Ruhm in der Gemeinschaft des Wahnsinns

Von

|

Drucken Drucken

Von Patrik Etschmayer - Das Grauen von Nizza kann nicht wirk­lich in Worte gefasst wer­den. Und der Täter scheint ähn­lich unfass­bar: Islamist? Eigenbrötler? Psychisch Kranker? Der Versuch, die­sen Versager ohne Selbstwertgefühl in eine bestimm­te Schublade zu packen bringt nicht viel. Eine gene­rel­le Betrachtung könn­te ziel­füh­ren­der sein.

Nein, sein Name soll hier nicht erwähnt sein. Sein Name soll, genau wie jener des Monsters von Utoya, gelöscht wer­den. Und ein «Er» soll die­ses Wesen auch nicht mehr sein. Sondern ein Etwas.

Also, was hat die Kinder, die Frauen, die Männer, die Mütter, die Väter, die Schwestern, die Brüder, die Söhne und Töchter in Nizza getö­tet?

Als es noch Mensch war, im Leben davor, habe es Schwierigkeiten gehabt, sich ein­zu­fü­gen, habe sich benach­tei­ligt gefühlt, sei arro­gant gewe­sen und schei­ter­te auch mit sei­ner Familie. Es ist die Geschichte von Machtlosigkeit, von Enttäuschung und Versagen vor allem in den eige­nen Augen.

Die Anhänger von radi­ka­len Ideologien las­sen sich gene­rell in zwei Gruppen auf­tei­len: Die Nutzniesser und die Idioten. Wozu das etwas von Nizza gehör­te, ist ja wohl klar. Die Frage ist, was haben die Idioten davon? Eigentlich ganz ein­fach: Sie errin­gen in ihren eige­nen Augen Existenz. Sie wer­den zum Teil von etwas, das gross und mäch­tig ist und sie aus ihrer gefühl­ten oder wirk­lich exi­stie­ren­den Ohnmacht erhebt.

Frustrationen wer­den zu Tugenden umge­wan­delt, wider­li­che Gewaltwünsche fin­den plötz­lich eine Rechtfertigung, Hass ist – bei reli­giö­sen Gruppen – plötz­lich gött­li­cher Zorn. Isolierung ist Ablehnung durch Ungläubige. Finanzielle Probleme sind durch eine Verschwörung gegen die eige­ne Religionsgruppe ver­ur­sacht. Frauen sind Huren, Entgegenkommen und Hilfe durch die ‹Anderen› Heuchelei und noch ver­ach­tens­wer­ter als direk­te Feindseligkeit.

Die Liste lies­se sich belie­big fort­set­zen. Der Erzählstrang: Die gegen mich (= uns), ist für Verlierer fast uni­ver­sell anwend­bar. Gesellschaften in einer tie­fen Krise ent­wickeln sol­che ein­di­men­sio­na­len Geschichten und eine eben sol­che Geschichte.

Kollektiv gese­hen ergibt eine sol­che Krise fast zwangs­läu­fig eine radi­kal-tota­li­tä­re Bewegung. Nazismus, Stalinismus, Trumpismus und in der gegen­wär­ti­gen Zeit ganz an der Spitze: Islamismus – ver­mut­lich, weil sich der Islam in einer extre­men Krise befin­det und die radi­ka­len Vertreter eher Willens sind die gan­ze Welt in den Abgrund zu reis­sen, als eine Reformation zuzu­las­sen. Wer in sich selbst kei­nen Wert sieht, hält ande­re in der Regel für noch wert­lo­ser und ist gleich­zei­tig gie­rig nach erfun­de­nen Werten. Wenn die­se durch ein ‹hei­li­ges› Buch Bestätigung fin­den: Supi! Wenn dar­in der Endsieg ver­spro­chen wird? Umso mehr supi! Wenn einem jede nie­der­träch­ti­ge, wider­li­che Tat, von Mord über Folter und Vergewaltigung erlaubt und die­se sogar zum hei­li­gen Akt erklärt wird: Supersupi!

Auf der indi­vi­du­el­len Ebene bedeu­tet das für die Idioten, dass sie sich ihren nied­rig­sten Trieben hin­ge­ben kön­nen, ohne irgend­wel­che Hemmungen zu ken­nen. Jede Menschlichkeit darf über Bord gewor­fen wer­den. Niedriges Verhalten erhöht sie im Kanon des Wahnsinns: Je tie­fer jemand sinkt, desto höher steigt sein Ansehen in einer sol­chen Gemeinschaft des Wahnsinns.

Die bru­tal­sten Nazi-Schergen konn­ten mit dem Lob der Vorgesetzten und Fronturlaub rech­nen, wur­den beför­dert und/oder wur­den zur ‹Belohnung› in KZ’s ver­setzt, wo sie mor­den konn­ten, ohne selbst etwas ris­kie­ren zu müs­sen. Doch die­se Belohnungen sind im Vergleich zu den Versprechen an die Loser, die im Namen des IS Kinder mas­sa­krie­ren und klei­ne Mädchen ver­ge­wal­ti­gen, Pipifax: Diesen wird das Paradies ver­spro­chen – na das ist doch was. Und das Gute für den IS: Wenn ein sol­cher Idiot als ‹Märtyrer› drauf geht, kostet er nach­her nichts mehr.

Das Traurige ist, dass die­ser Wahn Gegenwahn gebiert. Angst, Hass und Schrecken erzeu­gen auch in an sich ver­nünf­ti­gen Menschen eine schlei­chen­de Radikalisierung. Je mehr die­ses Denken um sich greift, desto wahn­sin­ni­ger wird die gan­ze Welt. Mithin das Ziel der Aasgeier in den Führungsetagen des Wahnsinns, wel­che Macht und Einfluss aus Hass und dem Tod ande­rer zu erzie­len hof­fen.

Dieser Wahnsinn wird noch wesent­lich mehr Verlierer pro­du­zie­ren und in die Hände des Fanatismus trei­ben. Humanismus, Menschenrechte und gesell­schaft­li­cher Fortschritt wer­den dabei mit allen Mitteln von bei­den Seiten bekämpft. Die Tatsache, dass sogar Staatsoberhäupter und sol­che, die es wer­den wol­len, auf die­se Taktiken des Irrsinns zurück grei­fen – an der Spitze die­ser trau­ri­gen Hitparade seit die­sem Wochenende wie­der Erdogan – lässt einen besorgt in die Zukunft blicken.

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo