EDITORIAL Nr. 23

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Von Lukas Vogelsang – Der November ist dies­mal als Wahlmonat defi­niert. Nur, wer wählt hier eigent­lich? In Amerika schei­nen die Wahlen mit den Wählern wenig zu tun zu haben. Wahlmanipulationen schei­nen dort jeden­falls kei­ne Millionenklagen aus­zu­lö­sen – noch nicht. Wenn dies mal ein­tref­fen soll­te, so könn­te sich das Szenario viel­leicht noch ändern. Nun denn, die Wähler haben wenig zu sagen und wer­den von den gekauf­ten Medien hoff­nungs­los zuge­dröhnt. Die Allüren der Protagonisten glei­chen einer Musicstar-Sendung – aber viel­leicht soll­ten sie es tat­säch­lich mal mit Singen ver­su­chen: Die Sympathien wären den Herren sicher. Nur ban­ge, ban­ge, wenn sich mal eine Frau die­ser Etage sin­gend nähern soll­te: Ich glau­be, das wäre das defi­ni­ti­ve Ende des ame­ri­ka­ni­schen Patriarchats. Wahlen fin­den auch in Bern statt. Hier noch nicht sin­gend. Aber als ich so über die Zukunftspläne die­ser Stadt grü­bel­te, die Parteiparolen aus­wen­dig lern­te und dabei far­ben­blind wur­de, piek­te mich eine klei­ne Zukunftsangst: Was soll hier nur aus mir wer­den? (Ziemlich puber­tie­ren­de Frage für mein fort­schrei­ten­des Alter…) Welche Zukunft beschert mir der ver­gol­de­te Bahnhof wenn ich im Zug sit­ze oder das Monsterfussballeinkaufsstadion als Segler? Durch poli­tisch pro­vo­zier­te Farbenblindheit wer­de ich nun auch mit dem Zentrum Paul Klee nicht ganz glück­lich. Sicher, Bauarbeiter haben gute Chancen, die näch­sten hun­dert Jahre Bern zu über­le­ben. Die Stadt baut sich neu, das erkennt jeder, der mit dem Velo auf den Berner Strassen in eine der unzäh­li­gen Fallgruben gefah­ren ist. Und man fährt weit, denn die Wohnungen, wel­che noch bezahl­bar sind, wer­den bald so weit weg sein, dass man sich schon jetzt an die näch­ste „Tour de Suisse“ anmel­den kann. Beim Grübeln bin ich dann doch noch auf die Lösung gestos­sen: Ich wer­de Restaurantbesitzer. Ich glau­be dies ist der ein­zi­ge Beruf, bei wel­chem mit einem char­man­ten Lächeln jeder unlieb­sa­me Gast (in die­sem Falle sind vor allem Musicstarteilnehmer aller Kategorien gemeint) vor die Türe gestellt wer­den kann. Das ist die wah­re Macht der Wähler, frei nach Blocher. Und es macht beson­ders viel Spass, wenn’s wie im November reg­net. Wetten dass es bald dar­auf eine Wurstbude unter dem bahn­hö­fi­schen Baldachin geben wür­de, mit einer Schar sin­gen­der Herren dar­um? Ich wün­sche auf jeden Fall einen wun­der­ba­ren, chao­ti­schen und fra­gen­den November. Kultur ist kon­tro­vers.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 23, November 2004

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