Lüschers Roman «Kraft»: Ohne Vorstellung, dafür mit viel Willen

Von

|

Drucken Drucken

Von Dr. Regula Staempfli - Lüschers «Kraft» macht wütend. «Posing» nennt man im Englischen die Attitüde, sich wort­ge­wandt über ande­re zu erhe­ben. Ohne «posing» kommt man in aka­de­mi­schen Zirkeln nicht weit – nicht zuletzt des­halb sind wirk­li­che Intellektuelle in den Post-Bologna-Wissensindustrien – frü­her Universitäten genannt – nur mit der Lupe zu fin­den. «Habitus» ist der sozio­lo­gi­sche Fachbegriff, der Vorlieben, Sozialverhalten, den Umgang mit ande­ren Menschen als Distinktionsmerkmal gesell­schaft­li­cher Macht struk­tu­riert. Lüschers Hauptfigur Richard Kraft ist Attitüde, Habitus und kläg­lich schei­tern­der Poser zugleich.

[wc_quick_donation]

Er ist ein Kotzbrocken erster Güte. Sie und ich ken­nen ihn bestens von der Uni her, den Kunstevents, Medientagungen. Kraft begeg­net uns über­all in Redaktionen, Expertenkommissionen, Jurys, bei Grammatiklektionen gegen frei­es Denken, er amtiert häu­fig als mit­tel­mäs­si­ger Professor unse­rer weit­aus intel­li­gen­te­ren Kinder. Kraft ist in der Jugend rechts, ein Neoliberaler avant la lett­re, der von Möchtegern-Linken, die­sen mit­tel­gros­sen Chefredaktoren mit­tel­gros­ser Magazine, ger­ne hofiert wird. Kraft ist Prototyp des geschei­ter­ten weis­sen Mannes in sei­nen Mitte-Jahren. Er besei­tigt auf dem Weg nach mit­tel­hoch oben jede Konkurrenz, die nach Genialität riecht, und behaup­tet dann, an der Diskrepanz zwi­schen sei­ner Denkfähigkeit, sei­nen Einsichten und den real exi­stie­ren­den Widrigkeiten zu schei­tern. Kraft ist der Prototyp des Mitläufers der Gegenwart.

Lüscher kon­stru­iert sei­nen Romanhelden als Gegenstück zu den gro­tes­ken Zahlenpuppen im Silicon Valley, die­sen neu­en Herren über Strom und Daten. Gegenstück? Wie lächer­lich!  Kraft denkt so Sätze wie: «Für die Anschlussfähigkeit ein roter Faden vom spä­ten Heidegger, Nietzsche oder Schopenhauer, dann zur Abgrenzung ein paar Randmaschen aus der dich­ten  Unterwolle Huntingtons, aus dem Querfaden her­aus ein paar rech­te Maschen eines obsku­ren, ver­mut­lich zu Recht in Vergessenheit gera­te­nen chi­le­ni­schen Ökonomen aus der Chicagoer Schule, den er in den frü­hen Achtzigern gele­sen hat­te und dank sei­nes phä­no­me­na­len Gedächtnisses auch nach dreis­sig Jahren noch zitie­ren kann, eine hal­be Nadellänge Finkielkraut für Empörung, eine hal­be Nadellänge Hölderlin fürs Gemüt, für die Authentizität ein paar Schläge aus einem eige­nen, kürz­lich im ‹Merkur› publi­zier­ten Aufsatz, und zur iro­ni­schen Imprägnierung, aber auch als vor­sorg­lich offen gehal­te­ner Fluchtweg, lässt er ger­ne noch ein paar Maschen Karl Kraus fal­len.»

Kraft ist ein Nichts und des­halb liebt ihn der Feuilleton. Kraft ist nicht mal geschei­tert, er ist ein­fach ein ganz nor­mal übler Mensch einer bor­niert hoch­deutsch spre­chen­den Mittelschicht. Kraft ist der Grund dafür, dass an allen Forschungsinstitutionen nichts mehr erfun­den, son­dern nur noch ver­mes­sen und abge­si­chert wird.

Welch Genugtuung, dass Kraft schliess­lich genau so endet, wie man es den vie­len Fritzen schon längst wünscht (und dies viel zu sel­ten pas­siert).

Schreiend über­leb­te ich die ersten dreis­sig Seiten wohl­for­mu­lier­ter intel­lek­tu­el­ler Kackscheisse und geriet in einen Sog, der mich das Buch nicht weg­le­gen liess. Lüscher ist mei­ster­haft mit Worten im Vergrösserungsglas, die als UBERschriften zur Realität unge­heu­re Manipulation ent­wickeln. Jonas Lüscher kann schrei­ben – die Form, die Form! – unter­hält sehr klug und sehr lustig. Gewütet hab ich trotz­dem wei­ter: Die Frauenfiguren stin­ken in «Kraft» nach Otto Weininger, Schopenhauer und Nietzsche – furcht­bar, wirk­lich furcht­bar.

«Kraft» ist ein aus­ge­spro­che­nes Männerbuch, kein Wunder jubelt der Feuilleton! Wer hin­ter den Zeilen zu lesen ver­mag, wer über die völ­lig abwe­sen­den Frauen als Subjekte, als nor­ma­le Menschen hin­weg­sieht, wer köst­li­che Diskurse über Theodizee, Humanismus ver­sus tech­ni­sche Allmachtsfantasien, wer ein biss­chen Kapitalismus-Kritik wohl­for­mu­liert haben will, ist bei Jonas Lüscher nicht nur gut bedient, son­dern auch nett unter­hal­ten. Jonas Lüscher hat mit «Kraft» all das for­mu­liert, was den Uni‑, Medien- und Politbetrieb momen­tan ver­gif­tet. Die Ironie dar­an ist, dass dies nie­mand merkt. Denn eigent­lich sind nicht die glatt­ge­bür­ste­ten, unat­trak­ti­ven Maschinenmenschen in Silicon Valley das Problem, son­dern genau die Dreitagebart-Typen wie Richard Kraft.

Wer sich wirk­lich der Tragik des moder­nen Bewusstseins aus­set­zen möch­te, ist bei Chimamanda Ngozi Adichies «Americanah» bes­ser bedient. Nicht zuletzt weil die Hauptfiguren – im Gegensatz zu Kraft – aus Fleisch, Blut und nicht nur aus kon­stru­ier­tem Männergeist bestehen. Trotzdem ist «Kraft» strecken­wei­se gross­ar­tig, doch dür­fen dies­mal die Leerstellen, die­se völ­lig unkri­ti­sche Heteronormativität der Figuren inklu­si­ve Dialoge, nicht ein­fach mehr als «Nebensächlichkeit» weg­ge­wischt wer­den.

Jonas Lüscher, Kraft. Roman.
C.H.Beck-Verlag. 2017-04-28

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo