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5 Mal JA!

Von Matthais Heid, Chefdramaturg am Berner Stadttheater – Der Strom kommt aus der Steckdose, das Wasser aus dem Hahn, das Internet ist schon da, wenn man den Computer ein­schal­tet, und das Handy funk­tio­niert auf myste­riö­se Weise auch über­all. Und Wehe, wenn es ein­mal anders ist. Ein paar Stunden bei Kerzenschein, kön­nen ja ganz roman­tisch sein, unge­duscht geht auch mal für einen Tag, wenn aber das Worldwideweb oder gar das Handynetz off­line sind, macht sich beim moder­nen Menschen gera­de­zu Panik breit. Eine von höhe­ren Mächten ver­ord­ne­te Zwangskommunikationspause kommt für den Netzwerker von heu­te einer Verletzung der Menschenrechte gleich. Was das alles mit der Abstimmung zu den Subventionsverträgen zu tun hat? Ganz ein­fach: Den Wert von Selbstverständlichem erkennt man immer erst, wenn es nicht da ist.

Vor ein paar Jahren habe ich mir einen lang geheg­ten Traum erfüllt: 14 Tage in Florenz. Mal ent­spannt die Stadt ken­nen­ler­nen, Zeit genug haben, um ohne Touristenstress die Sehenswürdigkeiten und die Kultur der Stadt zu genies­sen, das war der Plan. Stress gab es dann genug, denn Uffizien, Dom und David sind ohne nun mal nicht zu haben. Und am Abend stell­te sich die ewi­ge Frage aller Alleinreisender: Was tun? Der flo­ren­ti­ni­sche Kellner schätzt es nicht son­der­lich, wenn man die Rendite brin­gen­den Restauranttische all­zu lan­ge mit nur einer Person belegt, und er ver­fügt über ein mehr oder weni­ger sub­ti­les Instrumentarium, dies auch zum Ausdruck zu brin­gen. Natürlich macht es Spass, sich in den Strom der abend­li­chen Flaneure ein­zu­rei­hen, auf einer pit­to­res­ken Piazza zu über­höh­ten Preisen mäs­si­gen tos­ka­ni­schen Wein zu trin­ken und im Hotelzimmer lagen selbst­ver­ständ­lich auch noch ein paar jener guten Bücher, die ein­ge­packt wur­den, weil sie nur an ein­sa­men Abenden in Hotelzimmern gele­sen wer­den. So ein süd­län­di­scher Abend kann ganz schön lang sein und nach ein paar Tagen war da die­ses drin­gen­de Bedürfnis nach kul­tu­rel­ler Abendunterhaltung. Ein biss­chen Musik nach all der bil­den­den Kunst, so dach­te ich mir, wäre genau das rich­ti­ge. Der Veranstaltungskalender ver­zeich­ne­te im Kino nichts­sa­gen­de Sommerkomödien und das war’s dann auch schon. In zwei Wochen nicht mal ein klit­ze­klei­nes Kammerkonzert, kei­ne Jazz-Session, nicht mal ein Potpourri ita­lie­ni­scher Opernarien, ein­fach nichts. Und natür­lich war es wie in Kindertagen, was man gera­de nicht haben kann, will man umso mehr.

Im Nachhinein wur­de mir durch die­ses klei­ne Erlebnis klar, wie selbst­ver­ständ­lich und auto­ma­tisch ich die Verfügbarkeit jeg­li­cher Art von Kunst mit Stadt gleich­setz­te.

Am 15. Mai stim­men die Stimmbürger von Bern über die Leistungsverträge der fünf gros­sen Kulturinstitutionen ab. Stellen wir uns kurz das Unvorstellbare vor, dass sie einem oder meh­re­ren die­ser Verträge die Zustimmung ver­wei­gern. Was wür­de die Schliessung eines oder meh­rer der gros­sen Museen, der Dampfzentrale, des Stadttheaters oder des BSO für das Leben der Stadt bedeu­ten? Was wür­de gesche­hen, wenn die Sammlungen des Kunstmuseums plötz­lich nicht mehr ver­füg­bar wären, wenn gros­se sin­fo­ni­sche Werke nicht mehr erklän­gen, wenn es kei­ne Oper, kein gros­ses Schauspiel, kei­ne Musik- und Tanzprojekte mehr gäbe? Realistisch gese­hen muss man wohl sagen, das Leben gin­ge ein­fach wei­ter und für vie­le Menschen spie­len die Angebote der fünf gros­sen Kulturinstitute im täg­li­chen Leben kei­ne Rolle. Ein Teil der jet­zi­gen Besucher wer­den sich ihre Kulturerlebnisse an ande­ren Orten orga­ni­sie­ren (Basel und Zürich sind gut erreich­bar), ein ande­rer Teil wird viel­leicht die Mühe des Weges scheu­en und Alternativen in der Freien Szene fin­den und ein drit­ter Teil wird viel­leicht mer­ken, dass es auch ohne geht.

Verloren gehen wird aber auf jeden Fall ein Teil des städ­ti­schen Lebens. Wer zufäl­lig bei Vorstellungsende am Stadttheater vor­bei­geht, kann das leicht spü­ren. Wenn sich plötz­lich mehr als 600 Menschen in die abend­li­che Stadt ergies­sen, wenn Trams und Busse schlag­ar­tig gefüllt sind von Menschen, die gera­de ein gemein­sa­mes Erlebnis ver­bin­det, schafft das städ­ti­sche Identität. Und das eben nicht nur bei soli­tä­ren Events, son­dern ganz all­täg­lich und ver­läss­lich an sechs Abenden in der Woche. Und damit ist eine wesent­li­che Aufgabe die­ser Institutionen beschrie­ben. Ihre – zuge­ge­be­ner­mas­sen auf­wän­di­ge – Existenz begrün­det sich im Auftrag kon­ti­nu­ier­lich Möglichkeiten bereit­zu­stel­len. Deshalb sind sie in Städten ange­sie­delt, des­halb sind sie mit der Essenz der Stadt als Lebensform untrenn­bar ver­bun­den. Die Stadt hat sich in Europa als Lebensraum des­halb ent­wickelt, weil sie ein Ort mit uto­pi­schem Potential war und ist. «Stadtluft macht frei» heisst es seit dem Mittelalter und schnell bezeich­ne­te der Ausspruch nicht nur die Freiheit der geflo­he­nen Leibeigenen son­dern vor allem die Freiheit des Denkens und der Ideen. Aus die­sem Geist sind die mei­sten der Kulturinstitutionen und auch der Gedanke der Kulturförderung ent­stan­den. Die Stadt ist ein Begegnungsort, auch im Sinne der Begegnung von Ideen. Das wird in unse­rer mate­ri­el­len Zeit ger­ne ver­ges­sen. So wie man im Historischen Museum beim Besuch der Kelten unver­mit­telt den Indianern oder Einsteins Relativitätstheorie begeg­nen kann, so wie man im Kunstmuseum neben Albert Anker auf die Bilder Franz Gertschs trifft, begeg­nen sich im Stadttheater Klassiker und zeit­ge­nös­si­sche Theaterformen, in der Dampfzentrale Musik, Sprache und Tanz. Die Liste ist will­kür­lich und lässt sich mit Beispielen aus allen fünf Institutionen ins Unendliche ver­län­gern. Das Potential der Begegnungen ist uner­schöpf­lich, ein­fach nur, weil es die­se Institutionen gibt, weil man sie jeder Zeit in Anspruch neh­men kann, und es hat einen Wert, der sich weder in Geld noch mit Evaluierungskriterien wirk­lich bewer­ten lässt. Es liegt letzt­lich natür­lich an jedem Einzelnen von uns, wie sehr er die Möglichkeiten, die in die­sem unsicht­ba­ren Netz aus Ideen, das über die Stadt gezo­gen ist, aus­schöpft und wel­che Verbindungen er her­stellt. Und es ist in einer Zeit, in der eine uner­sätt­li­che Unterhaltungsmaschinerie um unse­re Aufmerksamkeit buhlt, eine vor­dring­li­che Aufgabe der Kulturinstitutionen, dies sinn­lich erfahr­bar zu machen. Allerdings bei aller Sympathie für die Kulturpädagogische Komplettbetreuung: Ganz ohne Neugierde und Eigeninitiative wird es nicht gehen. Banal gesagt, man muss halt auch hin gehen und die Lust an der Auseinandersetzung mit dem Gebotenen mit­brin­gen.

Damals in Florenz habe ich dann durch Zufall eine klei­ne Kirche in einer Seitenstrasse gefun­den. Dort spiel­ten der Organist und ein Konzertmeister des Orchestra Regionale Toscana Abend für Abend Werke Bachs im etwas unge­wöhn­li­chen Arrangement für Orgel und Violine. Werbung gab es kei­ne, in den Bänken sas­sen die Nachbarn. Ich wur­de Stammgast und der ita­lie­ni­sche Kirchenmusiker erzähl­te mir, dass er in Deutschland stu­diert habe, den Reichtum der dor­ti­gen Kirchenmusikszene bewun­de­re und mit die­sem Projekt ein­fach biss­chen davon in den Sommer von Florenz brin­gen wol­le. Qualitativ konn­ten die bei­den nicht rich­tig mit den Uffizien und dem David kon­kur­rie­ren, aber immer­hin, es gab Musik.
Für mich per­sön­lich kann ich mir ein Leben ohne all das, was ich in Theatern, Museen, bei Orchestern, in Jazz-Clubs und an vie­len ande­ren Orten erlebt habe nicht vor­stel­len. Mal war ich da, mal war ich dort mehr zu Hause, aber immer habe ich die Vielfalt als Bereicherung emp­fun­den und noch immer emp­fin­de ich den kul­tu­rel­len Reichtum unse­re Städte als Bastion gegen die genorm­te Einförmigkeit unse­rer Konsumwelt. Das mag unge­fähr genau­so naiv sein, wie die Erwartung in einer ita­lie­ni­schen Stadt aus­ser­halb der Saison auf ein brei­tes Musikangebot zu stos­sen. Aber sei’s drum. Wenn ich dürf­te, am 15. Mai: 5 Mal JA!

 


Das Stadttheater Bern (STB) und das Berner Symphonieorchester (BSO) wer­den zu Konzert Theater Bern zusam­men­ge­führt. 14 Tage bevor am 15. Mai 2011 die städ­ti­sche Bevölkerung über die Subventionsverträge der Kulturinstitutionen abstimmt, eröff­nen wir für die Bernerinnen und Berner ein beson­de­res Café im Eingangsfoyer des Theaters.

Auf einer klei­nen Bühne wird im Konzert Theater Café ein brei­tes Programm aus allen vier Sparten – Konzert, Schauspiel, Musiktheater und Tanz – gebo­ten. Im «Schaufenster» erle­ben die BesucherInnen, was in den Werkstätten her­ge­stellt wird. Dazu kön­nen die lau­fen­den Proben von Händels Oper Semele besucht, an einer Führung teil­ge­nom­men oder ein neu­es Styling im offe­nen Coiffeursalon der Maskenbildner aus­pro­biert wer­den. Grosses Finale der Konzert-Theater-Café-Woche ist die «JA»-Party. Die Macher der Partyreihe «Spiel mit uns» sor­gen für den geeig­ne­ten Rahmen mit Live-Musik, Spielen, einer Jazz-Formation des Berner Symphonieorchesters sowie den DJs el tig­re und Hellzaapoppin.

Foto: Pierre Marti
ensuite, Mai 2011