Risiken und Nebenwirkungen

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Von Klaus Bonanomi - „Die stän­di­ge Zunahme des Flugverkehrs ist laut einer neu­en bri­tisch-schwe­di­schen Studie zufol­ge eine der größ­ten Gefahren für das glo­ba­le Klima.“ Dies steht in einer Meldung, wel­che die inter­na­tio­na­len Nachrichtenagenturen am 5. Juli ver­brei­te­ten. In den kom­men­den 20 Jahren sei ein jähr­li­ches Wachstum des Luftverkehrs von drei bis sie­ben Prozent zu erwar­ten. Gründe sei­en vor allem das Auftreten von Billigfliegern und die stän­di­ge Zunahme des Luftfrachtverkehrs, heisst es wei­ter in dem Text. Die Studie, die von der bri­ti­schen Universität York für das Stockholm Environment Institute erstellt wur­de, kommt zum Schluss, ins­ge­samt sei in den zwei Jahrzehnten mit einer Verdreifachung der geflo­ge­nen Kilometer und einer Verdoppelung der Anzahl der Flugzeuge in der Luft zu rech­nen. Schon jetzt erzeu­ge die Luftfahrt jähr­lich 300 Millionen Tonnen Treibhausgase.

Die gros­se Freiheit über den Wolken wird also immer mehr zur gros­sen Gefahr für unser Klima höch­ste Alarmstufe also und ein aktu­el­ler Anlass, wie­der ein­mal über die­se Tatsache zu berich­ten? Mitnichten: Keine ein­zi­ge der gros­sen Schweizer Zeitungen, weder Radio noch Fernsehen gin­gen auf das Thema ein.

„Bei der Berichterstattung über Risiken nei­gen vie­le Medien dazu, die Sachlage zu dra­ma­ti­sie­ren oder zu igno­rie­ren“, schrieb unlängst der Kommunikationswissenschafter Stephan Russ-Mohl von der Uni Lugano in der Neuen Zürcher Zeitung. Er illu­strier­te dies am Beispiel BSE: Wochenlang, so Russ-Mohl, war im Jahr 2001 Rinderwahn ein Top-Thema.

„Täglich erfuhr man in den Medien die jewei­li­ge Zahl der Rinder, die posi­tiv auf BSE gete­stet wor­den waren. Sehr sel­ten mit­ge­lie­fert wur­den dage­gen Vergleichsdaten, die für eine ratio­na­le Risikoeinschätzung von­nö­ten gewe­sen wären. In der Schweiz gab es bis Ende 2003 auf 1,6 Millionen Rinder 452 erkrank­te Tiere was einem win­zi­gen Anteil von 0,03 Prozent ent­spricht“, so Russ-Mohl. „Anhand sol­cher Relationen hät­ten sich auch Laien ein Bild davon machen kön­nen, wie gering die Gefahr war, BSE-infi­zier­tes Fleisch auf den Teller zu bekom­men. Doch damit hät­ten sich die Journalisten ihre Story ‚kaputt recher­chiert‘“, schreibt der Experte poin­i­tiert.

Zudem, so Russ-Mohl, ist bis heu­te kein ein­zi­ger Mensch in der Schweiz an der neu­en Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankt, die mit dem Verzehr von BSE-Fleisch asso­zi­iert wird. Anderseits infi­zie­ren sich in der Schweiz jähr­lich 800 Personen mit dem HI-Virus; etwa 70 Todesfälle durch Aids waren letz­tes Jahr zu bekla­gen. „Salopp auf den Punkt gebracht: Das ‚ver­schla­fe­ne‘ Risiko der Medienberichterstattung ist Aids, auf­bau­schend berich­tet wur­de dage­gen über BSE.“

Dass die Medien sich schwer tun damit, Risiken und Nebenwirkungen rich­tig ein­zu­schät­zen und kom­pe­tent dar­über zu berich­ten, das zeigt auch das Beispiel der neu­en Studie über die Gefahren des Fliegens für das glo­ba­le Klima. Wenn es um die Luftfahrt geht, dann ist viel von der Faszination des Fliegens und vom Luftverkehr als wich­ti­gem Wirtschaftsfaktor die Rede; die Medien ver­fol­gen gespannt die neu­sten Sitzladefaktoren des staat­li­chen Hätschelkindes Swiss – aber sie berich­ten kaum über den Schaden, den die welt­wei­te Fliegerei, die längst jedes ver­nünf­ti­ge Mass sprengt, anrich­tet.

Warum das so ist? Ich habe kei­ne Antwort; nur eine Vermutung: Wir JournalistInnen sind Herdentiere. Wir ver­keh­ren ger­ne unter Gleichgesinnten; wir sind mobil, urban, fort­schritts- und tech­no­lo­gie­gläu­big, wir sind dau­ernd „auf dem Sprung“ und oft­mals mit dem Flieger unter­wegs. Den Beleg dafür lie­fer­te kurz nach der Veröffentlichung der Klimastudie das Magazin des Tages-Anzeigers: Ein Tagi-Magi-Autor flog in acht Tagen rund um die Welt und durf­te auf zehn Seiten berich­ten, wie er sich in wel­chem Hotelzimmer und auf wel­chem Flugzeugsessel fühl­te; und im Editorial zähl­te die Redaktion stolz auf, wer für die näch­sten Nummern wohin zu flie­gen gedenkt: „Finn Canonica nach Barcelona, Ernesta Coray nach Kuala Lumpur, Guido Mingels nach Kapstadt, Rico Czerwinski nach Schwerin, Anuschka Roshani war in Burma, Nathan Aebi nach Tokio, Peer Teuwsen nach Moskau, Res Strehle nach Valencia. Wohin Sie flie­gen, lie­be Leserinnen und Leser, wis­sen wir nicht. Trotzdem: Guten Flug!“ Den Fluglärm müs­sen Sie ja nicht sel­ber ertra­gen, und der Klimakollaps kommt auch erst in 20 Jahren.

Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch

ensuite, August 2004

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