichten› hat sich über vie­le Jahre Qualität erhal­ten, auch heu­te. Stellen Sie sich pars pro toto einen Würfel vor, auf des­sen sechs Flächen immer ein ande­rer Name steht, quer durch die Jahrzehnte hin­durch, sechs Persönlichkeiten, gleich­wer­tig aber kei­nes­wegs gleich­ge­schal­tet. Ich rei­he sie alpha­be­tisch auf: Susanne Brunner, Heiner Gautschy, Werner van Gent, Theodor Haller, Isabelle Jacobi, Rolf Pellegrini. Eine die­ser Personen hat 1963 über J. F. Kennedys Ermordung berich­tet, eine ande­re hat das Phänomen Berlusconi und sei­ne brei­te Akzeptanz anschau­lich ver­ständ­lich gemacht, und so wei­ter. Bei einem Würfel sind die Seiten kei­nes­wegs aus­wech­sel­bar – nur von ihrer Funktion her eben gleich­be­deu­tend. Die sechs hier Genannten und vie­le ande­re ihrer Kolleginnen und Kollegen brin­gen tat­säch­lich die Welt in Wohnstuben und Küchen und Autos hin­ein: weil es ihnen gelingt, dass in den Köpfen der Hörenden Welten gebaut wer­den wol­len. Warum denn aus­ge­rech­net bei den eigent­li­chen Nachrichten die unsäg­li­che Uniformität, die bil­li­ge Pose, die Pseudooriginalität die kaum mehr als Leere hin­ter­lässt und als Emotion bei den Hörenden höch­stens Ärger. Nun, wäh­rend der Niederschrift die­ses Textes habe ich ver­nom­men, dass es ab 4. November DRS4 gibt – Nachrichten rund um die Uhr: Ich wün­sche uns Glück.

Foto: © Alexander Egger
ensuite, November 2007

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