Menschen & Medien:
Das Überforderungszeitalter

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Von Anna Vogelsang - Nach der Industrialisierung kam das Medienzeitalter, wel­ches soeben wie­der durch das «Soziale Medien- Zeitalter» ersetzt wur­de. Ist es denn ein Zeitalter? Wie lan­ge hält die­se Periode, und wie wird sie uns nach­hal­tig ver­än­dern?

Die Werbebotschaft der Sozialen Medien lau­tet: «Mache Dich selbst berühmt ». Ruhm, Geld und Erfolg wer­den allen als abso­lu­te Selbstverständlichkeit in Aussicht gestellt. Die Wissenschaft kon­sta­tiert die ersten Symptome einer Verhaltensveränderung des Homo Sapiens, nach einer nur zehn Jahren andau­ern­den Epoche vol­ler Exhibitionismus. Die Gesellschaft spal­tet sich in meh­re­re Subsysteme auf, was zu der Zerlegung der Öffentlichkeit in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten führt. Deswegen gilt: Nicht einer Gruppe ange­hö­ren, son­dern vie­len ver­schie­de­nen gleich­zei­tig, die sich zum Teil sogar wider­spre­chen, doch das ist egal. Um dazu­zu­ge­hö­ren, «klickt» man sich in die­se Teilöffentlichkeiten ein, erzielt eine Sogwirkung, und bün­delt damit wei­te­re Anhänger. Ob die­se Anhängerschaft treu und über län­ge­re Zeit sta­bil bleibt, ist irrele­vant. Durch stän­di­ges Weiterausbreiten des Netzes ersetzt man des­sen «Mitglieder » lau­fend. Es geht nur um eine mög­lichst hohe Zahl von «Klicks», «Likes» und «Retweets». Eine Endlosschlaufe, äus­serst zeit­fres­send – denn die eige­ne Anhängerschaft muss per­ma­nent bei Laune gehal­ten wer­den.

Aus einem Konsument ist ein Prosument gewor­den. Jeder ist sein eige­ner Redaktor, Herausgeber, PR-Manager und Produzent. Dass die­se angeb­li­chen «Redaktoren» in Wahrheit die Werbeträger und Promoter für cle­ve­re Firmen sind, mer­ken sie sel­ber nicht ein­mal, und wenn doch – dann haben sie kein mora­li­sches und pro­fes­sio­nel­les Problem damit. Sie besit­zen kei­nen pro­fes­sio­nel­len Kodex – sie sind ja frei! Frei von allen und allem. Unter dem Deckmantel «künst­le­ri­scher Freiheit» wer­den einem mani­pu­lier­te Nachrichten und Botschaften unter­ge­ju­belt. Die Prosumenten ver­rich­ten die Arbeit für wirk­lich gros­se Player – Google, YouTube, Facebook & Co. –, gra­tis oder gegen Almosen, weil sie dem ver­spro­che­nen Traum von «Ruhm, Geld und Erfolg für fast nichts» ver­fal­len sind. Das Geld die­ser gros­sen Player basiert sogar auf dem alten Pyramiden-Prinzip: Solange die gros­se Masse mit­spielt und fleis­sig die Plattformen nutzt, kön­nen sie sich mit neu­en Krediten ver­sor­gen und neue Aktionäre anwer­ben. Der ein­zi­ge rea­le Wert die­ser Unternehmen liegt nach wie vor im Sammeln demo­gra­phi­scher Daten der Pro-/ Konsumenten. Doch wie vie­le Abnehmer gibt es für die­se Ware, und wer von denen ist so kauf­kräf­tig, die Milliardenbeträge zu decken?

Die tra­di­tio­nel­len Medien und pro­fes­sio­nel­len Journalisten ver­sin­ken in die­sem frei­en, wil­den, media­len Meer, und mutie­ren vor unse­ren Augen eben­so zu Verkäufern von allem mög­li­chen – nur nicht mehr von qua­li­ta­ti­ven Nachrichten. Es ist zum Verrücktwerden: Wir haben so lan­ge an den Qualitätskriterien in ganz ver­schie­de­nen intel­lek­tu­el­len Bereichen gear­bei­tet, nur damit wir sie inner­halb von einem knap­pen Jahrzehnt zunich­te­ma­chen.

Die beruf­li­chen Rollen wur­den so ver­mischt, dass sie kein schar­fes Profil mehr besit­zen. In den Jobausschreibungen der Medienhäuser fällt auf, dass sich die Berufsbilder mas­siv in die Breite gedehnt haben. Gesucht wer­den vor allem Top-Manager oder tech­ni­sche Supporter und IT-Spezialisten. Für die Inhalte wer­den schlecht­be­zahl­te Praktikanten und Studienabgänger gesucht – für ein paar Jahre, danach wer­den selbst sie gegen neu­es jun­ges Gemüse aus­ge­tauscht. Der jun­gen Generation passt die­ses Modell. Es ist Mode, knapp zwei Jahre an einem Arbeitsplatz zu blei­ben: Kaum etwas ver­stan­den und gelernt, schon zot­teln sie wei­ter. Dass sie auf die­se Weise kei­ne nen­nens­wer­ten Spuren hin­ter­las­sen, aus­tausch­bar blei­ben, ein brei­tes, aber schwa­ches Netzwerk erschaf­fen, wer­den sie erst in eini­gen Jahren mer­ken.

Wir fal­len dem sug­ge­rier­ten Erfolg zum Opfer und leug­nen, dass wir schlicht und ein­fach über­for­dert sind mit all die­sen «unend­li­chen Möglichkeiten ». Der «easy» Erfolg bleibt illu­so­risch, wie der Honigtopf im Traum von Winnie the Pooh. Das Absurdeste dabei ist, dass das Schema auf nur zwei Säulen der mensch­li­chen Natur basiert: Selbstzweifeln und dem stän­di­gen Wunsch nach Anerkennung. Ohne die Bestätigung durch ande­re ver­sinkt man in der Verunsicherung. Doch was für Menschen wer­den wir denn, wenn wir der Zustimmung völ­lig frem­der Leute ein so hohes Mass an Wichtigkeit geben, und nach hun­der­ten und tau­sen­den «Likes» jagen? Warum suchen wir nicht die Anerkennung der Menschen, wel­che direkt neben uns sind?

(Der Artikel erschien in der Printausgabe von ensuite Nr. 164, August 2016)

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