Hochwürden, sind Sie beses­sen?

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Von Stephan Fuchs - Reverend Beat-Man, seit drei Tagen habe ich kei­ne Angst mehr vor dem Tod! Ist das nor­mal?
Oh ja, kei­ner soll­te sich vor dem Tod fürch­ten. Was nahm Ihnen denn die Angst?

Die neue Platte „Flammend’ Herz“ von „The Dead Brothers“, die in Ihrem Label „Voodoo Rhythm“ erschie­nen ist. Die Musik muss an mei­nem Begräbnis gespielt wer­den. Hoffentlich live, auch wenn die Herren bis dahin alt und grau sind.
Ich ver­ste­he. Die Band ist wirk­lich gut. Die Musik kommt auch von tief, tief unten, aus dem Grabe sozu­sa­gen. Sie hören der Band zu und es ist als ob Sie mit am Piano sit­zen und mit einer Bande von Gipsies in der Hölle musi­zie­ren wür­den.

Ja, aber ich mein das ernst. Wissen Sie, täg­lich kreu­zen mich Gangster, Agenten und Politiker. Manchmal kommt es hier und da auch zu klan­de­sti­nen Treffen… und Reverend, ich habe mich vor die­sen Treffen nicht gefürch­tet. Nie! Und trotz­dem, wohl unbe­wusst, äng­stig­te mich der Gedanke eines plötz­li­chen Todes. Stellen Sie sich das vor, erschos­sen zu wer­den und kei­ner spielt am Grab des geschun­de­nen Körpers. Grässlich! Ich bin über­zeugt, dass der, der sich vor dem Tod fürch­tet, auch das Leben fürch­tet. Was mei­nen Sie? Fürchten Sie sich vor dem Leben?
Nein! Das Leben ist gross­ar­tig! Ja, es ist gefähr­lich, es ist vol­ler Überraschungen, lei­den­schaft­lich, fleisch­lich, manch­mal gar teuf­lisch… und der Tod… ich den­ke er ist das gröss­te Glück, die Erlösung unse­rer irdi­schen Form oder ein neu­er Anfang, das Licht von etwas Neuem. Verstehen Sie? Angst ist etwas für die Ratten, die sich im Dunkeln tum­meln, die sich des Lichtes wegen äng­sti­gen. Das Leben aber ist umwer­fend. Und gera­de des Todes, des Lichtes wegen haben wir Menschen im Leben nichts zu ver­lie­ren, nichts zu sün­di­gen. Wir sind doch frei von Sünde.

Mein lie­ber Schwan! Sie spre­chen hier vom Teufel, von Fleisch, von Sünden…
Genau! Ich spre­che deut­lich vom Leben. Hier und jetzt. Leben! Ich habe die Bibel aus­führ­lich gele­sen und ganz klar, die Bibel ist eines der abso­lut gross­ar­tig­sten Bücher. Nur: Die Bibel lesen ist eine wun­der­ba­re Sache… die Bibel leben ist etwas ande­res. Wer LEBEN als sol­ches ver­steht, der lebt auto­ma­tisch nach dem Buch der Bücher. Wer lebt, der kann gar nicht schlecht sein. Satan, der Vater… die­se Dinge sind für die Ängstlichen, für die, die ohne Weisung nicht klar­kom­men; die Diktatur ist dann wohl nicht fern. Jesus leb­te gefähr­lich, er leb­te mit dem Fleisch, er hat­te eine Vision, er hat­te Leidenschaft, für die er offen­bar starb. Sein Vater rich­tet nicht, wie das vie­le glau­ben. Der Vater hat viel­mehr ver­zie­hen. Jedem. Dem Massenmörder genau­so wie dem Weib, wel­ches sich schin­det und sich für ihre Kinder auf­op­fert. Das ist für mich die Bibel. Die Bibel muss man nicht lesen, die muss man leben. Und das kann jeder. Das ist noch nicht mal christ­lich, das ist mensch­lich, oder?

Reverend, Ihre Freundin Scarlette Fever aus L.A. ist Burlesque-Tänzerin; Tänzerin der legen­dä­ren Velvet Hammer Tanzrevue. Varieté, Moulin Rouge, Erotik… und ent­schul­di­gen Sie… damit ver­bun­den ist die Sünde. Wie kön­nen Sie hier sagen das sei „ok“?
Burlesque, Moulin Rouge, das ist Leidenschaft, das ist nicht Cüplisex und da geht es nicht um Geld und Dollar Noten, die man einer Tänzerin in die Strapse steckt, in der Hoffnung sich deren Schenkel auf dem Schoss zu wie­gen. Burlesque sind Geschichten, Spannung, Theater, Varieté. Burlesque ist eine sehr, sehr mensch­li­che Geschichte, dazu noch mit Charme. Auch da geht es wie­der um Leidenschaft. Die Frauen sind nicht doof, das ist nicht Prostitution. Scarlette Fever ist auch Journalisten, sie arbei­tet für den L.A. Weekly, sie war Art & Lifestyle Editor des L.A. Reader, sie ist Grafikerin des Los Angeles Zoo und des bota­ni­schen Gartens. Vielleicht schreibt sie mal für Ensuite, das wär doch was!

Gebucht! Wann kommt sie?
Am 19. November ist sie im Varieté des Café Kairo. Zusammen mit Valentina Violette und dem Pornostuntman, dem abso­lut „most sexy“ DJ mit makel­lo­sem Las Vegas Zuhälterblut. Und natür­lich mit mir als DJ. Ich, der garan­tiert jede Party rui­niert. Valentina und Scarlette sind mit ihrem Programm „A Boozin’ Burlesque Explosion“ die Königinnen des Old-School-Striptease aus Los Angeles, eben dem legen­dä­ren Velvet Hammer. Dies ist die ein­zi­ge Show in der Schweiz. Gehen Sie sich das mal anschau­en und Sie wer­den sehen, mit Sünde hat das gar nichts zu tun.

Ich glau­be, das muss ich mir schon angucken gehen. Reverend, sind Sie eigent­lich beses­sen?
Ja bestimmt! Von guter Musik, schlech­tem Geschmack, guten Partys und guten Geschichten. Besessen zu sein ist ein guter Antrieb Dinge zu lei­sten, die ein nicht Besessener nie tun könn­te.

Sie waren aber auch hand­fest beses­sen: Von dunk­len agres­si­ven Mächten in Form einer mexi­ka­ni­schen Wresting Maske, durch die Sie gei­stig und kör­per­lich fast zer­stört wur­den. Dem Tod ent­ron­nen, qua­si als Wiedergeborener, zie­hen Sie nun pre­di­gend durch die Welt. Sie gel­ten als Priester des „pri­mi­ti­ve Rock’n’Roll“.
Ja, ich habe das Licht am Ende des Tunnels gese­hen. Ich war damals Jahre lang als Ein-Mann-Band unter­wegs. öIch habe mir die­se mexi­ka­ni­sche Wrestler-Maske über mein Gesicht gezo­gen und habe auf der Bühne „Appartment-Wrestling“ gemacht. Ich habe mich tat­säch­lich mit mei­ner Gitarre und dem Publikum, vor allem aber mit mir sel­ber geprü­gelt, wobei ich glück­li­cher­wei­se immer als Sieger her­vor­ging. Einige Zeit lang war das lustig, doch die aggres­si­ve Maske nahm über­hand und immer öfter war nicht ich der Sieger, son­dern eben die schwar­zen Mächte der Maske. Es war furcht­bar… ich habe mich sel­ber auf der Bühne so ver­prü­gelt, dass ich mir die Nase, den Arm brach, schluss­end­lich hab ich mir bei­na­he den Rücken gebro­chen, muss­te ins Spital, viel ins Koma und sah das Licht.

Reverend…!
Ja, ich sah das Licht, vol­ler Freude habe ich mich dar­auf zu bewegt. Am Ende des Tunnels sah ich Screamin Jay Hawkins, den legen­dä­ren Musiker… ich fiel auf mei­ne Knie und wein­te. Ich wein­te wie ich in mei­nem gan­zen Leben noch nicht geweint habe. Ja, ich woll­te zurück. Zurück auf den Planeten des Hasses, zurück zu mei­ner Musik. Und glau­ben Sie mir, Hawkins half mir. Er sag­te: „Beat Man, wir haben gese­hen was du auf dem Planeten des Hasses gemacht hast, die Menschen brau­chen dich drin­gend. Geh zurück und pre­di­ge… PREDIGE!! Erzähl’ den Menschen die Geschichte über Primitive Rock’n’Roll, die Geschichte über Blues Trash und Gospel Trash.“ Augenblicklich erwach­te ich aus dem Koma und ich wuss­te, was zu tun war: Ich ver­brann­te mei­ne Maske, pack­te mei­ne Gitarre und das KickDrum in mein altes Auto, fuhr von Stadt zu Stadt und… pre­dig­te!

Das war die Geburt von Reverend Beat Man. Sie tou­ren Japan, Amerika, Südamerika, England, den Kontinent… Sie sind ein Star!
Ich bin Musiker und Priester, habe ein eige­nes Label, eben Voodoo-Rhythm und ver­die­ne mit mei­nen Shows kein Geld. Es ist mein Herzblut, mein per­sön­li­ches Flammend’ Herz. Lohn bekom­me ich vom Publikum. In Form von Briefen, von… Danke Reverend. Sie schät­zen was ich mache… aber vor allem bin ich Vater.

Ein sehr lie­ben­der, Zeit Investierender wie ich sehe.
Mein Junge ist mir das wich­tig­ste. Er ist es, der jetzt da ist, er hat ein gan­zes Leben vor sich, und da will ich ihm ein guter Vater sein. Mein Leben ist da nicht mehr so wich­tig.

Werden Sie alt, Reverend?
Ha, nein! Aber ich bin weni­ger auf Tourneen. Obwohl, mor­gen geh’ ich wie­der mit den „Monsters“ auf Tournee durch Frankreich, Deutschland, Holland und die Schweiz. Einzelne aus­ge­such­te Auftritte als Reverend Beat Man mache ich schon auch, aber ich küm­me­re mich nun mehr um mein Label, dadurch gibt es viel Arbeit zu Hause die sehr wich­tig ist, den Geist des Primitiv Rock’n’Roll wei­ter zutra­gen. Es ist auch wich­tig für mei­nen Sohn. Er braucht mich, er braucht ein Zuhause und er braucht eine Familie, die ihn liebt und ihn auf sei­nem Weg unter­stützt. Das ist mei­ne wich­tig­ste und gröss­te Show, die ich je haben wer­de!

Reverend, Sie sind ein rich­ti­ger Kerl…
Das den­ken wohl nicht alle. Wer mich nicht kennt der schaut lie­ber weg, der grüsst mich nicht, schenkt mir kein Lächeln. Mein Lebensinhalt hat mich viel­leicht zu einem Outlaw gemacht. Aber eben, es ist mein Weg, mein Leben und ich bin stolz dar­auf.

Sie dür­fen auch stolz auf ihr Label sein nicht? Ihr Label „Voodoo Rhythm“ gilt als Ground Zero für Primitive Rock’n’Roll, Slopabilly und die nie gehör­ten Sounds aus allen Schichten mensch­li­chen Wahnsinns. Was fehlt Ihnen noch im Repertoire?
Klassik! Das wäre für mich ein Geschenk. Ich bin fas­zi­niert von klas­si­scher Musik. Sie ist dem Wahn näher als man denkt und in einer emo­tio­na­len Tiefe… Klassik ist wirk­lich fas­zi­nie­rend.

Also kei­nen Grund vor­zei­tig zu ster­ben. Haben Sie eigent­lich eine Funeral-Band, die an Ihrem Begräbnis spie­len wird?
Ich möch­te für mich sel­ber spie­len. Vielleicht find ich da irgend­wie irgend­ei­ne Möglichkeit. Die Welt ist doch bun­ter und run­der als sie scheint.

Sie haben mit mei­ner Funeral Kapelle „The Dead Brothers“ ja auch einen dicken Fisch im Korb nicht?
Das wer­den wir sehen. Die Platte „Flammend’ Herz“ ist der Soundtrack zum gleich­na­mi­gen Film in einer schwei­ze­risch-deut­schen Film Produktion. Es ist ein Zeitdokument drei­er Hamburger Freunde. Das sind drei alte Männer um die Neunzig, aus ganz unter­schied­li­chen Verhältnissen kom­mend. Was sie ver­bin­det ist ein­zig die Leidenschaft für Tätowierungen. Richtige Kerle. Die drei sind geeint im Willen nur so zu leben, wie sie wol­len. Ihre Häute sind Geschichtsbücher, Biographien ihrer eige­nen beweg­ten Geschichte, gezeich­net in blau­er Tinte. Was für ein Reichtum!

Na, dann wohl auch ein finan­zi­el­ler Reichtum für Sie, Reverend?
Pa! Muss es das? Ist das so wich­tig? Wer weiss. Sicher, ich hät­te Freude für mei­nen Sohn, dem ich die Schule, sei­ne Ausbildung bezah­len könn­te. Schauen Sie, ich habe mit allen Bands unter mei­nem Label ein Gentleman Agreement. Wir haben kei­ne Verträge. Wir sind Jungs, die für die Musik leben und mit ihr ster­ben. Wir sind Gentleman und bau­en an der­sel­ben Kiste. Verstehen Sie?

Ja, die Sprache ver­steh’ ich. Es gibt zu weni­ge aus die­sem Holz. Kerle, die ran­ste­hen, die aus Leidenschaft machen, sich gegen­sei­tig aus der Patsche hau­en und sich ‚ne Zigarre anzün­den.
Ja, das sind Dinge die im Leben zäh­len. Die Nacktheit der Ehrlichkeit, die Leidenschaft. Die Momente in denen sich die Nackenhaare sträu­ben, sich die Nasenflügel blu­stern und man für eine klei­ne Insel kämpft. Frauen und Männer die zusam­men­ste­hen, die gute alte Mafia, wel­che die Insel und die Familien vor den Banditen und den Aposteln der Geldgierigen schützt.

Reverend, Sie spre­chen mir aus dem Herzen. Herzlichen Dank, dass Sie mich emp­fan­gen haben. Bitte beten Sie für mich, die alten Familien und unse­ren Kampf um die Insel.

Der Berner Musiker Reverend Beat Man betreibt sein Label Voodoo Rhythm seit 1992 und ist erreich­bar unter: http://www.voodoorhythm.com

Bild: Yoshiko Kusano
ensuite, November 2004

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