40 Prozent Geborgenheitssucher

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Von Patrik Etschmayer - In einer kürz­lich in Deutschland erho­be­nen Umfrage äus­ser­ten sich 40 Prozent der 2400 Befragten Sympathien für ein auto­ri­tä­res Regime und die Bereitschaft, unter einem sol­chen zu leben. Die Fragen der Umfrage waren durch­aus sug­ge­stiv, und wenn jemand zustimm­te, dass «Unruhestifter spü­ren soll­ten, dass sie uner­wünscht sind» und «wich­ti­ge Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen über­las­sen wer­den soll­ten», dann zeig­te das den Studienautoren nach klar auf, dass hier Sympathien für eine Autokratie, wenn nicht gar Diktatur vor­han­den sind. Auch sozi­al­dar­wi­ni­sti­sche Ansichten – «in der Gesellschaft soll sich der stär­ke­re durch­set­zen» – fin­den bei die­sen Leuten gros­se Zustimmung. Eine unter­schwel­lig zum Ausdruck gebrach­te Hoffnung ist offen­bar auch, als Anhänger der «Starken» selbst zu die­sen und so den Siegern zu gehö­ren, ganz egal, wie schwach man de fac­to ist.

Menschen, die in ihrer Erziehung und ihrem Aufwachsen Gewalt und Willkür erlebt hat­ten, neig­ten stär­ker zu sol­chen Ansichten als ande­re, war ein wei­te­rer Schluss der Studie, die auch einen Unterschied zwi­schen Ost- und Westdeutschland bei die­sen Affinitäten ent­deck­te.

Es ist natür­lich ein­fach, die Schuld an die­sen Neigungen nur bei Merkel, Facebook und dem Trumpismus zu suchen. Doch dem ist nicht so, denn es wur­de ja auch fest­ge­stellt, dass Dinge, die die­sen Menschen zum Teil vor Jahrzehnten wider­fuh­ren, sie noch heu­te beein­flusst.

Jeder Erziehungsratgeber, der etwas auf sich hält, betont immer wie­der die Wichtigkeit der Grundsicherheit für ein Kind; dass ein Kind Geborgenheit erfah­ren muss, um stark auf­wach­sen zu kön­nen. Gewalt durch die Eltern und die Geschwister, Hass von denen, die einen lie­ben soll­ten, sind dabei fatal. Denn ein sol­ches Kind wird erst in der Familie und dann in sich kei­nen Halt fin­den, nicht jenes Selbstvertrauen, das ent­schei­dend ist, um sich sei­nes Selbstwerts sicher zu sein.

Doch wer nicht an sich glaubt und nicht dar­an, für irgend­was gut zu sein, fin­det lei­der all­zu leicht Halt dar­in, ande­re zu ver­ach­ten. Dabei geht es wohl­ge­merkt nicht dar­um, dass man üble Handlungen ande­rer Menschen ver­ach­tet – dies wür­de ja eine Auseinandersetzung mit den Menschen und ihrem Tun erfor­dern –, son­dern ande­re Menschen an sich, nur wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, Ethnie oder Religionszugehörigkeit, ohne hin­ter die­se Etiketten zu blicken. Wer sich für wert­los hält, kann sich so zumin­dest auf eine ver­meint­li­che höhe­re Stufe als die von ihm oder ihr Verachteten bege­ben. Bekommen sol­che Menschen dann auch noch die Bestätigung von gewis­sen Politikern, dann geht der Spass rich­tig los.

Denn nun wird schlech­tes, men­schen­ver­ach­ten­des Verhalten auf ein­mal okay und zu dem, was die «Volksgemeinschaft» for­dert. Es wird zwi­schen «Fremdkörper» und «Volkskörper» unter­schie­den … die­se mör­de­ri­schen Klischees sind bekannt und funk­tio­nie­ren ja nicht nur in Deutschland. Ob in der Türkei, Italien, Myanmar, Österreich, den USA oder Brasilien: Populisten leben davon, Menschen will­kür­lich in Rechte und Schlechte zu tei­len.

Doch das ist nicht das Wichtigste. Für Menschen, die als Kind von auto­ri­tä­rer, gewalt­tä­ti­ger Erziehung geschä­digt wur­den, bie­ten auto­ri­tä­re Parteien eine emo­tio­na­le Heimat. Eine toxi­sche Geborgenheit, die durch jene Mittel, die die­se Menschen ursprüng­lich ver­letzt haben, wie­der her­ge­stellt wird. Wobei aber die über­mäch­ti­ge Autorität, die zuvor einen selbst geprü­gelt hat, durch eine sol­che ersetzt wird, die den Hass auf ande­re lenkt und einen sogar dazu ermun­tert, sol­chen Hass mit vol­ler Billigung der Machthaber aus­zu­le­ben.

Küchenpsychologie? Sicher. Aber es doch ver­blüf­fend, dass die «posi­ti­ven» Werte der Populisten wie «Heimat», «Familie», «Gemeinschaft» die hei­me­li­ge Dekoration die­ses ideo­lo­gi­schen Heims sind und ihre ver­meint­li­che Verteidigung die Ausrede dafür, aus­zu­gren­zen, zu plün­dern und zu mor­den. Jeweils in die­ser Reihenfolge. Dabei ist es ent­schei­dend, dass die­se «Werte» auch noch sehr prä­zi­se defi­niert wer­den: «Familie» zum Beispiel hat prä­zi­se eine sol­che zu sein, in der Papa das Geld ver­dient und Mama daheim kocht und putzt und die lie­ben Kinderchen erzieht und dem Familienoberhaupt erge­ben zudient. Es geht dabei nicht dar­um, dass die­ses Modell noch irgend­wie eine Realität für die Mehrzahl der Menschen ist. Es steht – wie alles ande­re an die­sen Ideologien – für eine Fantasiewelt, die es so eigent­lich nie gege­ben hat. Schon immer ver­nach­läs­sig­ten zahl­rei­che Männer ihre Familie, Frauen sof­fen seit je ihren Frust weg, nicht weni­ge Kinder benah­men sich schon immer schreck­lich. Motive in Kunst und Literatur über die Jahrhunderte legen davon eben­so Zeugnis ab wie die Sittengeschichte der Zivilisationen.

Doch die Fantasie ist das ent­schei­den­de, denn sie ver­mit­telt Geborgenheit: das Gefühl, auf­ge­ho­ben zu sein. Und wenn der Rest der Welt ver­brennt, ist das an sich egal, wärmt man sich doch genau an den woh­lig glim­men­den Scheiten die­ser Abscheulichkeiten.

Diese Horrorkuschelwelt ist heu­te lei­der anzie­hen­der als seit Langem, denn die Gemeinschaftlichkeit in der Gesellschaft ist seit Jahrzehnten im stän­di­gen neo­li­be­ral moti­vier­ten Abbau begrif­fen, dem sich ja seit bald 20 Jahren auch die Sozis ange­schlos­sen haben. Den Zurückgelassenen und Vergessenen der Gesellschaft erscheint daher die Alternative, für die es aus­reicht, zu sein, wer man eben ist, um dazu­zu­ge­hö­ren, ver­ständ­li­cher­wei­se attrak­ti­ver. Und mit­un­ter alter­na­tiv­los. Allerdings immer trü­ge­risch.

Denn auch wenn nun in rechts­na­tio­na­len Kreisen von einer «natio­na­li­sti­schen Internationalen», die sich im Kampf gegen das geein­te Europa alli­ie­re, die Rede ist (und nie­man­des Kopf ob des inhä­ren­ten Widerspruchs zu explo­die­ren scheint), wür­de eine sol­che Entwicklung unwei­ger­lich auf bewaff­ne­te Konflikte genau zwi­schen die­sen «Verbündeten» hin­aus­lau­fen. Dies ist kein hyste­ri­sches Gelabere, son­dern rei­ne Logik: Wenn das kom­pro­miss­lo­se Durchsetzen der Eigeninteressen Primat des staat­li­chen Handelns ist, wer­den Konflikte irgend­wann auf heiss geschal­tet. Und spä­te­stens wenn es dann wie­der dar­an gin­ge, auf dem ruhm­rei­chen Feld des Krieges dem Vaterland sein Leben zu opfern, wäre es vor­bei mit der Geborgenheit für die Mitläufer, die dann jubelnd als Kanonenfutter an die Front geschickt wür­den.

Doch so weit zu den­ken, wäre ver­mut­lich zu viel ver­langt, fühlt es sich doch viel zu kusch­lig an in die­sem Milieu, in dem sich so man­cher die­ser 40 Prozent end­lich rich­tig auf­ge­ho­ben und ver­stan­den fühlt.

 

Bild: Pressebild AfD, A. Gauland

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